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EU-Krise
"Keine dieser Aufgaben kann ein Nationalstaat alleine bewältigen"

Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament blickt Elmar Brok mit Sorge in die Zukunft der EU. Man habe selten vor so vielen Herausforderungen gestanden. Kein Nationalstaat könne diese Aufgaben noch alleine bewältigen, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.

Elmar Brok im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok während einer Tagung zum Thema Europa in Tutzing
    Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok während einer Tagung zum Thema Europa in Tutzing (imago / Oryk Haist)
    Dirk Müller: Der IS, Terroranschläge in Europa, Syrien, Türkei, der Iran, Israel, Palästina, die NATO, Russland und die Ukraine, die Flüchtlingspolitik und die EU, der Brexit, die Finanzkrise, Griechenland und jetzt auch noch Donald Trump. Das ist eine lange Liste außenpolitischer, sicherheitspolitischer Themen, eine Lebensaufgabe für einen passionierten Außenpolitiker, eine Lebensaufgabe für jemanden wie Elmar Brok (CDU). Insgesamt 13 Jahre war er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, ein glühender, ein engagierter, ein streitbarer Verfechter der europäischen Integration. Heute gibt er diese Position ab an seinen Nachfolger David McAllister. Elmar Brok ist der Abgeordnete, der am längsten im Europäischen Parlament sitzt, seit 1980, seit 37 Jahren, wenn wir richtig gerechnet haben. Die europäische Krise, die internationalen Krisenherde, unser Thema mit Elmar Brok jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Brok, ist alles viel schlimmer geworden?
    Brok: Ich glaube, Europa hat selten so viele Herausforderungen gehabt, die von außen an uns herangetragen werden. Sie haben sie aufgezählt. Und ich glaube, dass dies umso mehr ein Beweis ist, dass die Europäer jetzt enger zusammenrücken, so wie bei Ihnen in den Nachrichten Sie Francois Fillon zitiert haben. Denn ich glaube, nur gemeinsam sind wir in der Lage, dies zu bewältigen. Keine dieser Aufgaben kann ein Nationalstaat noch alleine bewältigen. Deswegen sind die Leute, die sich in Koblenz getroffen haben, die Petrys und Le Pens diejenigen, die in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts zurückkehren wollen und damit uns die Geschichte dieses Friedens und dieser Freiheit zerstören wollen.
    "Es gibt immer noch Ungerechtigkeiten, gegen die man kämpfen muss"
    Müller: Aber das sind auch Probleme, Herr Brok, aus Ihrer Sicht jedenfalls, die von innen nach Europa getragen werden, von innen heraus.
    Brok: Das sind Probleme, die von innen getragen sind, mit Mangel an Vertrauen an Politik insgesamt, und davon ist auch Europa natürlich betroffen. Und ich glaube, dass das demokratische System, um das es geht, da geht es gar nicht mehr nur noch um Europa, sondern das demokratische System, das rechtsstaatliche System, das System der liberalen Demokratie von uns neu begründet sein muss, dass die Bürger merken, dass über dieses Europa und über Demokratie und Rechtsstaat das Beste für sie herauskommt. Und die Bilanz ist doch einfach großartig: 70 Jahre Frieden und Freiheit. Wir haben einen Wohlstand, wie wir ihn noch nie zuvor gehabt haben. 50 Prozent aller staatlichen Sozialleistungen dieser Erde werden an die Bürger der Europäischen Union ausgezahlt. Aber wir müssen sehen, dass es da immer noch Ungerechtigkeiten gibt, gegen die man kämpfen muss.
    Müller: Herr Brok, haben Sie denn gedacht, als langjähriger Außenpolitiker, der seit Jahrzehnten an der Spitze der europäischen Parlamentsdemokratie auch steht, sich immer dafür engagiert hat, dass das immer komplizierter wird, dass das immer schwieriger wird und im Grunde gar keine Lösungen in Sicht sind?
    Brok: Nun, Lösungen sind in Sicht, wenn man es gemeinsam bewältigt. Aber dass das in diesem Schwung auf einmal kam, damit habe ich auch nicht gerechnet. Aber es ist halt so. Wir sind jetzt in einer historischen Situation, dass nach 70 Jahren wieder eine Kehrtwende kommt und wir das, was wir aufgebaut haben, mit dem Hintern wieder umwerfen. Oder sind wir in der Lage, jetzt daraus die Konsequenzen zu ziehen, umso mehr anzuziehen, weil die objektive Notwendigkeit vorhanden ist. Aber das geht natürlich nur, wenn man alle miteinander für Demokratie eintritt und alle miteinander für dieses Europa eintreten, denn jeder Nationalstaat für sich wird in einer globalen Ordnung der Chinesen, des amerikanischen Präsidenten untergehen und nicht mehr seine Interessen wahrnehmen können.
    "Es ist alles nicht mehr so schön und einfach, wie das 1980 war"
    Müller: Ist der Job für Sie immer anstrengender geworden?
    Brok: Das ist wahr! Als ich Mitglied des Europäischen Parlaments wurde, waren wir neun Mitgliedsländer. Wir sind jetzt 28. Ich war selbst Generalberichterstatter für die große Erweiterung der Europäischen Union 2004 und 2007. Da ist es natürlich alles sehr viel komplizierter, die Dinge zusammenzuhalten. Die Erfolgsstory der Europäischen Union, die mit einem heute vollberechtigten Parlament dasteht, die einen europäischen Binnenmarkt zuwege gebracht hat, die gerade uns in Deutschland viel Wohlstand gebracht hat und bringt, mit einem Euro, das uns auch in diesem Bereich unabhängiger macht, dieses ist natürlich sehr viel komplizierter. Es ist alles nicht mehr so schön und einfach, wie das 1980 war.
    Müller: Es hat mal diese Euphorie gegeben, davon ist ja nichts mehr zu spüren.
    Brok: Europapolitik ist normale Politik geworden, mit allem Streit und Widerstreit, und das ist nicht die Stimmung in dem Bewusstsein nach dem Krieg, die wie gesagt noch meine Generation hatte, nie wieder Krieg, nie wieder Diktatur. Diese Punkte sind nicht mehr so im Bewusstsein. Dafür muss man werben. Aber ich bin optimistisch. Ich gehe regelmäßig in Schulklassen hinein und muss feststellen, dass da sehr viel mehr Offenheit vorhanden ist. Ich muss auch feststellen, bei Brexit und anderen Gelegenheiten, die jungen Leute sind eher für Europa. Es sind die älteren, die Ängste entwickeln vor Globalisierung, vor angeblicher Islamisierung, was Unsinn ist. Aber die Ängste sind vorhanden und die müssen wir ernst nehmen und darum müssen wir nachweisen, dass Europa hier die Antwort darauf geben kann. Terror können wir nur gemeinsam bekämpfen.
    Müller: Herr Brok, Sie sind ja viel in der Weltgeschichte herumgereist, man könnte auch sagen noch mehr in der Europageschichte. Aber wenn wir den Horizont etwas erweitern: Sie waren mit vielen Staats- und Regierungschefs zusammen, haben Gespräche geführt, auch Vier-Augen-Gespräche. Sie haben im vergangenen Jahr hier im Deutschlandfunk auch von Ihrem damaligen Treffen mit Erdogan in Ankara erzählt. Was war Ihr schwerster Gang?
    Brok: Schwer ist es gegenwärtig mit all den Staaten ums Mittelmeer herum, die mit Islamismus kämpfen, gleichzeitig doch auch keine Demokratien sind und mit denen wir dennoch zusammenarbeiten müssen, oder meist keine Demokratien sind, wenn man ein bisschen Tunesien ausnimmt und auf jeden Fall Israel ausnimmt, dass man dennoch denen hilft, dass wir mit diesen ungeheuren Herausforderungen fertig werden, weil das auch in unserem Interesse ist.
    "Man muss schon manchmal die Zähne zusammenbeißen"
    Müller: Nennen Sie uns ein Beispiel? Mit welchem Staatschef haben Sie besondere Schwierigkeiten gehabt oder war es für Sie schwierig zu sagen, ich muss hier die Contenance wahren, ich muss unsere demokratischen Prinzipien verteidigen, auch wenn es schwerfällt?
    Brok: Das ist schon manches Mal der Fall gewesen, wenn man mit zentralasiatischen Potentaten redet.
    Müller: Wen meinen Sie denn?
    Brok: Richtung Aserbeidschan. Meine Gespräche mit Janukowytsch in der Ukraine, das sind schlimme Gespräche. Wenn man auch mit manchem aus Afrika redet, wo man genau weiß, um Gottes willen, aber gleichzeitig muss man Verhandlungen führen, um vielleicht Menschen aus dem Gefängnis herauszuholen, und dann muss man schon manchmal die Zähne zusammenbeißen, das entsprechend hinzubekommen.
    Müller: Und denen mussten Sie auch die Hand geben?
    Brok: Denen muss man auch die Hand geben. Wenn man dadurch Menschen hilft, dann muss man auch das in Kauf nehmen.
    Müller: Das gehört dazu?
    Brok: Ja. Wenn wir sehen: Zwei Drittel der Welt sind nicht demokratisch, mindestens zwei Drittel der Welt. Wenn man mit denen nicht redet, dann sind wir isoliert und können anderen Menschen nicht helfen. Das ist auch dieselbe Frage bei China. Das ist auch keine Demokratie. Dort gibt es eine hohe Zahl von Todesurteilen auch aus politischen Gründen heraus.
    Müller: Sie sind ja immer sehr engagiert gewesen, Herr Brok, wenn ich hier noch mal einhaken darf, und auch sehr emotional. Das haben wir auch häufiger mitbekommen, wenn Sie für Europa gestritten haben. Jetzt haben Sie gesagt, Sie mussten vielen, auch Diktatoren wie auch immer die Hand schütteln. Können Sie sich daran erinnern, dass Sie irgendwann mal die Professionalität verloren haben und gesagt haben, jetzt reicht's und tschüss?
    Brok: Ich glaube, das ist mir bei diesen Leuten seltener passiert. Das ist mir schon mal innerhalb des Europäischen Parlaments und im Ministerrat passiert oder ähnlichen Gelegenheiten, wenn man es mit eigenen Leuten zu tun hat und sagt, mein Gott, jetzt versteht das doch, wir müssen da und dort vorankommen. Dann verliere ich schon eher die Geduld. Bei den anderen Dingen baue ich mich schon so psychologisch auf, dass ich das hinbekomme. Aber es bedeutet auch natürlich, dass man bei vielen dieser Leute nur Achtung hat, wenn man auch seine Position deutlich macht, wenn man auch die Menschenrechte anspricht. Das ist alles eine Frage einer Form, die man macht. Aber meine Erfahrung ist, dass man auch bei diesen Leuten keine Achtung genießt, wenn man nur freundlich daherkommt, sondern man muss schon seine Kritikpunkte in geeigneter Form zum Ausdruck bringen. Die meisten von denen, wenn man das in einer entsprechenden Form macht, nehmen das hin.
    Müller: Der Pulsschlag, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist vor allem innereuropäisch hin und wieder mal in etwas zu große Höhen vorgeprescht. Haben Sie da ein Beispiel, waren es die Briten, die Sie so aufgeregt haben?
    Brok: Ja! Ich kann mich an manche Regierungskonferenz erinnern. Ich habe ja das Europäische Parlament in allen Regierungskonferenzen seit Maastricht bis hin zum Vertrag von Lissabon vertreten, habe auch ein Stückchen die Rechte des Europäischen Parlaments ausgehandelt und auch die Frage des Aushandelns des Auswärtigen Dienstes beispielsweise, der uns ja doch in den letzten fünf Jahren vorangebracht hat. Da gab es schon Situationen, wo man auch mal aus der Haut fuhr oder auch bewusst mal auch einen deutlichen Ton gesprochen hat, denn zu den Verhandlungen gehört es ja natürlich auch, dass man ein kontrolliertes Ausbrechen hat.
    "Ich pflege mit Viktor Orbán ein sehr deutliches Gespräch"
    Müller: Viktor Orbán, den haben Sie auch häufig getroffen, mit dem haben Sie auch häufig geredet. Konnten Sie da immer ruhig bleiben?
    Brok: Viktor Orbán kenne ich seit 1988, als er Student war. Ich habe ihn in Budapest kennengelernt und mit ihm pflege ich ein sehr deutliches Gespräch, ein sehr kritisches Gespräch. Da muss ich sagen, bei allen Unterschieden, auch bei manchen Entwicklungen, die er gemacht hat, die ich nicht gut finde, die ich kritisiere, hört er sich die Kritik an und das geschieht regelmäßig, dass wir solche kritischen Gespräche führen.
    Müller: Mit wem haben Sie die meisten Schwierigkeiten gehabt?
    Brok: Die meisten Probleme hat man in der Politik immer mit den eigenen Leuten.
    Müller: Was sind die eigenen Leute? In der Partei?
    Brok: Die Leute in der eigenen Partei, in der eigenen Fraktion.
    Müller: Mit der Kanzlerin?
    Brok: Auch da gibt es Unterschiede. Aber ich versuche, da freundlich zu sein und sie auch. Aber ich muss sagen, die Kanzlerin will auch kritische Meinungen hören. Aber sie ist nicht interessiert, dass man hier mit Lob und Kritik allein lässt. Das ist, glaube ich, ein Stückchen ihrer Stärke, dass sie trotz elf Jahren Kanzlerschaft die Fähigkeit hat, sich Kritik anzuhören, wenn man sie nicht öffentlich gegen sie missbraucht, um daraus andere Punkte zu machen.
    "Wenn etwas zur Routine wird, dann ist es nicht gut"
    Müller: Das heißt, intern haben sie frei und frank immer kritisiert oder jedenfalls das gesagt, was Ihnen nicht passt?
    Brok: Ja! Und ich glaube, gerade dann haben wir gesprochen, wenn mir etwas nicht passt. Ich glaube, das ist sinnvoll, dass führende Leute Mitteilungen bekommen, die sie vielleicht aus dem eigenen Apparat nicht bekommen. Und solche führenden Leute wie die Bundeskanzlerin sind dann noch erfolgreich, wenn sie in der Lage sind, dieses sich anzuhören. Ob sie das nachher übernehmen, ist eine andere Frage, aber ich glaube, dass sie bereit sind, zu ihrer Meinungsbildung die Geduld aufzubringen und hier zuzuhören.
    Müller: Dann helfen Sie uns in einem Punkt noch weiter. Wir haben gelesen, dass Sie heute - das ist ja der Anlass, warum wir miteinander reden - den Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament abgeben, dass die Kanzlerin darin nicht ganz unbeteiligt war. War das so, dass Angela Merkel darauf gedrängt hat, dass Sie aufhören?
    Brok: Nein! Die Kanzlerin hat noch mal Wert darauf gelegt, vor zweieinhalb Jahren, dass ich das noch einmal zweieinhalb Jahre mache, und das war vor zweieinhalb Jahren auch so verabredet und das ist auch gut so. Ich werde in diesem Jahr 71 Jahre alt. 13 Jahre den Vorsitz, 22, 23 Jahre die außenpolitische Führung der Fraktion. Aber ich mache ja manches noch weiter. Ich werde weiter Vorsitzender der Außenministerkonferenz der Europäischen Volkspartei sein und werde auch die eine oder andere Aufgabe noch wahrnehmen, die mit Brexit und anderem zu tun haben. Im Übrigen bin ich jetzt auch stellvertretender Vorsitzender des Weltverbandes der Christdemokraten, da ist auch ein bisschen zu tun.
    Müller: Hört sich nach viel Arbeit an. Mit 71 ist noch lange nicht Schluss?
    Brok: Nein. Aber ich glaube, man muss auch mal was anderes tun, und ich merkte zum Schluss auch, dass manches zur Routine wurde, und wenn etwas zur Routine wird, dann ist es nicht gut.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CDU-Politiker Elmar Brok, der heute den Ausschussvorsitz im Auswärtigen Ausschuss im Europaparlament abgibt. Danke, da Sie Zeit für uns gefunden haben.
    Brok: Ich danke Ihnen, Herr Müller.
    Müller: Ihnen alles Gute!
    Brok: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.