Gleich mehrere schwere Waldbrände wüten in Ländern der Mittelmeerregion, beispielsweise auf Sardinien, in Spanien, Frankreich und Griechenland. Hintergrund sind die extreme Hitze und anhaltende Dürre sowie starke Winde, die die Feuer anfachen.
Auf EU-Ebene gibt es für Katastrophen wie Waldbrände, aber auch Flutkatastrophen wie in den vergangenen Wochen, einen Katastrophenschutzmechanismus, mit dem betroffene EU-Mitgliedstaaten Hilfe anfordern können. Italien beispielsweise hat diesen Katastrophenschutzmechanismus nun wegen der Brände auf Sardinien in Anspruch genommen.
Peter Billing leitet das Referat für Sicherheit und Situationsanalyse bei der EU-Kommission. Im Deutschlandfunk sagte er, der Klimawandel stelle im Hinblick auf die Katastrophenschutzhilfe eine zunehmende Herausforderung dar. Katastrophen und Großschadenslagen würden häufiger und extremer: "Waldbrände werden heftiger oder die Fluten werden stärker."
Auch die geografische Lage dieser Katastrophen verändere sich graduell, so Billing: In Nordeuropa habe es früher keine Probleme gegeben, in den letzten Jahren seien auch hier Waldbrandrisiken stark gesteigen. Darauf müssten sich Europa und die EU einstellen.
Katharina Peetz: Wie läuft so eine Hilfsanfrage ab?
Peter Billing: Ja, gut, das Hilfeersuchen ist zunächst mal Voraussetzung. Zunächst mal muss der betroffene Staat an unser Krisenreaktionszentrum ein solches Ersuchen richten. Wir steuern dann dieses Ersuchen an die übrigen Mitgliedstaaten und die teilnehmenden Staaten am Gemeinschaftsverfahren durch. Diese bieten dann entsprechend Unterstützung an. Wir bündeln dies und teilen dem betroffenen Staat dann mit, und dieser entscheidet dann, ob und welche Hilfe er dann annimmt und welche nicht.
Peetz: Und was heißt das konkret, welche Form von Hilfe könnte dann geleistet werden?
Billing: Im Bereich der Waldbrände zum Beispiel Feuerlöschflugzeuge. Sie kennen ja vielleicht diese Kanada-Amphibienflugzeuge oder auch Feuerlöschteams oder Ausrüstungen, da gibt es eine breite Palette an möglichen Hilfsangeboten.
"Wir können in der Regel sehr schnell Hilfe leisten"
Peetz: Sie koordinieren die Hilfe unter den Mitgliedstaaten aber nicht nur, sondern es gibt auch noch ein eigenes Programm, mit dem die EU selbst auch Hilfe zur Verfügung stellt. In welchem Umfang erfolgt das?
Billing: Wir haben eine Reihe von Instrumenten, um die Mitgliedstaaten bei der Bewältigung solcher Katastrophen zu unterstützen. Zum einen ist es, hier im Bereich Beobachtung und Bewertung haben wir eine Reihe von Instrumenten, satellitengestützte Bilder zum Beispiel oder auch Analysetools wie das Europäische Waldbrandinformationssystem. Daneben haben wir die Möglichkeit, den Informationsaustausch zu fördern. Wir halten regelmäßig wöchentlich Videokonferenzen ab mit den, wie wir sagen, mit den Waldbrandstaaten, um sich da eben auszutauschen, wie die Situation ist, ob man Hilfe benötigt oder ob man Hilfe leisten kann. Daneben haben wir auch die Möglichkeit, verschiedene Instrumente zur finanziellen Unterstützung bereitzustellen, beispielsweise durch die Ko-Finanzierung von Transportmitteln oder durch die Beschaffung von Einsatzmitteln oder den Unterhalt von solchen Einsatzmitteln.
Peetz: Wie sind denn Ihre bisherigen Erfahrungen mit diesem Mechanismus, funktioniert das, dass dann wirklich schnell Hilfe organisiert werden kann, oder wo gibt es vielleicht Verbesserungsbedarf?
Billing: Ich würde sagen, grundsätzlich funktioniert das Verfahren sehr gut, es sind eingespielte Mechanismen. Wir können in der Regel sehr schnell Hilfe leisten. Nur ein Beispiel: Wenn wir jetzt ein Hilfeersuchen für einen Waldbrand haben aus Italien, wird innerhalb der nächsten Stunden die Hilfe sozusagen entsandt, kommt dann in der Regel entweder am gleichen Tag oder am folgenden Tag dort an. Das ist also alles sehr gut eingespielt über unsere Informationsinstrumente, natürlich auch vieles läuft dann über Telefon zur Feinabstimmung. Probleme tauchen in der Regel dann auf, wenn mehrere Staaten gleichzeitig von derselben Katastrophe betroffen sind. Sie haben ja in Ihrer Anmoderation auch erwähnt, es gibt derzeit Feuer in mehreren Ländern, und dann ist es oft so, dass die Länder, die im Prinzip Hilfe leisten könnten, die Mittel selbst brauchen. Es gibt auch Bereiche, wo eben keine Mittel vorhanden sind, wo es Lücken gibt, die man füllen kann. Und eine weitere Herausforderung ist in zunehmendem Maße der Klimawandel. Hier stellt sich die Situation so dar, dass wir häufiger Katastrohen haben oder häufiger Großschadenslagen haben, dass diese extremer werden, das heißt, die Waldbrände werden heftiger oder die Fluten werden stärker. Und wir stellen auch fest, dass die geografische Lage dieser Katastrophen sich graduell verändert. Wir hatten früher in Nordeuropa praktisch keine Probleme, in den letzten Jahren haben wir hier auch zusätzlich sehr hohe Waldbrandrisiken – wir hatten beispielsweise 2018 einen sehr großen Einsatz in Schweden. Das sind eben Dinge, auf die man sich einstellen muss. Nur um kurz eine Zahl zu nennen: Das langjährige Mittel an verbrannter Fläche in Europa jetzt zu diesem Zeitpunkt Mitte Juli war immer so um die 90.000 Hektar verbrannte Fläche, dieses Jahr haben wir bereits über 150.000 Hektar. So ungefähr muss man sich die Dimensionen vorstellen.
"Deutschland hatte genügend eigene Mittel"
Peetz: Wenn wir noch auf den anderen Katastrophenfall schauen, der uns in den letzten Wochen beschäftigt hat, die Flutkatastrophen in Westeuropa, da war es so, dass Belgien, glaube ich, auch entsprechend Hilfe angefordert hat, Deutschland aber nicht. Warum nicht?
Billing: Ja, das Verfahren ist eben grundsätzlich konstruiert auf der Basis des Subsidiaritätsprinzips, das heißt, solange ein Mitgliedstaat sich selbst helfen kann, wird er das tun, und erst dann, wenn die entsprechenden Eigenmittel, die Bordmittel sag ich jetzt mal, überlastet sind, wendet sich der Staat dann an die EU-Kommission. Und wie Sie richtig sagten, Belgien hat dann ein Hilfeersuchen an uns gerichtet, das dann auch von verschiedenen Mitgliedstaaten bedient wurde. Wir hatten über 150 Helfer aus verschiedenen europäischen Staaten – Österreich, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande –, die mit Booten und Hubschraubern und Tauchern eben die belgischen Behörden unterstützt haben, während im Falle Deutschlands eben ein Hilfeersuchen nicht notwendig war, weil Deutschland genügend eigene Mittel hatte, um die Katastrophe zu managen.
"Wir brauchen eine Reservekapazität auf EU-Ebene"
Peetz: Sie haben gerade angesprochen, dass solche Extremereignisse zunehmen werden, dass es auch eine geografische Verschiebung gibt, Länder, die früher vielleicht von Waldbränden zum Beispiel nicht betroffen waren, das jetzt eher sind. Wo sehen Sie denn die Zukunft dieser EU-Katastrophenhilfe sich hin entwickeln, wo müssen Schwerpunkte sein, wo muss nachgebessert werden, welche Entwicklungen erwarten Sie?
Billing: Zunächst mal wird sich die Struktur unserer Arbeit dahingehend verändern müssen, dass wir eine Reservekapazität auf EU-Ebene brauchen. Historisch gesehen ist das Verfahren gewachsen durch freiwillige Beiträge der Mitgliedstaaten, die eben, wie ich geschildert habe, nicht mehr ausreichen. Wir haben in den letzten drei Jahren einen Pool etabliert von Einsatzmitteln, die bestehen, indem sich die Mitgliedstaaten auch dann verpflichtet haben, diese Einsatzmittel zur Verfügung zu stellen. Wir kofinanzieren das mit derzeit zehn Millionen Euro, das wird aber voraussichtlich nicht ausreichen. Wir haben daher in diesem Jahr eine neue Gesetzgebung verabschiedet mit Zustimmung der Mitgliedstaaten, wo wir eben diese Reservekapazität schaffen werden. Im Bereich Waldbrände werden wir mit den Mitgliedstaaten zusammen zusätzliche Feuerlöschflugzeuge anschaffen in den nächsten sechs, sieben Jahren. Und wir haben bereits im Gefolge der COVID-Krise auch Reservekapazitäten im medizinischen Bereich angeschafft, sei es Masken oder Atemgeräte oder andere Hilfsmittel.
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