Portugal im Lockdown. Wenn Ursula von der Leyen und ihre Kollegen aus der EU-Kommission heute zum Auftakt der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft nach Lissabon kommen, steht das Land wieder still. Sehr hohe Infektionszahlen und überfüllte Krankenhäuser haben die Regierung dazu gezwungen, ab heute Geschäfte, Restaurants und Theater zu schließen.
Die Pandemie hat auch die ursprünglich geplanten Schwerpunkte der portugiesischen Ratspräsidentschaft verschoben. Und bisher findet sich in den offiziellen Ankündigungen auch kein Hinweis auf ein Thema, das die deutsche Ratspräsidentschaft gar nicht erst richtig angepackt hatte: Die Vorschläge der EU-Kommission für einen neuen Asyl- und Migrationspakt.
Heikel, schwierig und unbedingt nötig
Der portugiesische Außenminister Augusto Santos Silva sagt gegenüber dem Deutschlandfunk jedoch, dass sich die Portugiesen für die Umsetzung einer gemeinsamen Vereinbarung stark machen wollen:
"Die Diskussion über den neuen europäischen Asyl- und Migrationspakt ist ganz sicher der heikelste Punkt, den wir uns vorgenommen haben. Wird das schwierig? Ja, klar. Sind wir darüber uneins? Auch das. Sehr uneins? Absolut. Aber wir brauchen ihn. Wir brauchen eine europäische Migrationspolitik. Und die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft wird dazu beitragen, diese zu schaffen."
Die sozialistische Regierung hat in den vergangenen Jahren in Portugal eine vergleichsweise liberale Migrationspolitik umgesetzt und die Umverteilung von Geflüchteten innerhalb der EU unterstützt. Portugal nimmt immer wieder Menschen von Seenotrettungs-Booten auf und hat vor allem minderjährige Geflüchtete aus griechischen Flüchtlingscamps ins Land geholt. André Jorge, Koordinator der zentralen Plattform zur Unterstützung von Geflüchteten, hofft deshalb, dass Portugal die Chance nutzt und zwischen den zerstrittenen EU-Staaten vermittelt:
"Es muss ein Kompromiss zwischen den südlichen EU-Ländern und vor allem den Ländern aus der sogenannten Visegrád-Gruppe gefunden werden. Portugal kann und sollte dabei eine Vermittlerrolle übernehmen, vor allem weil es eine humanistische und progressive Haltung vertritt."
Keine starke Opposition gegen Aufnahme von Flüchtlingen
Das ist in Lissabon auch deshalb möglich, weil es bisher keine starke politische Kraft im Parlament gibt, die sich gegen die liberale Flüchtlings- und Migrationspolitik stellt. Dennoch haben auch die Portugiesen ihre Probleme, vor allem wenn es um die Gestaltung einer humanitären Flüchtlingspolitik im eigenen Land geht.
Zurzeit leben weniger als 3000 Geflüchtete in Portugal. Dass es nicht mehr seien, liege auch an der portugiesischen Politik, sagt André Jorge. Denn die Regierung lasse den guten Worten viel zu selten gute Taten folgen:
"Seit 2015 hat der portugiesische Staat keine neuen Möglichkeiten geschaffen, Geflüchtete unterzubringen. Unterkünfte für Geflüchtete werden ausschließlich von der Zivilgesellschaft bereitgestellt. Man könnte sagen: Das ist doch Teil einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Und das stimmt auch, aber: Der portugiesische Staat muss viel mehr tun, um die Arbeit der Zivilgesellschaft zu unterstützen."
Portugiesischer Grenzschutz-Skandal
Dazu gehört nach Meinung des Experten auch eine Reform des portugiesischen Grenzschutzes SEF. Migranten und Geflüchtete warten häufig monatelang auf ihre Papiere. Der SEF befindet sich zudem in eine schwere Krise, nachdem im März vergangenen Jahres portugiesische Grenzpolizisten am Lissabonner Flughafen einen ukrainischen Migranten zu Tode geprügelt hatten.
Ungeachtet der ungelösten internen Probleme zeigt Portugal auf europäischer Ebene aber tatsächlich Handlungswillen, wenn es um das Thema Asyl- und Migrationspolitik geht: Der portugiesische Innenminister hat seine EU-Kollegen zu einem informellen Treffen eingeladen, das schon Ende Januar stattfindet. Es wird um Geflüchtete, die EU-Außengrenzen und den europäischen Grenzschutz gehen.