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EU-Streit um Renaturierungsgesetz
Kommentar: Der Wahlkampf beschädigt von der Leyens "Green Deal"

Das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ist vorerst im Umweltausschuss des EU-Parlaments gescheitert. Widerstand leistet vor allem die EVP-Fraktion. Warum? Peter Kapern sieht darin vor allem: Wahlkampf.

Ein Kommentar von Peter Kapern | 27.06.2023
Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission, sitzt im Gebäude des Europäischen Parlaments
Ihr läuft die Zeit davon bei der Durchsetzung ihrer Umwelt- und Klimapolitik: Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission (picture alliance / dpa / Philipp von Ditfurth)
Um zu verstehen, was sich da derzeit rund um das „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“ abspielt, muss man sich an den 16. Juli 2019 erinnern: die Wahl Ursula von der Leyens (CDU) im Europaparlament zur Kommissionspräsidentin. Mit ganzen acht Stimmen Mehrheit.
Acht Stimmen, das ist im volatil abstimmenden Straßburger Parlament so gut wie nichts. Von der Leyens Wahl wäre also schon vor vier Jahren fast gescheitert. Und seither haben sich die Bedingungen für ihre Wiederwahl eher verschlechtert.

Umfragen zeigen die „Von der Leyen-Koalition“ in der Defensive

Alle Umfragen deuten darauf hin, dass die sogenannte „Von der Leyen-Koalition“ im Europaparlament, dieses lose Bündnis von Christdemokraten, Liberalen und Sozialdemokraten, deutlich an Stimmen einbüßen wird. Woher also sollen im kommenden Jahr, nach der nächsten Europawahl, die notwendigen Stimmen kommen, um von der Leyen wiederzuwählen? In Brüssel zweifelt nämlich niemand daran, dass sie wieder antritt.
Manfred Weber (CSU), Chef der Fraktion und der europäischen Parteienfamilie der EVP, hat sich entschieden. Er angelt gleichermaßen im Teich der Rechten wie im Strom der Unzufriedenen. Seit Langem hofiert er Giorgia Meloni, die italienische Postfaschistin. Und nun macht er sich auch noch zum Frontmann all jener, denen der Kampf gegen den Klimawandel zu schnell geht, die die Wärmepumpe fürchten, das Elektroauto hassen und überhaupt auf der Autobahn rasen und jeden Tag Steak essen wollen.
Webers Ziel: Bei der nächsten Europawahl sollen diese Unzufriedenen ihr Kreuzchen bei einer der EVP-Parteien machen. Und als Fanal hat er sich das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur auserkoren. 4.000 Wissenschaftler haben an die EVP appelliert, das Gesetz zu verabschieden, 60 Großkonzerne und sogar Bauerverbände. Doch Webers EVP zieht alle Register, um eine Verabschiedung des Gesetzes zu verhindern.

Stramme Weber-Gefolgsleute im Umweltausschuss

Heute wurden sogar unsichere Kantonisten der eigenen Fraktion - Abgeordnete mit Sympathien für das Renaturierungsgesetz - im Umweltausschuss durch stramme Weber-Gefolgsleute ersetzt. Und nun steht das Gesetz kurz vor dem Scheitern.
Es ist ein wesentlicher Baustein des Green Deals – des zentralen Projekts der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. De facto also demontiert Weber die Politik der Frau, die im kommenden Jahr wiedergewählt werden soll. Um diesen Widerspruch zu kaschieren, versucht die EVP, die Urheberschaft für das Gesetz zu verschleiern. Nicht von der Leyen, sondern ihr Stellvertreter, der Sozialdemokrat Frans Timmermans, habe das Gesetz zu verantworten. Und zwar ganz allein.

Timmermans wird zum Schreckgespenst stilisiert

Es ist schon fast ulkig, wie deutsche EVP-Abgeordnete derzeit versuchen, Timmermans zum heimlichen Kommissionschef und Schreckgespenst europäischen Politik zu stilisieren. Weber geht, mit Rückendeckung aus Berlin und München, hohes Risiko. Schon oft haben Konservative und Christdemokraten den Unzufriedenen nach dem Maul geredet, nur um feststellen zu müssen, dass die am Ende umso zahlreicher das Original des populistischen Protests wählten.
Porträt: Peter Kapern
Porträt: Peter Kapern
Peter Kapern, geboren 1962 in Hamm, Westfalen. Studium der Politikwissenschaften, der Philosophie und der Soziologie in Münster. Volontariat beim Deutschlandfunk. Moderator der Informationssendungen des Dlf, 2007 bis 2010 Leiter der Redaktion Innenpolitik, Korrespondent in Düsseldorf, Tel Aviv und Brüssel.