"Heute Abend entsteht das neue Europa, heute Abend entsteht ein Raum des Friedens. Heute Abend entsteht etwas, was von beiden Seiten gewollt wurde. Heute Abend entsteht ein Europa, das die Zukunft für uns alle bedeutet. Und deshalb möchte ich euch zurufen: Lasst uns das heute jetzt gemeinsam hier feiern."
Bundesaußenminister Joschka Fischer vor zehn Jahren auf der Brücke zwischen Frankfurt an der Oder und der polnischen Stadt Slubice. 200.000 Menschen feierten in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 2004 entlang der Oder-Neiße-Grenze die Osterweiterung der Europäischen Union. Auch in Berlin, in Brüssel und in allen Hauptstädten der neuen EU-Länder wurde der Tag von offizieller Seite als Festtag begangen.
Doch die Stimmung war längst abgekühlt. In fast allen Ländern, die der Europäischen Union in dieser Nacht beitraten, stand nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung hinter dem Beitritt. Noch deutlicher war die Skepsis in den meisten alten EU-Ländern. Und zumindest in den westlichen Ländern der Europäischen Union hat sich den Umfragen zufolge an dieser Ablehnung bis heute nicht viel geändert.
Beispiellose Erfolgsgeschichte
Und doch ist die Erweiterung der Europäischen Union um Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei, um Estland, Lettland und Litauen eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Die Ost-Erweiterung hat das gespaltene Europa wieder vereinigt, sie hat Länder, in denen es politisch und wirtschaftlich überaus düster aussah, stabilisiert und zu berechenbaren Partnern gemacht.
Allerdings hat die Osterweiterung auch auf dramatische Weise beigetragen zur wachsenden Entfremdung zwischen der Europäischen Union und ihren Bürgern, zwischen den Institutionen in Brüssel und der Bevölkerung in den heute 28 Mitgliedsstaaten. Viele Menschen fühlten sich überfordert, sie fürchteten die Kosten und wussten nicht, warum sie für diese Länder aufkommen sollten. Die französische Europaabgeordnete Sylvie Goulard:
"Wir haben leider viel mehr Wert darauf gelegt, dass diese Länder sich entwickeln und manche Bedingungen erfüllen. Wir haben uns nicht die Frage gestellt, was müssen wir alte Mitgliedsländer tun, damit die EU besser funktioniert mit mehr Mitgliedern."
Als 1989 die Berliner Mauer fiel, als erst der Warschauer Pakt und dann die Sowjetunion zerbrachen, da dachten viele Politiker im Westen, dass die ehemaligen Paktstaaten erst einmal mit sich selbst zurechtkommen müssten. Dass es Sache der NATO sei, sich um die Sicherheit dieser plötzlich unabhängigen Staaten in Mittel- und Osteuropa zu kümmern. 1992, im dritten Jahr nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, unterzeichneten elf EU-Regierungen im niederländischen Städtchen Maastricht den gleichnamigen Vertrag. Ziel: Die bislang vorwiegend wirtschaftlich verflochtenen Länder der Europäischen Gemeinschaft sollten endlich auch politisch zusammenkommen. Die Länder Mittel- und Osteuropas, von Polen bis Bulgarien, kamen im Maastrichter Vertrag nicht einmal vor.
Es war nicht der letzte Versuch der Westeuropäer, sich abzuschotten gegenüber den Neuen aus dem Osten. Doch die Abgesandten aus Warschau und Prag, aus Budapest und Bukarest pochten immer heftiger an die Türen in Brüssel. Sie erinnerten ihre westlichen Kollegen daran, dass es nicht ihre Entscheidung war, 45 Jahre hinter dem Eisernen Vorhang zu leben.
"Es war das tragische Verdikt von Jalta, das Deutschland geteilt und das Länder wie Polen, Ungarn, Tschechoslowakei auf die falsche Seite der Geschichte gestellt hat. Jetzt sind wir zurückgekehrt, aber im Grunde haben wir nie aufgehört, uns als Europäer zu fühlen und den europäischen Traum zu träumen."
Kinkel: "Wir waren die Hauptgewinner"
Eine der wenigen Regierungen, bei denen die Mittel- und Osteuropäer Anfang der Neunziger Gehör fanden, war die Bundesregierung. Klaus Kinkel, deutscher Außenminister von 1992 bis 1998, erinnert sich:
"Wir waren die Hauptgewinner, 1990 und danach, wiedervereinigt, zum größten Land der Europäischen Union geworden, auch zum wirtschaftsstärksten: Jetzt haben wir eine besondere Verantwortung übernommen."
Doch die meisten Regierungen, insbesondere aber die Bürger, sahen in den östlichen Nachbarn vor allen eine Bedrohung des eigenen Lebensstandards.
Polen beispielsweise, mit 40 Millionen Einwohnern das größte der unabhängig gewordenen Länder, stand damals wirtschaftlich ungefähr da, wo heute die Ukraine steht. Eine marode, von Planwirtschaft und politischen Vorgaben geprägte Industrie, veraltete Anlagen, zerstörte Handelsbeziehungen und Löhne, die etwa ein Zehntel der im Westen üblichen betrugen. Die Angst war groß, dass der Umbau dieser neuen Mitgliedsstaaten zu funktionierenden Marktwirtschaften teuer werden würde. Besonders die Regierungen Griechenlands, Spaniens und Frankreichs befürchteten drastische Einschnitte bei ihren Subventionen aus Brüssel. Der damalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel:
"Man hat natürlich gesehen, dass in diese westliche Wertgemeinschaft jetzt Länder reinkommen, die völlig anders gewachsen waren, mit gewaltigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Da gab es natürlich Widerstände unter dem Motto: Wollen wir uns das aufhalsen."
Nicht alles, aber vieles von dem, was wir heute in der Ukraine sehen, bestimmte damals das Bild von Mittel- und Osteuropa: eine völlig unterentwickelte Wirtschaft, Grenzstreitigkeiten, alte Geheimdienstkader und neue Nationalisten, eine unerfahrene und unzuverlässige Demokratie. Litauen und Polen lagen im Clinch miteinander, die Tschechen trennten sich von der Slowakei, Ungarn stritt gleich mit mehreren Nachbarn. In den baltischen Staaten loderten entlang der russischen Grenze immer wieder nationalistische Unruhen auf: Fast immer ging es um die Rechte ethnischer Minderheiten und Nachbarschaftskonflikte. Nach den Jahrzehnten des erzwungenen Stillhaltens unter sowjetischer Herrschaft war das der Nährboden für nationalistische Bewegungen in vielen mittel- und osteuropäischen Ländern. Wie heute in der Ukraine, so diskutierte damals in Estland das Parlament über Einschränkungen für die starke russischsprachige Minderheit in der jungen Demokratie.
Sinneswandel in den Regierungen der 15 "alten" EU-Mitgliedsstaaten
Das sorgte schließlich für einen Sinneswandel in den Regierungen der 15 "alten" EU-Mitgliedsstaaten. Die Angst vor gefährlichen Nachbarn war irgendwann größer als die Angst vor den Kosten. Man habe die Wahl, resümierte damals der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker: Entweder bringe die Europäische Union Stabilität nach Osten, oder der Osten bringe seine Instabilität nach Westen.
1993, auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen, beschlossen die Regierungschefs der Mitgliedsländer deshalb, den mittel- und osteuropäischen Ländern den Beitritt zu ermöglichen. Wichtigste Bedingungen: Einhaltung der Menschenrechte, Schutz von ethnischen Minderheiten, Beilegung sämtlicher Grenzstreitigkeiten. Heather Grabbe von der Open Society Foundations in Brüssel sieht darin den Startschuss für die beispiellose Transformation einer ganzen Region:
"Entscheidend war nicht der Zeitpunkt des Beitritts, sondern der Prozess, der zu diesem Beitritt führte. Die Länder mussten, um beitrittsfähig zu werden, viele Gesetze ändern, viele Reformen durchführen. Die Aussicht auf die Mitgliedschaft hat die ganze Gesellschaft hinter diesem Ziel zusammengeschweißt und Interessensgruppen zurückgedrängt, die diese Reformen gern verhindert hätten. Das hat den Regierungen ermöglicht, die Länder schneller umzubauen als das sonst möglich gewesen wäre."
Um für die EU-Mitgliedschaft fit zu werden, mussten die Kandidatenländer sämtliche EU-Vorschriften in ihre nationalen Gesetze einarbeiten - und darüber hinaus in der Praxis umsetzen: Fabriken mussten zum Beispiel Abgasfilter einbauen, Städte mussten Kläranlagen bauen. Handelsrecht, Verbraucherschutz, Hygienevorschriften, insgesamt 80.000 Seiten an EU-Vorgaben waren zu erfüllen.
Politiker aus Mittel- und Osteuropa klagten gelegentlich, ihre Länder würden von der Europäischen Union deutlich strenger behandelt als die Altmitglieder. Dieser Verdacht war sicher nicht ganz falsch, zumal etliche EU-Regierungen die Osterweiterung gerne noch ein paar Jahre hinausgezögert hätten. Dabei zeigte die Beitrittszusage der EU längst Wirkung: Alle Kandidaten kümmerten sich um ihre nationalistischen Brandherde, mühten sich um Minderheitenschutz und zeigten sich demonstrativ friedfertig im Umgang mit ihren Nachbarn.
Der polnische Journalist und Schriftsteller Adam Krzeminski erinnert sich, wie die Menschen in seinem Land Härten und persönliche Einschnitte in Kauf nahmen, damit Polen die verlorenen Jahrzehnte so schnell wie möglich aufholen konnte. Diese Stimmung habe auch die Politik dominiert.
"Einerseits gab es vor dem Beitritt eine enorme Euphorie und eine Selbstdisziplinierung aller politischen Gruppierungen. Sie konnten sich innenpolitisch zanken, aber alle haben das Ziel des Beitrittes verfolgt."
Wir mussten das Rad nicht neu erfinden, resümiert die ungarische Europaabgeordnete Edit Herczog. Die Europäische Union habe ihrem Heimatland ein demokratisches und marktwirtschaftliches System angeboten, von dem viele Ungarn in Zeiten von Kommunismus und Planwirtschaft geträumt hätten.
"Die europäischen Vorschriften und Gesetze waren für Ungarn die Messlatte, an der sich die Modernisierung der ungarischen Gesellschaft, der ungarischen Industrie, des ganzen ungarischen Regierungs- und Verwaltungssystems orientiert hat. Diese europäischen Vorgaben, die von den Ungarn mit großem Enthusiasmus umgesetzt wurden, waren die wichtigste Antriebskraft für die Veränderungen des Landes."
Viele Entwicklungen, die in Westeuropa 50 Jahre und länger mehr brauchten, erreichten Polen, Tschechien, die Slowakei, Slowenien und Ungarn in knapp 15 Jahren. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen - als ehemalige Sowjetrepubliken - anfangs gar nicht auf dem Radarschirm der EU, holten noch schneller auf. Sie hatten es besonders eilig, in die Europäische Union zu kommen. Denn sie fürchteten, dass ein erneuter Machtwechsel in Moskau ihre Souveränität wieder infrage stellen könnte. Russland stellte immer wieder die Grenzen infrage. Bis heute existiert zum Beispiel kein gültiger Grenzvertrag zwischen Estland und Russland.
Die hohen Wachstumsraten von Estland bis Ungarn widerlegten die ursprünglichen pessimistischen Vorhersagen. Die Investitionen und auch die Löhne stiegen schneller als angenommen, die Abwanderung fiel niedriger aus als befürchtet. Etwa zwei Milliarden Euro jährlich überwies die Europäische Union im Durchschnitt von 1993 bis zum Beitritt als Unterstützung für die wirtschaftliche Anpassung an die Rest-EU. Der größte Teil der Gesamtkosten aber wurde von den Kandidatenländern selber aufgebracht.
Probleme wegen unzureichender Vorbereitung
Ein großer Teil der Probleme, die aus der Osterweiterung der EU entstanden, hat mit der unzureichenden Vorbereitung einiger Länder und den Machtkämpfen innerhalb der alten EU zu tun. Bei Bulgarien und Rumänien beispielsweise wurde schnell deutlich, dass sie mit dem Reformtempo der anderen nicht mithalten konnten. Alte Kader und neue Oligarchen blockierten alle Versuche, die ausufernde Korruption einzudämmen. Doch anstatt den Regierungen der beiden Länder klarzumachen, dass sie ohne durchgreifende Justizreformen nicht in die Europäische Union aufgenommen würden, bestand Frankreich darauf, dass Rumänien und Bulgarien bei der Osterweiterung dabei sein müssen.
In Paris hatte sich nämlich die Ansicht festgesetzt, dass Deutschland durch die Erweiterung der EU sowohl geografisch als auch politisch stärker in die Mitte der EU rücken würde. Rumänien dagegen gilt in Frankreich wegen seiner lateinischen Wurzeln als frankophil, als Gegengewicht also. Als offensichtlich wurde, dass Rumänien und Bulgarien zum Beitrittstermin 2004 auf keinen Fall reif sein würden, ließ Paris als spätestes Aufnahmedatum 2007 festschreiben – egal, ob beide Länder ihre Reformen bis dahin umgesetzt haben würden. Ein Beschluss mit verheerenden Konsequenzen, wie der bulgarische Europaabgeordnete Andrey Kovatchev einräumt:
"Das Gerichtssystem ist 20 Jahre nach der Wende immer noch nicht unabhängig von gewissen Einflüssen. Die Mehrheit der Bevölkerung in Bulgarien hat den Eindruck, dass Gerechtigkeit nicht gewährleistet ist."
Auch Slowenien und Zypern wurden in die EU aufgenommen, obwohl sie die wichtigsten Kriterien nicht erfüllten. Slowenien streitet seit seiner Unabhängigkeit 1991 mit Kroatien um einen Küstenabschnitt am Mittelmeer, Zypern ist als geteilte Insel nicht einmal mit sich selbst im Reinen. Für Slowenien hatten sich vor allem Österreich und Deutschland stark gemacht. Österreich wegen seiner wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Nachbarland, Deutschland aus alter politischer Verbundenheit. Den Beitritt Zyperns hat Griechenland sogar förmlich erzwungen. Da die Aufnahme neuer Mitglieder einstimmig beschlossen werden muss, drohte Athen die ganze Osterweiterung scheitern zu lassen, sollte Zypern nicht beitreten dürfen.
Alte Konflikte wurden größer
Die alten Konflikte dieser Länder sind seit dem Beitritt nicht kleiner, sondern größer geworden. Slowenien hat seinen neuen Status als EU-Mitglied ausgenutzt und die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien verzögert, um beim Streit um die Küste Vorteile herauszuschlagen. Und die griechischsprachige Regierung Zyperns zeigt sich als EU-Mitglied bei allen Friedensverhandlungen mit dem türkischen Nordzypern kompromissloser als je zuvor. Und die EU muss machtlos zuschauen, denn solange die Länder in die Europäische Union aufgenommen werden wollten, solange konnte Brüssel Druck machen. Als Mitglieder können sich Zypern, Slowenien, Rumänien und Bulgarien nun zurücklehnen - Brüssel kann drängen, aber nichts mehr erzwingen.
"Nach dem Beitritt gab es das Gefühl, na ja, jetzt sind wir drin, und niemand kann uns was diktieren."
Adam Krzeminski, polnischer Schriftsteller, hat diesen Stimmungswandel auch in Polen erlebt. Das Gefühl des sicheren EU-Beitritts habe nicht nur den Reformeifer gedämpft, sondern auch eine gewisse Ernüchterung mit sich gebracht. Fast 15 Jahre lang hätten die Menschen in Polen oder Ungarn oder Estland vieles in Kauf genommen und geschluckt, nur um in die EU aufgenommen zu werden. Als dieses Ziel erreicht war, da kam plötzlich alles hoch, was den Polen, Ungarn oder Esten nicht so gefiel: Zum Beispiel die Geringschätzung durch die Altmitglieder, die sich darin ausdrückte, dass die Neuen in den ersten Jahren geringere EU-Zuschüsse für ihre Landwirtschaft und für Infrastrukturmaßnahmen erhielten. Dazu die Übergangsfristen, die den neuen EU-Bürgern erst mal sieben Jahre lang die Freiheit verweigerten, in den anderen EU-Ländern zu arbeiten. Das alles habe das Image der EU stark eingetrübt, meint Adam Krzeminski:
"Auf der anderen Seite muss man zugeben, dass die EU durchaus als eine normgebende Instanz akzeptiert wird. Die europäischen Institutionen wie die Kommission und auch das Parlament haben größere Wertschätzung als die nationalen. D. h. Es ist also das Gefühl da: Es ist gut, dass es einen Schiedsrichter gibt, falls wir verrückt spielen, der uns da sagt, es ist gut, dass wir euch dabei haben, aber es gibt Konditionen, die man erfüllen muss."
Fast alle neuen EU-Länder hatten irgendwann eine Zeit, in der die Europabegeisterung vorübergehend in vehemente Ablehnung umschlug. Die Slowakei unter dem autoritären Nationalisten Vladimir Meciar zum Beispiel, oder Polen in den Jahren 2006 bis 2010, als die Brüder Lech und Jaroslaw Kaczinski das Land in eine europaskeptische Richtung führten. Tschechien hatte diese Phase unter Präsident Vaclav Klaus bis 2013. In Ungarn, wo Viktor Orban einen nationalkonservativen Kurs mit starken populistischen Elementen eingeschlagen hat, dauert sie noch an. Die ungarische Sozialdemokratin Edit Herczog glaubt, dass die Europäische Union allein durch ihre Existenz Schlimmeres verhindert. Trotz einer weitverbreiteten Kritik an der EU wolle die Mehrheit der Bevölkerung in Ungarn die Vorteile der Mitgliedschaft nicht aufs Spiel setzen.
"Unglücklicherweise wird Europa in unseren Medien derzeit nicht gut dargestellt. Das hängt damit zusammen, dass die Regierung die Medien an die Leine gelegt hat. Aber es wäre falsch, wenn Europa da jetzt einschreiten würde. Die EU sollte vielmehr wie ein Stern am Himmel stehen und den Menschen in Ungarn einfach nur zeigen, wo es lang geht."
"Neuen EU-Mitglieder demokratisch stabil genug, um auch schwierige Zeiten durchzustehen"
Die Politikwissenschaftlerin Heather Grabbe von der Open Society Foundations sieht das ähnlich. Zehn Jahre nach ihrem Beitritt seien die neuen EU-Mitglieder demokratisch stabil genug, um auch schwierige Zeiten durchzustehen. Die Osterweiterung hat aus ihrer Sicht den Kontinent sicherer gemacht. Vor allem aber ist die Politikforscherin überzeugt, dass die Osterweiterung das Problembewusstsein in der Europäischen Union geschärft habe:
"Einige der neuen Mitglieder brachten Probleme mit Korruption in die Europäische Union, aber sie lenkten auch die Aufmerksamkeit auf die Korruption in den alten Mitgliedsstaaten. Seit dem Beitritt schreibt die EU-Kommission jedes Jahr einen Korruptionsbericht."
Die mittel- und osteuropäischen Länder, die 2004 neu hinzugekommen sind, zählen heute zu den Wachstumsmotoren der Europäischen Union. Die Wirtschaft dort wächst stärker als im Rest der EU, die Verschuldung ist geringer, die Wirtschaftsreformen sind entschlossener und erfolgreicher. Vor allem Polen hat in den letzten Jahren in der EU zunehmend Führungsaufgaben übernommen.
Während in den alten EU-Ländern die Skepsis gegenüber der Europäischen Union wächst, wird Brüssel in den 2004 beigetretenen Mitgliedsländern zunehmend als wichtige Stütze für politische Stabilität und steigenden Wohlstand erlebt. Die Zustimmung zur EU hat dort in den letzten fünf Jahren wieder deutlich zugenommen.
Vielleicht ist es die positive Erfahrung der eigenen Entwicklung, die diese Länder heute zu vehementen Anwälten ihrer Nachbarländer macht, die noch nicht dazu gehören. Polen, Slowakei und die baltischen Länder drängen die übrigen EU-Staaten, der Ukraine endlich die Beitrittsperspektive zu eröffnen. Grund sind nicht nur traditionelle nachbarschaftliche Beziehungen, dahinter steht auch der Wunsch nach mehr Sicherheit und Stabilität an den Ostgrenzen ihrer Länder. Zu Recht, findet der polnische Journalist und Publizist Adam Krzeminski und warnt davor, mit der Ukraine denselben Fehler wie einst mit Jugoslawien zu machen. Anfang der 90er Jahre habe die EU die aufkeimenden Unruhen und Nationalitätenkonflikte in Jugoslawien geflissentlich ignoriert:
"Hätte Jugoslawien die Perspektive gehabt, aufgenommen zu werden unter den klaren Konditionen, dann hätten wir das Gemetzel in Jugoslawien unter Milosevic nicht gehabt."
Drei Jugoslawienkriege später war die Europäische Union so weit - und bot den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens die Perspektive eines EU-Beitritts. Seitdem hat sich die Lage dort deutlich beruhigt. Auf lange Sicht, glaubt Adam Krzeminski, werde die EU nicht darum herum kommen, auch Länder wie die Ukraine aufzunehmen, um sie zu stabilisieren. Doch auch in Moldawien, Armenien, Georgien rumort es seit langen. Selbst wenn sich die EU bisher weigert, über einen Beitritt dieser Länder zu reden, irgendwann könnte sie gezwungen sein, darüber nachzudenken. Wie es aussieht, ist die Osterweiterung der Europäischen Union wohl noch nicht vorbei.