Noch ist das Gerangel um die Neubesetzung im vollen Gange. Erst im Januar wird sich endgültig entscheiden, wer auf den Sozialdemokraten Martin Schulz an der Spitze des europäischen Parlaments folgen wird. Und doch zeichnen sich bereits jetzt erste Konturen ab. Denn seit gestern ist klar: Manfred Weber, der einflussreiche Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, wird nicht - wie eigentlich von vielen Beobachtern in Brüssel erwartet - seinen Hut in den Ring werfen:
"In dem demokratischen Spiel haben die Fraktionsvorsitzenden die Aufgabe, Politik zu betreiben. So wie wir das auch im Bundestag und in den Landtagen kennen. Das ist mein Platz, das ist meine Aufgabe. Deswegen bin ich jetzt der Manager des Verfahrens in der Fraktion, um einen Kandidaten zu präsentieren. Aber ich bin kein Kandidat."
Martin Schulz hat aus dem Amt viel gemacht
Was sich zunächst wie Machtverzicht anhört. Doch der Eindruck täuscht: Denn die Amtszeit des Parlamentspräsidenten ist auf zweieinhalb Jahre begrenzt, Martin Schulz war hier mit seiner insgesamt fünfjährigen Amtsperiode eine einmalige Ausnahme. Zudem ist der Einfluss des Parlamentspräsidenten beschränkt. Es war der Sozialdemokrat Schulz, der durch seine Persönlichkeit deutlich mehr aus dem Amt gemacht hat als seine Vorgänger. Womit er jedoch auch viele im Parlament vor den Kopf gestoßen hat. Der Fraktionschef der Grünen, Philippe Lamberts:
"Die kleinen Fraktionen wurden einfach marginalisiert. Alles wurde vorher vereinbart. Das lag natürlich nicht nur an Schulz, sondern an der Konstruktion der informellen großen Koalition. Damit haben wir kaum Einfluss auf die Gesetzgebung. Einfach weil wir nicht gebraucht werden".
Parlamentspräsident Schulz habe aber bei dieser Entwicklung, so der Vorwurf, eine maßgebliche Rolle gespielt. Das könnte sich nun mit dem Wechsel an der Parlamentsspitze ändern - zumindest, wenn es nach Manfred Weber geht. Der Christsoziale will das Präsidentenamt wieder auf Normalmaß zurechtstutzen. Der oder die Nachfolgerin sollen künftig wieder mehr repräsentieren, weniger gestalten:
"Klar ist, dass die Fraktionen das eigentliche Sagen haben. Weil dort Politik gemacht wird. Zwischen der Europäischen Volkspartei, den Christdemokraten und der Sozialdemokratie in Europa werden die Gespräche geführt. Wird der Konsens gesucht. Und die zwei Fraktionsvorsitzenden sind am Ende auch die, die die Entscheidungen fällen. In welche Richtung Europa gehen muss - mit dem Mandat, was wir von den Bürgern haben."
Die Fraktionen im Parlament sollen mehr Macht bekommen
Damit wird klar: Der vermeintliche Verzicht von Weber auf das Präsidentenamt ist in Wahrheit ein direkter Griff nach der Macht. Vorausgesetzt natürlich, die europäischen Sozialdemokraten stimmen dieser Achsenverschiebung zu.
Was das in letzter Konsequenz bedeuten könnte, ist noch nicht absehbar: Wie wird es künftig um die Zusammenarbeit zwischen Parlament und Kommission gestellt sein, die bislang maßgeblich von der Freundschaft zwischen Schulz und Jean Claude Juncker geprägt war? Wer wird das Parlament bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs vertreten, etwa auch die Fraktionschefs? Und wird ein eher repräsentativer Präsident von der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen?
Trotzdem, bei den Grünen gibt es durchaus Sympathie für den Vorstoß von Weber:
"Wenn Manfred Weber meint, dass sich die Konferenz der Präsidenten wieder auf die Rolle des politischen Taktgebers besinnt und wir nicht mehr einen Präsidenten wie König Schulz haben, dann ist das eine gute Sache. Wenn wir wieder eine kollektive Führung sind."
Wobei Weber für die Post-Schulz-Zeit bereits die besondere Rolle und Verantwortung der beiden großen Fraktionen herausgestrichen hat. Was sich nicht unbedingt danach anhört, als wolle der Bayer künftig die Macht mit den kleineren politischen Gruppen im EU-Parlament wirklich teilen.