Wenn morgen das Europäische Parlament über den Bericht der niederländischen SPD-Abgeordneten Kati Piri zur Lage in der Türkei abstimmen wird, dann steht eines bereits jetzt fest: Das Parlament werde in großer Geschlossenheit auftreten, freut sich der Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber:
"Wir wissen um die Probleme im Rat bei der Türkeifrage. Dass es dort verschiedene Lager gibt. Angesichts dieser Lage bin ich stolz darauf, dass sich das Europäische Parlament als die große Bürgerkammer, als die Kammer des großen europäischen Einigungswerks, dass wir in der Lage sind, eine parteiübergreifende Position zu entwickeln".
Tatsächlich ist die Geschlossenheit erstaunlich, liegen doch gerade beim Umgang mit der Türkei auch innerhalb der Fraktionen die Meinungen oft weit auseinander. So tritt die EVP in der Sache hart auf, steht sie den Beitrittsverhandlungen seit jeher kritisch gegenüber. Während die linken Parteien eher auf Dialog setzen. Doch auch die Grünen können mit dem jetzt ausgehandelten Kompromiss leben, obwohl er aus Parlamentssicht eine Verschärfung der Gangart gegenüber der Türkei bedeutet. Die Fraktionsvorsitzende Ska Keller:
"Wir als Grüne tragen einen Kompromiss mit, der sagt: Wenn die Umsetzung des Referendums ohne Änderung erfolgt, dann müssen wir über kurz oder lang die Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union offiziell aussetzen. Und das ist wirklich ein massiver Schritt. Aber wenn das nicht passiert, wenn es Verbesserungen gibt, dann muss das eben doch nicht passieren. Also der Ball liegt bei der Türkei."
EU verfügt über weitere Druckmittel
Wobei kaum einer daran glaubt, dass der türkische Präsident Erdogan nach dem aus seiner Sicht erfolgreichen Referendum zur Verfassungsänderung den Kurs in Richtung Autokratie noch einmal korrigieren wird. Am Ende sind es jedoch die EU-Außenminister, die über die europäische Türkei-Politik entscheiden müssen. Der Piri-Bericht des Parlaments also nur eine Wortmeldung ohne Bedeutung für die Türkei? Der Außenpolitik-Experte der SPD, Knut Fleckenstein, widerspricht:
"Ja es wird manchmal mehr wahrgenommen als manchmal in der Europäischen Union. Weil viele Menschen natürlich genau gucken, was passiert jetzt, wie werden unsere Beziehungen zu Europa sein? Wird es jetzt trotz Referendum einfach weitergehen? Werden neue Hürden aufgebaut, um es herauszögern zu können?"
Zumal die EU über zusätzliche Druckmittel verfügt – denn die Türkei hofft weiterhin auf eine Ausweitung der bestehenden Zollunion und auch die von der EU in Aussicht gestellte Visaliberalisierung ist noch immer nicht in trockenen Tüchern. Aber Europa müsse auch realistisch sein, fordert Fleckenstein:
"In einer Zeit, in der systematisch Herr Erdogan die Tür zuhält oder zuschlägt, so zu tun, als würde man ernsthaft über einen Beitritt der Türkei zur EU sprechen können, das ist zynisch. Und das ist auch nicht okay gegenüber den Menschen in der Türkei und auch nicht gegenüber unseren europäischen Mitbürgern."
Grüne wollen weiter auf Dialog setzen
Trotzdem sei es ein schwieriger Spagat, räumt die Grüne Ska Keller ein. Einerseits die ständigen Rechtsverstöße in der Türkei nicht einfach hinzunehmen und gleichzeitig weiter auf Dialog zu setzen:
"Wir sind hier in Straßburg und in der Türkei entscheiden Erdogan und seine Partei. Deswegen ist schon die Frage, was können wir noch mehr tun? Für uns als Grüne ist es wichtig, dass wir gerade den Kontakt zur Zivilgesellschaft aufrechterhalten. Mit unseren Kollegen und Freundinnen und Freunden in Kontakt bleiben. Auch nach wie vor in die Türkei reisen. Und uns dort ein Bild von der Lage verschaffen und den Kontakt nicht abbrechen".
Dennoch: Das EU-Parlament wird morgen mit der Verabschiedung des Piri-Berichts Flagge zeigen. Sowohl der türkische Präsident als auch die EU-Außenminister werden dieses deutliche Signal kaum einfach ignorieren können.