Die Deutsche Rebecca Harms führt die grüne Fraktion im EU-Parlament seit sieben Jahren. Gestern wurde bekannt, dass sie den Fraktionsvorsitz abgeben will und sprach von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Fraktion zu wichtigen Themen wie Flucht, Sicherheit und den Beziehungen zu Russland.
Im Deutschlandfunk erklärte sie heute ihre Beweggründe und sagte: "Mein Eindruck ist eben, dass es mir nicht geglückt ist, die Fraktion so bedingungslos pro Europäische Union aufzustellen, wie das in diesen Zeiten und dieser Auseinandersetzung gefragt ist."
Dabei gehe es vor allem um die grundsätzliche Einstellung vieler Fraktionskollegen zur EU. Trotz berechtigter Auseinandersetzungen und Kritik seien wir in einer Situation angelangt, in der alle sehr genau wüssten, dass die EU verglichen mit der übrigen Welt der beste Platz sei für diejenigen, die demokratische Systeme schätzten. Dieses positive Anerkennen des gemeinsam Erreichten, was in historischer Perspektive ein Wunder sei, gehe ein Stück weit verloren.
Zu wenig Stolz auf Errungenschaften der EU
"Es gibt in meiner Erfahrung eine zu starke Ja-Aber-Haltung", sagte Harms. Als Beispiel nannte sie den Streit über das Handelsabkommen CETA zwischen EU und Kanada. Man könne sich ja Gedanken darüber machen, was falsch laufe. "Aber die Behauptung, dass die Verhandlungsführer insgesamt Europa undemokratischer machen wollten, diese Behauptung habe ich nie geteilt, und trotzdem ist die sehr dominant geworden."
Manchmal werde die Auseinandersetzung so gestaltet, dass das, was die EU tatsächlich erreicht habe - nämlich Frieden, Stabilität, Sicherheit, Demokratie und relativen Wohlstand für immer mehr Menschen auf dem Kontinent – dass das gar nicht mehr gesehen werde.
Harms deutete an, dass die deutsche Abgeordnete Ska Keller, die als ihre Nachfolgerin gehandelt wird, für einen anderen Kurs steht: "Also die Wahl findet in der Fraktion statt. Ich hab Ihnen gesagt, dass ich glaube, das in dieser Fraktion auch im Vergleich zu der Fraktion, die ich in der letzten Legislatur mitgeführt habe, es tatsächlich eine politische Verschiebung gegeben hat."
Keller sieht gemeinsame Stoßrichtung
Am Morgen hatte sich auch Ska Keller im Deutschlandfunk zu Auseinandersetzungen innerhalb der europäischen Grünen geäußert, allerdings zurückhaltender als Harms. Angesprochen auf den Rückzug von Harms anlässlich des Streits über die Haltung zu Russland sagte Keller: "Die Einheit ist natürlich in der gesamten EU bei den Staats- und Regierungschefs auch nicht einfach herzustellen. Die Frage ist ja auch, was ist das beste Mittel? Ich glaube, es ist ja auch keine ganz einfache Frage. Aber ich denke, in der Stoßrichtung sind sich schon alle mehr oder weniger einig."
Ob sie als Nachfolgerin für Harms in Frage komme, dazu wollte Keller nichts sagen. Und sie antwortete auch nicht auf die Frage, was sie in Bezug auf Russland anders machen würde als Rebecca Harms.
Im Deutschlandfunk-Interview hatte sich Keller zuvor erleichtert geäußert, dass CETA gerade durch die belgische Region Wallonie blockiert wird. "Ich bin sehr froh, dass es endlich doch eine Möglichkeit zu geben scheint, CETA zu stoppen", sagte sie. Immerhin gebe es nicht nur dort, sondern in vielen Teilen Europas Widerstand gegen das Handelsabkommen.
Keller: Bürger sollen sich nicht auf Regierungen verlassen
Indirekt beklagte sie ein Demokratiedefizit, weil viele Menschen in der EU nicht direkt über das Abkommen abstimmen dürften. Dass die Regierungen über CETA entscheiden und diese Entscheidung damit demokratisch legitimiert sei, sieht Keller nicht ganz so. Sie glaube nicht, dass es ein gutes Konzept sei, wenn sich die Bürger darauf verlassen würden, "dass das, was ihre Staats- und Regierungschefs da irgendwo unterschreiben, dass das schon seine Richtigkeit haben wird".
Die Grünen-Abgeordnete forderte, die Parlamente nicht erst bei der Abstimmung zu beteiligen, sondern schon bei der Erteilung des Verhandlungsmandats. Es sei wichtig, dass man von Anfang an alle Beteiligen im Boot habe.
Keller und Harms waren gemeinsam Spitzenkandidatinnen der europäischen Grünen für die Europawahl 2014.