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EU-Poker um neuen Kommissionschef
Manfred Weber steht bitterhartes Ringen bevor

2019 wird EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker abtreten. Wer sein Nachfolger wird, ist noch völlig offen. Manfred Weber will für die Europäische Volkpartei kandidieren. Der CSU-Politiker müsse noch viele Hürden überwinden, sagt Brüssel-Korrespondent Peter Kapern im Dlf.

Peter Kapern im Gespräch mit Katrin Michaelsen |
    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament, während des CSU-Parteitages in München
    Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament (imago / Sven Simon)
    EU-Spitzenkandidat zu sein, ist kein einfacher Job. Jean-Claude Juncker weiß das:
    "Ich habe mich mit dieser Frage schwerer getan, als viele denken. Weil, ich war ja das Versuchskarnickel 2014. Und dieses Karnickel ist nicht ohne Schmerz durch die europäische Landschaft gegangen, gegeistert und getrieben worden."
    …gegangen, gegeistert, getrieben worden. 2019 wird Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionpräsident aufhören, das ist klar. Wer aber sein Nachfolger wird, das ist noch völlig offen. Für den Chefsessel bei der mächtigen Behörde in Brüssel werden Nachfolger gesucht. Das heißt: Für die politischen Strategen gibt es viel zu tun, denn das Tauziehen um den nächsten EU-Kommissionspräsidenten, das beginnt jetzt.
    Das Problem: Die Kandidaten dürfen sich nicht selbst ins Rennen bringen, sondern müssen vorgeschlagen werden, als Spitzenkandidat einer europäischen Partei.
    Katrin Michaelsen: Peter Kapern in Brüssel, wieso muss eigentlich der künftige EU-Kommissionspräsident diesen Umweg über dieses Spitzenkandidaten-Verfahren nehmen?
    Peter Kapern: Ja, das Interessante daran ist, dass er es streng genommen gar nicht muss. Denn wenn man sich die Rechtsgrundlage mal anschaut, die EU-Verträge, da steht, dass der künftige Kommissionspräsident von den Regierungschefs, dem Europaparlament zur Wahl vorgeschlagen wird, und zwar im Lichte der Ergebnisse der Europawahl. So steht das da. Das soll also heißen, das Vorschlagsrecht der Regierungschefs ist insofern eingeschränkt, als dass sie bei ihren Überlegungen, wen sie da zum Kommissionspräsidenten machen wollen, im Blick behalten sollen, welche Parteienfamilie die Wahl gewonnen hat. Das ist die rechtliche Ausgangslage. Und dann ist es gewissermaßen, und das erstmals im Vorfeld der Europawahlen 2014, zu einem Machtkampf der EU-Institutionen gekommen, oder genau genommen, das Europaparlament hat sich zusätzliche Macht angeeignet, haben die Europaabgeordneten gesagt, wir wollen den Zustand beenden, dass die Kommissions-Spitze und andere Spitzenjobs, aber vor allem in diesem Fall die Kommissions-Spitze im Hinterzimmer von den Regierungschefs ausgeküngelt wird. Und deswegen verlangen wir, dass Spitzenkandidaten nominiert werden. Und wir beschließen, dass vom Europa-Parlament niemand zum Kommissions-Präsidenten gewählt wird, der vorher nicht Spitzenkandidat war. Das kann man als Revolte einer EU-Institution bezeichnen, die das Ziel hatte, diese Hinterzimmer-Gekungel der Regierungschefs zu beenden.
    Manfred Weber hat seine Kandidatur gut vorbereitet
    Michaelsen: In der Europäischen Volkpartei, der EVP war ja recht früh der Name Manfred Weber zu hören – Weber will offenbar heute Mittag seine Kandidatur verkünden? Wie sicher ist denn, dass der CSU-Politiker am Ende auch nominiert wird?
    Kapern: Ich glaube, Manfred Weber hat seine Kandidatur gut vorbereitet, strategisch und von langer Hand geplant. Und Manfred Weber ist ja ein in Brüssel parteiübergreifend geschätzter Politiker, der konsensorientiert arbeitet. Um nominiert zu werden, muss er zwei Hürden nehmen: Zum einen muss er von der eigenen Partei, genauer gesagt, von CDU und CSU vorgeschlagen werden. Ich glaube, das ist auf den Weg gebracht. Am kommenden Montag tagen die Partei-Vorstände, da wird das dann formell beschlossen, und zum anderen braucht er die Unterstützung zweier weiterer Parteien aus der Parteienfamilie der EVP, und ich denke auch diese Hürde wird er leicht nehmen. Ja, und dann kommt der Partei-Kongress der europäischen Volkspartei, der EVP, am 8. November in Helsinki. Gut möglich, dass er es da mit Gegenkandidaten zu tun bekommt. Genannt werden da immer Michel Barnier, der Brexit-Unterhändler, der hat aber das Problem, dass die Brexit-Verhandlungen bis dahin nicht abgeschlossen sind. Genannt wird auch Alexander Stubb, der ehemalige finnische Ministerpräsident, der in der Tat gerade versucht herauszufinden, wie viel Unterstützung er denn in Europa finden würde. Aber es ist ebenso gut möglich, dass Manfred Weber diese Abstimmung dann gewinnt, ja, und dann wäre er Spitzenkandidat der EVP.
    EU-Regierungschefs gegen EU-Parlament
    Michaelsen: Bundeskanzlerin Merkel unterstützt Manfred Weber als Spitzenkandidaten, sie legt sich aber nicht fest, was den nächsten Kommissionspräsidenten angeht. Was steckt dahinter?
    Kapern: Dafür gibt es meines Erachtens zwei Gründe: Zum einen haben die Regierungschefs immer noch nicht ihren Frieden gemacht mit dieser Machtaneignung durch das Europaparlament, wodurch die Regierungschefs ja de facto nur noch die zweite Geige spielen bei der Bestallung des so wichtigen Kommissionspräsidenten. Und zum anderen stehen wir möglicherweise vor sehr komplizierten Verhältnissen im nächsten Europaparlament. Prognosen zufolge werden die etablierten Parteien kräftig Sitze einbüßen. Eine neue Gruppe, nämlich die "En Marche"-Abgeordneten von Emmanuel Macron wird in das Europaparlament einziehen. Ja, und dann wird damit gerechnet, dass die Populisten deutlich zulegen. Und dann kann es sein, dass eine Koalition von mehr als zwei Parteien geschmiedet werden muss - das hat bisher immer gereicht -, um überhaupt eine Mehrheit im Europaparlament hinzubekommen für einen Kommissionspräsidenten. Und da ist eben unsicher, ob da im Zuge dieser Verhandlungen, die sich dann entwickeln werden nach den Europawahlen, nicht irgendwann die Forderung präsentiert wird, jemand anderen zum Kommissionspräsidenten zu ernennen, der nicht schon als Spitzenkandidat angetreten war. Und das wäre dann die Endstation für die Ambitionen von Manfred Weber - wenn es denn so kommt, wenn sich das Europaparlament das gefallen ließe. Aber gestern, beispielsweise, war bei den Sozialdemokraten nochmal zu hören: Wir wollen natürlich, dass unser Spitzenkandidat, also der sozialdemokratische, zum Kommissionspräsidenten gewählt wird. Aber alleroberste Priorität hat für uns, dass das Hinterzimmer-Gekungel der Regierungschefs, nicht wieder eingeführt wird.
    Transnationale Listen perfekte Ergänzung zum Spitzenkandidaten-Verfahren
    Michaelsen: Das Spitzenkandidaten-Verfahren kam ja bisher erst einmal zur Anwendung: bei der Europawahl 2014. Und ganz unumstritten ist das ja nicht. So hat der französische Präsident Emmanuel Macron transnationale Listen ins Spiel gebracht. Jetzt ist von transnationalen Listen keine Rede mehr. Was ist denn da passiert?
    Kapern: Na ja, bei Licht betrachtet wären diese transnationalen Listen ja die perfekte Ergänzung zum Spitzenkandidaten gewesen, denn es ist ja so, dass Manfred Weber nur das Etikett des Spitzenkandidaten tragen würde. Aber er wäre nur in Deutschland wählbar. Denn die Europawahl besteht ja - so wenn man sich das genau anschaut - aus getrennten Wahlen in den einzelnen Mitgliedsstaaten, und deren Ergebnisse werden dann zusammengerechnet. Macrons Vorschlag lief darauf hinaus, Parteien grenzübergreifend antreten zu lassen. Und an der Spitze dieser transnationalen Listen hätten dann Spitzenkandidaten gestanden. Die Mehrheit der Regierungschefs hat darin einen Startvorteil für Emmanuel Macron und "En Marche" gesehen, haben das deshalb abgebügelt. Und im Gegenzug hat gestern Christophe Castaner, der Parteimanager von "En Marche", gesagt: Wenn wir im Europaparlament einziehen, dann werden wir keine Koalitionen bilden mit Parteienfamilien, die das Spitzenkandidatenverfahren unterstützt haben. Also: Das wird ein hartes, bitterhartes Ringen nach den nächsten Europawahlen.
    Michaelsen: Danke. Unser Brüsseler Korrespondent, Peter Kapern, war das über politische Chancen und Schachzüge bei der Suche nach einem neuen EU-Kommissionspräsidenten.