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EU-Polit-Serie "Parlament"
Im Haifischbecken

Von Shark-Finning bis zum Krümmungsgrad von Schlangengurken - EU-Gesetzesentwürfe muten mehr und weniger sinnvoll an. Die Working-Place-Sitcom "Parlament" wirft einen satirischen Blick auf das EU-Parlament, die Menschen dort und die Probleme, die sie verhandeln - Klischees inklusive.

Von Achim Hahn |
Frau im schwarzen Anzug
Christiane Paul in der ARD Serie "Das Parlament" (www.imago-images.de)
Das Eu-Parlament - ein Haifischbecken. Das erfährt der junge Samy Kantor bereits an seinem ersten Arbeitstag als parlamentarischer Assistent des französischen Abgeordneten Michel Specklin. Der hat es sich bisher in seinen drei Amtsjahren erfolgreich zur Aufgabe gemacht, sich vor seinen Verpflichtungen als Abgeordneter zu verstecken,
"Mr. Specklin!"
... wie eine Schabe wenn’s Licht angeht.
"Mr. Specklin hast to come now to the coordinator-meeting of the fisheriers committee. Can you get him please?" – "Monsieur Specklin?!"
Windige Lobbyisten, seltsame Politikbberater
Auf seinen Job ist EU Politneuling Samy trotz seines Studiums absolut nicht vorbereitet, und sein Abgeordneter ist auch alles andere als hilfreich. Samy sucht sich Verbündete und gerät gleich zu Beginn an die Falschen: an windige Lobbyisten, eigennützig handelnde Assistenz-Kollegen oder seltsame Politikberater.
"That’s gonna be a problem! – What?!"
Im bürokratischen Dickicht unbekannter EU-Praxisgepflogenheiten und seltsam anmutender Kompromisse sieht Samy sich plötzlich mit einer schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert: er soll für seinen Abgeordneten einen Gesetzesentwurf gegen das "Shark-Finning", das Abtrennen von Haifischflossen, entwerfen und im Parlament auf den Weg bringen, was ihm wiederum den Spitznamen "Samy the shark" einbringt.
"We live in an era of attention-seekers: Nigel Farage, Boris Johnson and now you."
Selbstdarsteller Boris Johnson und Nigel Farage
Die Serie "Parlament" beginnt im Oktober 2018, zur Zeit der Selbstdarsteller und siegreichen Witzfiguren wie Nigel Farage und Boris Johnson, unmittelbar nach einer feuchtfröhlichen Brüsseler Brexit-Jubiläums-Feier, die jeden Montag von den Briten zelebriert wird. Die kriegen satirisch noch eins drüber, indem sie u.a. eine naiv-unpolitische und den Brexit befürwortende, britische Abgeordnete karikiert. Die hat nämlich nichts weniger im Sinn, als zu puzzeln und über 56x auf EU Kosten nach London zu fliegen, um sich das Musical "Cats" anzusehen - quasi aus patriotischen Gründen:
"It’s cats! That show is a national pleasure. Everyone would understand. It’s patriotic in a way."
Die deutsche Abgeordnete Ingeborg, ein Politprofi, gespielt von Christiane Paul, intrigiert im Hintergrund und will den Shark-Finning-Gesetzentwurf von Samy torpedieren. Mithilfe der Spanier plant sie nämlich eine Änderung der Verfahrensordnung durchzusetzen, um den Populisten in Europa Einhalt zu gebieten.
"Ja die Sache ist erledigt. Sie können den Spaniern zusagen, dass der Änderngsantrag zum Finning nicht zur Abstimmung gelangen wird. Es hat mich keinerlei politisches Kapital gekostet. Ich habe ihn mit einer gefälschten Einreichungsstelle reingelegt. Er hat den Antrag bei einem meiner Leute abgegeben. Ich weiß, es ist ein wenig unorthodox, aber ich habe doch gesagt: Ich bin zu allem bereit."
Die Zuschauer sind gefordert
Und damit wird schnell eines deutlich: nicht nur Samy verliert in dem Gestrüpp des EU-Politikmachens den Überblick, auch die Zuschauer sind extrem gefordert. Obwohl die Serie viel mit den sattsam bekannten Klischees arbeitet, die wir alle von der EU-Bürokratie im Kopf haben.
"Nun ja, also erst zieht er seinen eigenen Änderungsantrag zurück, um ihn dann durch seinen Assistenten über die extreme Rechte wieder auf den Tisch zu bringen. Ich meine mal ganz ehrlich, wenn wir die Franzosen verstehen müssten, um diese Institutionen aufzubauen, dann würden wir immer noch über die Anzahl der Sterne auf der Flagge diskutieren. (hahaha)"
Man schmunzelt über skurrile Abgeordnete und die komplizierten Abläufe, wie Politik hinter den Kulissen gemacht wird. Und merkt dabei schnell, wie sehr man sich als Zuschauer an den eigenen Kopf fassen müsste, da man im Grunde extrem wenig über das ganze Brüsseler Prozedere weiß.
"Gesetze sind wie Würste. Man sollte besser nicht dabei sein, wie sie gemacht werden."
In 10 Folgen à 30 Minuten gelingt es dieser humorvoll-satirischen und auch selbstironischen Serie...
"A TV-Show about Europe? Boaring!"
... die Tücken und Absurditäten der EU-Politik ins Zentrum zu rücken, und doch seine Hauptfiguren nicht aus dem Auge zu verlieren, z.b. durch die zaghaft sich andeutende Liebesgeschichte zwischen dem französischen Politassistenten Samy und seiner britischen Kollegin Rose,
Samy: "Are you here to have sex with me?"
Rose: "Christ no!"
Samy: "That’s a very strong reaction."
Mehrsprachigkeit als Konzept
Die Mehrsprachigkeit des Parlaments gehört dabei von Anfang an zum filmischen Konzept; die deutschen Untertitel der sehr schnellen Dialoge verlangen aber auch höchste Aufmerksamkeit. Dabei gehen viele kleine, filmische Details unter, die zur Satire beitragen: z.B. die Haifischflossen aus Zuckerguss auf den Muffins, die während eines Events zur Information über das Finning gereicht werden. Oder auch die versteckten Verweise auf andere Filme oder Serien wie z.B. "The West Wing"
"Accept the world as it is! The Knacki is here to be eaten!"
Die Serie "Parlament" ist unterhaltsam, manchmal albern, bedient nationale Klischees wie die Knack-Wurstvorliebe der Deutschen, und führt sie in ihrer Absurdität gleich wieder vor. Und sie versucht uns wachzurütteln. Ein humorvolles Plädoyer für die Demokratie, für ein gemeinsames Europa - trotz aller EU-Kritik im Detail. Erzählt als witzige, sympathische Geschichte von einem, der im Haifischbecken schwimmen lernt und sich doch für die Raubfische politisch stark macht. Sehens-wert!
Ab morgen, 29.9. online first in der ARD Mediathek, ab 6. Oktober, dienstags um 20.15 Uhr in ONE.