Über Europa reden Politiker gern. In der Münchner Villa des Centrums für Angewandte Politikforschung sitzen sie heute an großen Tischen und lassen es sich von Studierenden erklären. Die Politikwissenschaftsstudentin Louise Ohlig aus Frankfurt, 24 Jahre alt, beschäftigt sich mit der Migrationspolitik.
"Ich denke, dass das Problem bei Solidarität zum einen erstmal ist, dass Solidarität von Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich verstanden wird. Und dass deswegen einfach eine Diskussion über Solidarität schon unabhängig vom konkreten Gegenstand schwierig ist."
Die EU-Kommission hat das Forschungsprojekt ausgeschrieben, 12 Studierende aus ganz Deutschland wurden ausgewählt. Sie befragten Experten zu den Themen Wirtschafts-, Außen- oder Migrationspolitik der EU – um daraus Handlungsempfehlungen für die Politiker abzuleiten. Studentin Louise Ohlig bezeichnet sich als leidenschaftliche Europäerin. Dass es um das Gemeinschaftsprojekt gerade nicht zum Besten steht, hat sie hautnah erlebt - auf ihrem Erasmus-Austausch in Irland.
Mehr Engagement für Europa
"Ich kann mich noch daran erinnern, dass alle ins Bett gegangen sind und gedacht haben: Brexit, nie im Leben! Und am nächsten Morgen sind wir aufgewacht und haben uns nur gedacht: Was ist denn da passiert? Und ich glaube, da liegt auch ein ganz großes Verschulden bei den jungen Menschen. Und deswegen sollten gerade wir jungen Menschen uns auch wieder mehr dafür einsetzen."
Für sie war Europa während des Austausches eine große Bereicherung.
"Während meines Erasmus-Aufenthalts habe ich zusammengewohnt mit einem Türken, einer Niederländerin, einem Deutschen, einer Schwedin und einer Französin. Und das war multikulti und das war supercool. Das hat so viel Spaß gemacht, abends zusammenzusitzen, Barbecue zu haben, Pizza zu backen und, auch wenn wir uns auf Englisch verständigt haben – wir waren auch in Irland: Waren wir uns trotzdem alle so einig, wie das Ganze funktioniert. Und das fand ich einfach fantastisch."
Uneinig über Flüchtlingspolitik
Eher weniger einig ist man sich gerade in der europäischen Politik. Zum Beispiel in der Frage, wie man mit Geflüchteten umgehen soll. Politikstudentin Sarah Stemmler aus München erforschte die Frage am Beispiel der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex, indem sie Experten dazu wissenschaftlich interviewte.
"Es ist irgendwie so ein rechtlicher Graubereich und so eine unklare Zuordnung von rechtlicher Verantwortung, dass es halt einfach zu Menschenrechtsbrüchen kommen kann und auch kommt. Und dass es nicht wirklich verfolgt werden kann."
Die 21-Jährige gibt zu. Völlig neutral konnte sie beim Thema Menschen in Not nicht bleiben.
"Für mich stand von Anfang an fest, dass ich an das Thema nicht nichtnormativ 'rangehen kann, weil das hätte ich mit mir selber auch nicht vereinbaren können, glaube ich, am Schluss dann Ergebnisse zu präsentieren, ohne Stellung zu beziehen und auch zu werten. Aber dann ist auch die Frage: Wie bringt man diese Wertung so rüber, dass sie auch ernst genommen wird."
Notwendiger Konsens
Realpolitik: Um möglichst alle Staaten zur Aufnahme von Bootsgeflüchteten zu bringen, schlagen die Studierenden erst einmal niedrige Sozialstandards vor, mit denen alle EU-Länder leben könnten. Und einheitliche Aufnahmekriterien. Florian Siekmann, Landtagsabgeordneter der Grünen, stimmt hier zu.
"Also, das ist natürlich nicht so, dass ich mir jetzt als Land 100 Merkmale ausdenke, die auf eine Liste Packe und sage: Wenn ihr so jemanden habt, - genau da greifen wir zu."
Mit der EU-Außenpolitik hat sich die Passauer Kulturwirtschaftsstudentin Helena Link in ihrer Arbeitsgruppe beschäftigt. Zum Beispiel mit der Idee einer gemeinsamen Armee.
"Wir als Gruppe schlussfolgern bezüglich der europäischen Armee: weniger, aber effizienter. Hier muss geschaut werden, dass man nicht alles über einen Kamm schert. Man kann nationale Souveränität auf dem Gebiet einfach nicht so schnell vereinigen, das ist ein sehr intimes Thema: die Sicherheit und Verteidigung der einzelnen Nationalstaaten und da kann geschaut werden, wo punktuell oder auch ad hoc gemeinsame Ansätze funktionieren."
Die Erforschung der EU und ihrer Konflikte – sie hat bei der 22-Jährigen auch Zweifel hinterlassen.
"Ich glaube, in meinem Fall ist schon auch ein Fragezeichen entstanden, inwiefern dieser Konsens der Mitgliedstaaten in fast allen Themen auseinanderdriftet, irgendwann, wenn man ganz genau nachhakt. Und inwiefern es möglich ist, da langfristig noch ein Interesse beizubehalten, da doch auf EU-Ebene Sachen anzugehen und nicht wieder zurückzufallen in: Okay, was will aber eigentlich Polen, was will eigentlich Deutschland, was will eigentlich Italien? - und daran festzuhalten."