David McAllister, CDU-Europaabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament, hat die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 verteidigt. Der CDU-Politiker sagte im Interview der Woche im Deutschlandfunk, bei aller berechtigten politischen Kritik sei Nord Stream 2 "ein vollständig genehmigtes Projektes in Einklang mit nationalem und internationalem Recht".
McAllister äußerte sich auch zu den Androhungen von US-Sanktionen gegen die Erdgaspipeline: "Die Sanktionsandrohungen aus den USA sind unangemessen, vor allen Dingen auch in der Hinsicht, dass wir uns nicht von Drittländern vorschreiben lassen sollten, wo und wie wir unsere Energie beziehen.", sagte er.
Abbruch von Nord Stream 2 hätte schwerwiegende wirtschaftliche Folgen
Das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 solle die Energiesicherheit Deutschlands und anderer EU-Staaten verbessern. Die Stränge der Unterwasser-Gasleitungen laufen dabei durch die Ostsee vom russischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald. Für viel Kritik sorgt dabei aber besonders die enge Bindung an Russland und den russischen Staatskonzern Gazprom.
Unter Präsident Donald Trump versuchen die USA, durch politischen Druck und mit Hilfe von Sanktionen gegen am Bau beteiligte Firmen die Fertigstellung zu verhindern. Zuletzt brachten die US-Sanktionen die Arbeiten an der Pipeline zum Erliegen, weil sich Verlegeschiffe wegen der US-Maßnahmen zurückzogen. Zudem sind die USA vor allem daran interessiert, ihr Flüssiggas an europäische Staaten zu verkaufen.
Gleichzeitig übte McAllister aber auch die Kritik an dem Projekt, die er auch bei seiner Arbeit im EU-Parlament wahrnehme: "Ich spüre bei meiner Tätigkeit in Brüssel und Straßburg jede Woche wie extrem kritisch unsere osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen dieses Projekt sehen." Es sei aber die Sache der Bundesregierung, wie man mit Nord Stream 2 nun weiter umgehe. Sollte man das Projekt jetzt abzubrechen, hätte dies auch schwerwiegende wirtschaftliche Folgen, sagte der CDU-Europaabgeordnete.
Fall Nawalny zeige Skrupellosigkeit des russischen Machtapparats
Der Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen bezog auch Stellung zum Giftanschlag des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. "Der Fall von Alexej Nawalny zeigt einmal mehr die Skrupellosigkeit des russischen Machtapparats", sagte McAllister. Der CDU-Politiker forderte eine "lückenlose Aufklärung des Falls" unter internationaler Beteiligung von Experten, denn es sei nicht der erste Mal, dass Menschen in Russland "Opfer von geheimdienstlichen Aktivitäten werden". Die internationale Gemeinschaft erwarte Antworten, und die Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden. "Aus meiner Sicht sind weitere Sanktionen erforderlich", sagte McAllister. Das Vertrauen zu den Russen befinde sich auf einem neuen Tiefpunkt.
Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Bettina Klein: Wir stehen jetzt am Freitagnachmittag am Ende einer Woche, die geprägt war durch die Nachricht, durch diesen Schock aus Berlin über die Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Man könnte auch sagen: ein Anschlag mit einem chemischen Nervengift aus der Gruppe Nowitschok, das bereits mehrfach zum Einsatz kam gegen russische Oppositionelle oder gegen Personen, die der russischen Führung unliebsam waren.
Die Verurteilung war massiv, die Bundeskanzlerin hat sich für ihre Verhältnisse sehr deutlich dazu geäußert. Die Europäische Union ruft nach einer internationalen Antwort und behält sich weitere Schritte vor, sollte Russland jetzt nicht zur Aufklärung beitragen. Glauben Sie, Herr McAllister, dass es dazu kommen wird, dass es eine gründliche und transparente Aufklärung jetzt durch die russischen Behörden geben wird?
David McAllister: Der Fall von Alexej Nawalny zeigt einmal mehr die Skrupellosigkeit des russischen Machtapparats. Das ist ja nicht der erste Giftanschlag gegen russische Oppositionelle in der jüngsten Vergangenheit. Das ist ein unverzeihlicher Skandal und das ist ohne jeden Zweifel eine weitere ganz schwere Belastung zu den Beziehungen mit Russland. Das Vertrauen ist auf dem Tiefpunkt und deshalb haben viele – auch das Europäische Parlament – gefordert, dass es jetzt eine unabhängige und transparente Untersuchung dieses Falles geben muss.
Der Fall muss lückenlos aufgeklärt werden. Und da es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Verbot chemischer Waffen handelt, sollte auch internationale Beteiligung garantiert sein, beispielsweise mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, auf jeden Fall: die internationale Gemeinschaft erwartet Antworten und die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
Klein: Aber auch die Europäische Union sagt ja, jetzt sind erst mal russische Behörden am Zuge, denn das Ganze ist passiert auf russischen Boden, gegen einen russischen Staatsbürger. Meine Frage war: Gehen Sie davon aus, dass es dazu kommen wird und wenn ja, in welchem Zeitraum?
McAllister: Nun, die russischen Behörden haben ja bekannt gegeben, dass erste Ermittlungen angeblich aufgenommen worden sein sollen. Es bleibt abzuwarten, wie ernsthaft diese russischen Bemühungen tatsächlich dann aussehen werden. Aber zu einer unabhängigen und transparenten Untersuchung, sagen wir im Europäischen Parlament, sollte es auch eine internationale Beteiligung geben. Natürlich müssen die russischen Behörden da mitmachen, aber es ist doch klar, dass das Vertrauen in die russischen Behörden nun alles andere als groß mehr ist.
"Ein vollkommen inakzeptables Vorgehen der Russen"
Klein: Mehr als einhundert Europaabgeordnete haben gestern einen offenen Brief geschrieben an die deutsche Ratspräsidentschaft und auch an den Außenbeauftragten und sie sind – Sie haben es gerade auch angedeutet – extrem skeptisch, dass die Behörden in Russland willens und in der Lage sind, wirklich die Hintergründe dieses Verbrechens zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Wie viel Zeit sollte man jetzt Moskau geben, in welchem Zeitraum muss jetzt ein Signal kommen von dort: Wir sind wirklich bereit, uns an dieser Aufklärung zu beteiligen?
McAllister: Es muss zügig ein Signal aus Moskau kommen, denn die gesamte Weltöffentlichkeit schaut ja jetzt auf Putin und seine Leute. Deutschland hat mit der Aufnahme von Herrn Nawalny Verantwortung übernommen und die Bundesregierung hat sich richtigerweise hart in ihrer Reaktion gezeigt. Und jetzt liegt es daran, dass Deutschland mit den Partnern in der Europäischen Union und in der NATO genau prüft, wie auf diesen schwerwiegenden Vorfall reagiert werden kann.
Aus meiner Sicht sind weitere Sanktionen erforderlich. Es muss eine konsequente Antwort geben und dazu zählen auch drastischere Maßnahmen als die alle sechs Monate bisher bestehenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die alle sechs Monate verlängert werden müssen. Nein, wir brauchen eine geschlossene europäische Reaktion, eng abgestimmt auch mit unseren Partnern USA, Kanada, Australien, Japan, um nur einige zu nennen. Das ist wirklich ein vollkommen inakzeptables Vorgehen der Russen und wie gesagt leider ein weiterer Tiefpunkt und schwere Belastung in unseren Beziehungen.
Klein: In welchem Moment sollten Ihrer Meinung nach diese nächsten Schritte jetzt folgen? Also aus Moskau hört man jetzt eigentlich nur: "Es ist der Berliner Patient und wir weisen im Augenblick jede Verantwortung von uns." In welchem Augenblick muss die Europäische Union jetzt handeln?
McAllister: Wie gesagt, ich würde das jetzt nicht auf einen konkreten Zeitpunkt beschränken, ob man nun in Tagen oder Wochen arbeitet. Aber die Botschaft des Westens, des politischen Westens, muss klar sein, dass wir an der Seite von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehen und es geht nicht an, dass ein Mensch, der sich nichts zuschulden hat kommen lassen, außer dass er seine Opposition zum Putin-Regime geäußert hat, dass der vergiftet wird. Und es gibt ein ganzes Instrumentarium von Maßnahmen, die eingesetzt werden könnten gegen einzelne Personen oder Einrichtungen: das Einfrieren von Vermögenswerten, Reisebeschränkungen, Wirtschaftssanktionen für bestimmte Güter und Branchen.
Wie schwer die Sanktionen ausfallen werden und wann sie in Kraft treten hängt jetzt maßgeblich davon ab, ob die russischen Behörden bereit sind zur Kooperation oder nicht. Sie merken an meiner Reaktion, dass ich selbst wirklich schwer verärgert bin über diesen Vorgang und deshalb hat ja auch der Auswärtige Ausschuss bereits am Dienstag im Europäischen Parlament diesen Einsatz des chemischen Nervenkampfstoffs Nowitschok auf das Allerschärfste verurteilt.
"Beziehungen zwischen der EU und Russland seit langem schwer belastet"
Klein: Gleichzeitig, und das sollten wir auch nicht verschweigen, gibt es ja auch in der deutschen Öffentlichkeit Stimmen, die sozusagen Moskau den benefit of the doubt geben wollen und ähnlich wie die russische Führung argumentieren, es sei nicht erwiesen, wer dahinter steckt, man können jetzt noch nicht Verantwortliche ausmachen. Und es gibt schon ganz gezielt auch diese Theorien, die verbreitet werden, möglicherweise will man das gezielt Russland in die Schuhe schieben.
Gregor Gysi von den Linken etwa hat vermutet heute, das sei gezielt gemacht worden, um Nord Stream 2 torpedieren zu können. Ist das aus Ihrer Sicht eine ganz klare Verschleierungstaktik, ist das nur als Fake News zu behandeln oder muss man dem auch einen Raum geben in der Debatte?
McAllister: Also diese Reaktionen aus der Linkspartei, die traditionell eher Putinfreundlich auftritt überraschen jetzt nicht. Wenn das ein Einzelfall wäre, dann könnte man das ja möglicherweise auch so betrachten. Aber schon mehrfach sind ja solche schwersten Rechtsverletzungen und Tabubrüche begangen worden. Es ist nicht das erste Mal, dass Menschen Opfer von geheimdienstlichen Aktivitäten werden und diese Aktion reiht sich ja ein in eine ganze Reihe von politisch hoch fragwürdigen Verletzungen internationalen Rechts und Tabubrüchen durch Russland, sei es die Einmischung in ausländische Wahlen, sei es die Annexion der Krim, sei es der Konflikt in der Ostukraine, sei es die Unterstützung für den barbarischen Diktator Assad in Syrien oder jüngst die Rückendeckung für Herrn Lukaschenko in Belarus, wo Moskau auch eine undurchsichtige Rolle spielt.
Kurzum, die Beziehungen zwischen der EU und Russland sind seit langem schwer belastet und nicht ohne Grund haben wir ja seit März 2014 nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der bewussten Destabilisierung der Ukraine ja auch restriktive Maßnahmen gegen Moskau verhängt und das muss jetzt alles sehr sorgfältig analysiert werden. Immer in enger Abstimmung mit der EU und unseren NATO Partnern.
Klein: Ich würde gerne noch auf die internationalen Implikationen gleich kommen. Vielleicht noch mal bei dem Punkt bleiben, den ich auch gerade erwähnt habe, nämlich Nord Stream 2. Das Europaparlament ist seit langem gegen dieses deutsch-russische Projekt. Der Druck scheint jetzt noch mal größer zu werden, das doch noch zu stoppen, kurz vor der Fertigstellung. Sollte das geschehen, sagen Sie das auch?
McAllister: Zum Projekt Nord Stream 2 kann man verschiedene Sichtweisen haben. Eine steht aus meiner Sicht definitiv fest: Man hat zu Beginn dieses Projekts die europäischen und außenpolitischen Implikationen zu wenig in die Analyse einbezogen. Und ich spüre bei meiner Tätigkeit in Brüssel und Straßburg jede Woche, wie extrem kritisch unsere osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen dieses Projekt sehen.
Die Entscheidung, wie es mit Nord Stream weitergeht, wie Nord Stream 2 im Lichte der jüngsten Ereignisse beurteilt werden kann, das ist eine Entscheidung, die die Bundesregierung zu treffen hat. Die Bundesregierung hat ja in den letzten 48 Stunden deutlich gemacht, dass man das eine von dem anderen trennen will. Man verweist darauf, dass Nord Stream 2 ein vollständig genehmigtes Projekt ist, das in Einklang mit nationalem und internationalem Recht gebaut wurde. Und dass das Projekt jetzt abzubrechen auch schwerwiegende wirtschaftliche Folgen hätte.
Wie gesagt, es ist eine Entscheidung, die die Bundesregierung zu treffen hat. Natürlich immer abgestimmt mit den Partnern in der Europäischen Union, aber mir ist sehr wohl bewusst, dass dieses Projekt natürlich ein wirtschaftliches Projekt ist, aber es hat auch eine geostrategische, geopolitische Dimension und mit ist sehr bewusst, wie kritisch das gesehen wird in Polen oder im Baltikum.
"Sanktionsandrohungen aus den USA sind unangemessen"
Klein: Und nicht nur dort. Das Europaparlament hat sich ja auch, glaube ich, mehrfach im Plenum und auch in den Ausschüssen dagegen gewandt. Also es sind jetzt nicht nur die Osteuropäer und die Balten.
McAllister: Nein, das Europäische Parlament hat sich in einem Russlandbericht skeptisch zu diesem Projekt geäußert und das ist auch die mehrheitliche Meinung meiner eigenen Fraktion, der Europäischen Volkspartei.
Klein: Aus den USA drohen nun extraterritoriale Sanktionen gegen Nord Stream 2. Das wird von der EU und, glaube ich, auch von dem Parlament abgelehnt. In der Sache aber wird diese Ablehnung ja, wir haben es gerade angesprochen, durchaus geteilt und es gibt natürlich auch in Teilen Europas ein Frohlocken darüber, dass die USA damit den Nord Stream 2 Kritikern zur Hilfe kommt, wo sie sich in der EU selbst nicht Gehör verschaffen konnten. Wie blamiert steht Berlin, steht die Bundesregierung jetzt eigentlich da?
McAllister: Die kritische Haltung der Vereinigten Staaten von Amerika zu Nord Stream 2 ist hinreichend bekannt. Auf der anderen Seite sind diese angedrohten exterritorialen Sanktionen nicht akzeptabel. Die Europäische Union lehnt grundsätzlich Sanktionen durch Drittländer gegen EU Unternehmen ab, die rechtmäßig Geschäfte tätigen.
Wie gesagt, Nord Stream 2 ist bei aller politischen Kritik ein vollständig genehmigtes Projekt, das im Einklang mit nationalem und internationalem Recht gebaut wird. Die Sanktionsandrohungen aus den USA sind unangemessen, vor allen Dingen auch in der Hinsicht, dass wir uns nicht von Drittländern vorschreiben lassen sollten, wo und wie wir unsere Energie beziehen.
Klein: Die neue Gasrichtlinie soll ja jetzt auch auf Nord Stream 2 Anwendung finden, Russland klagt bereits dagegen. Damit ist das Unbundling verbunden, also Trennung von Durchleitung und Produktion. Und das war auch etwas, was das Europäische Parlament sich ja auch gewünscht hat. Gehen Sie davon aus, dass das noch ein Hebel sein wird, dass quasi dieses Projekt noch zum Scheitern gebracht wird?
McAllister: Rechtlich ist dieses Projekt aus meiner Sicht nicht zu stoppen. Es ist eine politische Frage, ob man Nord Stream 2 vollenden will oder nicht. Und diese politische Bewertung hat die Bundesregierung vorzunehmen. Und das werden wir in den nächsten Tagen und Wochen ja weiter beobachten. Ich weiß, dass in Berlin auf der einen Seite natürlich die wirtschaftlichen Folgen berücksichtigt werden müssen und das tun die Bundesminister auch in ihrer Verantwortung. Aber auf der anderen Seite ist auch in Berlin vielen natürlich nicht die anhaltende Kritik in der Europäischen Union an diesem Projekt unbekannt geblieben.
"Die EU muss in den nächsten Jahren außenpolitisch reifen"
Klein: Herr McAllister, die EU ist außenpolitisch aus bekannten Gründen oft nicht wirklich handlungsfähig. Sie will und kann ihre Politik auch nicht militärisch untermauern. Wo soll die Europäische Union eigentlich jetzt ihre Stärke jetzt beziehen, um sich selbst eben und ihre Werte, ihre Gesellschaftsordnung hier zu verteidigen angesichts dessen, was wir im Augenblick zum Beispiel in Russland, in China andernorts sehen, wo die Europäische Union sich positionieren muss?
McAllister: Ich finde im Fall Belarus hat die Europäische Union sich schnell und klar positioniert. Wir haben uns an die Seite der Bürgerinnen und Bürger, der hunderttausenden von Menschen, gestellt, die jedes Wochenende auf die Straße gehen, um friedlich gegen diese Wahl, die ja gar keine richtige Wahl war, und gegen Wahlmanipulation zu protestieren. Ich habe ja selbst in der letzten Woche im informellen Außenministertreffen der Europäischen Union in Berlin teilgenommen. Und man hat sich ja grundsätzlich darauf verständigt, dass jetzt eine konkrete Liste von Individuen, darunter auch hochrangige politische Akteure, vorbereitet wird, um dann auch Sanktionen zügig in Kraft treten zu können, eben auch als Signal, dass wir nicht bereit sind, dieses ungeheuerliche Verhalten der belarussischen Behörden zu akzeptieren.
Klein: Die Europäische Union bisher setzt vor allen Dingen auf Dialog. Sie pocht auf ihren friedlichen und zivilen Ansatz vor allen Dingen, sieht sich aber immer wieder und immer stärker Mächten gegenüber, die sich darüber eher lustig machen über diese Forderungen. Wie muss sich die Europäische Union jetzt positionieren, wenn wir vielleicht noch mal auf den Aspekt jetzt auch schauen, wenn wir auf eine mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump uns einstellen müssen, wenn vielleicht auch die Sicherheitsarchitektur in Europa ins Bröseln gerät? Müssen da aus Ihrer Sicht grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden?
McAllister: Die Europäische Union ist handelspolitisch eine Weltmacht. Wir sind auf Augenhöhe mit allen anderen Kräften dieser Erde, ob mit den Vereinigten Staaten von Amerika oder China. Warum? Weil wir uns zusammen getan haben, weil wir mit einer Stimme sprechen und eben für 430 Millionen Menschen in 27 Mitgliedsstaaten auftreten können. In der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind wir noch lange nicht so weit.
Wir müssen in den nächsten Jahren außenpolitisch reifen. Jean-Claude Juncker hat einmal gesagt: "Die Europäische Union muss Weltpolitikfähigkeit erlernen." Das heißt, wir müssen in der Europäischen Union unsere außenpolitischen Positionierungen schneller durchführen, effizienter durchführen. Wir müssen mit einer Stimme sprechen, wir müssen selbstbewusst auftreten. Und das ist eine Aufgabe in den nächsten Jahren.
Nicht ohne Grund hat ja Ursula von der Leyen ihre Kommission als geopolitische Kommission bezeichnet. Dahinter verbirgt ja auch sich dieser Anspruch, dass wir weltpolitisch robuster auftreten. Also Begriffe wie strategische Autonomie, strategische Souveränität, die müssen mit Leben erfüllt werden und deshalb müssen wir unsere Außenpolitik in der Art und Weise, wie wir es machen, reformieren. Und ich erwarte auch, dass die global strategy der Europäischen Union aus dem Jahre 2016 auf den neuesten Stand gebracht wird, dass sie überarbeitet wird. Nicht zuletzt auch mit Blick auf die außenpolitischen Implikationen der COVID-19 Pandemie.
"Bedauere, dass das Vereinigte Königreich nicht mehr in der EU ist"
Klein: Bei vielen dieser außenpolitischen Fragen, vermissen Sie da eigentlich die Briten als Partner, die ja doch auch immer wieder eine entscheidende Rolle gespielt haben, gerade bei Sanktionen? Viele sind ja froh, dass sie sich sozusagen jetzt verabschiedet haben, aber an der Stelle in Sachen Außenpolitik, wären sie jetzt ein guter Partner im Augenblick?
McAllister: Ich bedauere in vielfacher Hinsicht, dass das Vereinigte Königreich nicht mehr in der Europäischen Union ist. Natürlich ist eine Europäische Union mit 28 Mitgliedsstaaten inklusive des Vereinigten Königreichs stärker als mit 27 ohne. Und das Vereinigte Königreich ist neben Frankreich die führende militärische Macht in Europa. Das Land hat einen permanenten Sitz im Weltsicherheitsrat und das Vereinigte Königreich war ja auch über 40 Jahre eine besondere Brücke der Europäischen Union hin zu den Ländern des Commonwealth, zu den zahlreichen englischsprachigen Ländern.
Also insofern fehlen die Briten natürlich auch, und wir wollen ja auch bei unseren künftigen Beziehungen versuchen, in außen- und sicherheitspolitischen Fragen so eng wie möglich mit London zusammenzuarbeiten. Auf der anderen Seite möchte ich auch sagen, dass die ersten Schritte, die wir in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik seit 2016 gegangen sind mit dem European Defense Fund, mit der Permanent Strukturierten Zusammenarbeit PESCO, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die konnten die Mitgliedsstaaten ja nur gehen, weil die Briten ihren grundsätzlichen Widerstand aufgegeben haben.
Das heißt, so etwas wie PESCO, wo ja mittlerweile 25 von 27 EU Mitgliedsstaaten mitmachen, um zu identifizieren, wo man gemeinsam militärisch besser zusammenarbeiten kann, das wäre mit einem voll aktiven EU-Mitglied Großbritannien wahrscheinlich sehr viel schwieriger geworden.
Klein: Jetzt geht es darum, die Zukunftsbeziehungen zu gestalten und das sieht im Augenblick, wenn ich das richtig wahrnehme, äußerst düster aus. Die nächste Verhandlungsrunde wird am Montag weitergehen. Michel Barnier hat sich in dieser Woche noch mal extrem ernüchtert und auch kritisch gezeigt. Außenpolitik ist da nur ein Punkt, wo es offensichtlich nicht weitergeht. Was ist die Perspektive jetzt aus Ihrer Sicht? Sehen Sie noch eine Möglichkeit, ein Zukunftsabkommen jetzt hinzubekommen bevor dann am 31. Dezember endgültig Schluss ist mit den Regelungen der EU für Großbritannien?
McAllister: In der Tat, am Montag beginnt die achte Verhandlungsrunde zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union. Leider sind wir ja weiterhin weit von einer Vereinbarung über die künftigen Beziehungen entfernt. Es sind vor allen Dingen zwei Felder, wo es erhebliche Gegensätze gibt.
Zum einen beim so genannten Level Playing Field, also den fairen Wettbewerbsbedingungen und bei der Fischereipolitik. Als Vorsitzender der UK Coordination Group verfolge ich ja seit Februar sehr aufmerksam die Verhandlungen, bin in einem wöchentlichen Austausch mit Michel Barnier und mein Eindruck ist, die Europäische Union hat in den letzten Wochen Verständnis für die roten Linien gezeigt, die der britische Premierminister gezeigt hat. Immer mit Blick darauf, dass wir eine für beide Seiten akzeptable Lösung finden wollen. Aber das Gleiche erwarten wir auch von unseren britischen Nachbarn.
Klein: Also liegt die Bringschuld eindeutig bei den Briten im Augenblick?
McAllister: Die Europäische Union hat dem Vereinigten Königreich aus meiner Sicht ein sehr attraktives Angebot gemacht, einen zollfreien, quotenfreien Zugang zum weltweit größten Binnenmarkt für einen Drittstaat, das hat es in dieser Form noch nie gegeben. Aber unsere Bedingungen dafür sind, dass es einen robusten Rahmen für gleiche Wettbewerbsbedingungen geben muss, einschließlich der staatlichen Beihilfen. Und die britische Regierung muss allmählich abwägen, was sie denn will.
Ab dem 1. Januar wird das Vereinigte Königreich definitiv aus dem Binnenmarkt und aus der Zollunion ausscheiden. Und jetzt ist die Frage: kriegen wir es hin, unsere zukünftigen Beziehungen auf eine rechtlich, politisch, wirtschaftlich vernünftige Grundlage zu stellen? Oder droht eben ein harter Bruch zum 1. Januar? Und das ist eine Abwägung, die die britische Politik zu treffen hat.
Klein: Glauben Sie, dass Boris Johnson pokert an der Stelle oder dass er tatsächlich anstrebt und sagt: "Es ist eigentlich egal, ob wir ein Abkommen haben werden."
McAllister: Das ist eine Entscheidung, die die britische Politik zu treffen hat. Natürlich ist in einer solchen Phase auch immer Verhandlungstaktik mit im Spiel. Und wir kennen das ja aus den Verhandlungen für das Austrittsabkommen des Vereinigten Königreichs. Da wurde ja auch oft versucht, in der allerletzten Minute noch Entscheidungen hinzubekommen. Ich möchte aber dieses Interview auch dazu nutzen, für das Europäische Parlament in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass bis spätestens zum 31. Oktober ein fertiger, rechtlich einwandfrei unterschriftsreifer Text vorliegen muss, denn wir brauchen im Europäischen Parlament die nötige Zeit für eine Stellungnahme. Und am Ende ist es ja auch das Europäische Parlament, was das allerletzte Wort in dieser Frage haben wird.
Wir müssen ja mehrheitlich diesem Abkommen über unsere zukünftigen Beziehungen zustimmen. Das ist nicht eine Verhandlungsposition, das ist eine rechtliche und prozessuale Notwendigkeit. Und da es sich um ein Handelsabkommen im Wesentlichen handelt, mit mehreren hundert Seiten Umfang, weiß ich, dass unsere Kolleginnen und Kollegen großen Wert darauf legen, dass sie die Zeit haben, all diese Details im Sinne unserer Bürger und im Sinne unserer Unternehmen auch kritisch zu analysieren.
Klein: In Brüssel weiß man aber: am Ende wird doch noch nach hinten geschoben und geschoben wenn man die Möglichkeit sieht, ein Ergebnis doch noch irgendwie zu erhalten. Also ist das sozusagen das allerletzte Wort oder können wir doch davon ausgehen, dass man sagt, na gut, es reicht ja dann doch, wenn wir vielleicht einen Monat haben oder ein paar Wochen, wenn es die Möglichkeit gibt, eben ein solches Abkommen vor Ende des Jahres noch abzuschließen?
McAllister: Wir haben dieses Thema in der UK Coordination Group öfter erörtert und ich bin mir eigentlich auch mit meinem Kollegen Bernd Lange, dem Vorsitzenden des Handelsausschusses, der ja neben dem Auswärtigen Ausschuss eine besondere Rolle in diesem Verfahren spielt, dass wir darauf bestehen, dass wir hinreichend Zeit haben, diesen Text in aller Sorgfalt zu analysieren. Das Europäische Parlament hat auch bei anderen Handelsabkommen sich nie zeitlich unter Druck setzen lassen. Dieser ganze Zeitdruck ist ja entstanden wegen der britischen Positionierung. Man hat die Möglichkeit einer Fristverlängerung über den 1. Januar hinaus kategorisch ausgeschlossen. Wir haben zusätzlich durch die Pandemie wertvolle Zeit verloren, weil schlicht und ergreifend keine persönlichen Begegnungen bei den Verhandlungen möglich waren. Und jetzt kommen wir eben Anfang September in eine ganz entscheidende Phase und wir brauchen jetzt wirklich Fortschritte in diesen Fragen, wo wir uns seit Wochen ja im Kreise drehen.
Ich habe ja an dem High Level Meeting im Juni zwischen Boris Johnson auf der einen Seite und Ursula von der Leyen, Charles Michel und David Sassoli teilgenommen und ich habe ja gehört, wie der britische Premierminister gesagt hat, man müsste jetzt den Tiger in den Tank packen und im Juli erhebliche Fortschritte machen. Ja, aber diese Fortschritte sind nicht erzielt worden und das obwohl die britische Seite sich ja in der politischen Erklärung, in der political declaration, vom letzten Jahr ja eigentlich, wenn auch nicht rechtlich verbindlich, aber doch politisch klar positionieret hat, dass zu einer Kooperation was den Zugang zum Binnenmarkt angeht eben auch das Bekenntnis zu den fairen Wettbewerbsbedingungen, also dem Level Playing Field, dass das dazu zählt. Und insofern erwarten wir eigentlich nur, dass die britische Seite das, was sie im Oktober letzten Jahres versprochen hat, jetzt konkret umsetzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.