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EU-Präsidentschaft
"Die Slowakei kann relativ wenig gestalten"

Mit dem Vertrag von Lissabon habe die EU-Präsidentschaft, die gerade die Slowakei übernommen hat, nicht mehr die gleiche Rolle wie zuvor, sagte der Politologe Josef Janning im DLF. Es gebe eine "sehr starke Verschiebung des Entscheidungsgewichtes auf den Europäischen Rat". Damit hänge nicht alles an Bratislava. Die Slowakei habe sich zum Beispiel vorgenommen, den digitalen Binnenmarkt voranzubringen.

Josef Janning im Gespräch mit Bettina Klein |
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2008.
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2008. (Imago / Wolf P- Prange)
    Bettina Klein: Mitten in einer Zeit der Krise übernimmt die Slowakei die EU-Ratspräsidentschaft. Mit dieser Einleitung wurde heute vielfach die Nachricht verbreitet, dass das relativ kleine und relativ neue EU-Land sich erstmals in dieser Rolle bewähren muss.
    Mehr dazu von Stefan Heinlein (Beitrag zum Nachhören)
    Die Slowakei hat die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Das waren Information von Stefan Heinlein. Mitgehört hat der Politikwissenschaftler Josef Janning. Er arbeitet am European Council on Foreign Relations in Brüssel. Hallo, Herr Janning.
    Josef Janning: Guten Tag, Frau Klein.
    Klein: Leiten die Slowaken jetzt eine neue Ära in der Europäischen Union ein?
    Janning: Na ja, sie sind dabei mit beteiligt. Die Präsidentschaft hat in der EU mit dem Vertrag von Lissabon nicht mehr die gleiche Rolle. Wir haben ja jetzt den ständigen Präsidenten des Europäischen Rates und wir haben eine sehr starke Verschiebung des Entscheidungsgewichtes auf den Europäischen Rat, sodass nicht alles an Bratislava hängt. Aber die rotierende Präsidentschaft kann schon im Alltag einiges mit bewegen und mit gestalten.
    Klein: Was zum Beispiel?
    Janning: Sie ist ja dafür verantwortlich, die Arbeit im Ministerrat zu koordinieren. Das heißt, da kann es schon darum gehen, Vorschläge vorzubereiten und nicht schleifen zu lassen. Etwa haben die Slowaken sich vorgenommen, im Bereich des digitalen Binnenmarktes Fortschritte zu machen. Das hängt nicht nur von ihnen ab. Aber wenn sie die Agenda treiben, ist das immer ein Unterschied zu einer Präsidentschaft, die dieses Thema nicht interessiert und nicht verfolgt.
    Klein: Ich frage das deswegen, weil politisch ja Bratislava in der Europäischen Union eher in die Kritik geraten ist in den vergangenen Monaten. Es ging da im Wesentlichen um die Flüchtlingspolitik, darum, dass die Verteilquoten juristisch angefochten werden von der slowakischen Regierung. Und man hat es in den ganzen Vorberichten auch so ein bisschen gespürt, dass da ein gewisses Misstrauen da ist, "ausgerechnet die" übernehmen jetzt die EU-Ratspräsidentschaft. Was kann die Slowakei denn in dieser Hinsicht mit anstoßen oder mit bewegen in der Europäischen Union?
    Janning: Nun, da kann sie auch als Präsidentschaft relativ wenig gestalten. Die Präsidentschaft ist immer dann in einer schwachen Position, wenn sie selbst Demandeur ist, das heißt, wenn sie selbst ein ganz spezifisches eigenes Anliegen durchsetzen will, und da ist die Slowakei als Ratspräsidentschaft mit dieser Klage in einer ziemlich unbequemen Situation. Ich erwarte nicht, dass sie dort viel bewegen können, außer dass sie ihre Position immer mal wieder appellativ ins Spiel bringen können. Aber sie haben sich damit selbst gewissermaßen aus dem Spiel genommen.
    Die Europäische Union nach dem Brexit
    Klein: Wie steht die Europäische Union im Augenblick da, Herr Janning, eine Woche, nachdem wir das Ergebnis des Brexit-Referendums kennen? Ist das, was wir gerade erleben, eher ein kluges Abwarten, oder ist das stupide Tatenlosigkeit?
    Janning: Nein. Es wäre ja auch merkwürdig, würde man nun plötzlich in große und inhaltsschwere Pläne einer vertieften Integration einsteigen. Das gibt ja das Konsensniveau unter den Mitgliedsstaaten im Augenblick gar nicht her.
    Klein: Oder das Gegenteil!
    Janning: Ja, das Gegenteil. Ich meine, auch die euroskeptisch gestimmten Regierungen, die slowakische gehört dazu, haben erkannt, dass es für sie sehr nachteilig wäre, wenn man jetzt so eine Desintegrationsdynamik laufen ließe. Das wollen sie nicht. Sie haben sehr deutlich gemacht im Rahmen ihrer Präsidentschaft, dass sie der Meinung sind, dass Europa zusammenhalten muss, denn die Slowaken profitieren wie viele Ostmitteleuropäer ganz deutlich von Europa und sie haben kein Interesse daran, diesen Prozess ins Negative laufen zu lassen. Aber sie sind auch nicht diejenigen, wie viele andere Mitgliedsstaaten auch nicht, die jetzt nun glauben, dass mit einem großen Sprung nach vorne die passende Antwort gegeben wäre.
    Klein: Sehen Sie da inzwischen Gemeinsamkeiten in den Anliegen der ostmitteleuropäischen Staaten, oder bringt das auch nicht viel, wenn man sie alle über einen Kamm schert in ihren Interessen, was jetzt die zukünftige Entwicklung in der EU angeht?
    Janning: Wir haben in den letzten Monaten gesehen, dass sich die Visegrad-Staaten nun wieder stärker abstimmen untereinander, aber sie sprechen gleichzeitig auch verstärkt etwa mit Berlin. Das ist kein schlechtes Zeichen. Damit kann man etwas anfangen. Die Kritik richtet sich daran, dass in dieser EU vieles von Brüssel oder von den Großen bestimmt zu werden scheint, und da, glaube ich, müssen auch die großen Staaten mehr kommunizieren, mehr zuhören und mehr auf andere Mitgliedsstaaten zugehen, um diesen Eindruck zu zerstreuen. Denn das ist Gift für die EU in der Lage, in der sie sich jetzt befindet.
    Klein: Um da noch mal kurz nachzufragen. Das war ja zumindest auch so eine Fragestellung, ob das Außenministertreffen am vergangenen Samstag, was Frank-Walter Steinmeier initiiert hat, auch kontraproduktiv war, weil nur die sechs Gründungsstaaten der EU mit dabei waren, kein Osteuropäer.
    Janning: Ja, ich glaube, das ist nicht produktiv zumindest, wobei man dazu sagen muss, dass Steinmeier dieses Format nicht erfunden hat, sondern das ist etwas, was die Italiener früher im Jahr schon angefangen haben, und da hatte man sich schon vorgenommen, sich in lockerer Folge weiter zu treffen. Aber ich glaube, dass es für Berlin wesentlich darauf ankommen wird, nicht irgendwelche alten Formate aus der Schublade zu holen, die heute in dieser Form nicht mehr liefern können, sondern wirklich gezielt auf Mitgliedsstaaten in unterschiedlichen politischen und geografischen Ecken der EU zuzugehen und ihnen deutlich zu machen, dass man miteinander an einer gemeinsamen Politik arbeiten möchte, dass es darum geht, die Mitte in der Europäischen Union, die politische Mitte in der Europäischen Union wieder stärker zu machen und stärker zu nutzen.
    "Europapolitisch gibt es hier eine weitere Chance für die Österreicher, noch mal zu reflektieren"
    Klein: Abschließend, Herr Janning. Wir haben ungefähr noch eine Minute. Ihre erste Reaktion auf das Urteil in Österreich, die Bundespräsidentenwahl ist gekippt, sie muss wiederholt werden. Welches Signal geht davon jetzt politisch aus?
    Janning: Einmal, dass in den Mitgliedsstaaten die Dinge auch nicht zum Besten stehen. Aber europapolitisch gibt es hier eine weitere Chance für die Österreicher, noch mal zu reflektieren, ob sie eigentlich aus dem Brexit eine Bestärkung der populistischen Argumentation sehen, oder das Gegenteil.
    Klein: Josef Janning vom European Council on Foreign Relations in Brüssel zu den aktuellen Entwicklungen in Europa und zur Übernahme der Slowakei der EU-Ratspräsidentschaft. Herr Janning, danke Ihnen für das Gespräch heute Mittag.
    Janning: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.