Archiv

EU-Programm für Libyen
"Kein Dokument der Abschottung"

Beim EU-Gipfeltreffen in Malta haben die Staats- und Regierungschefs ein Zehn-Punkte-Programm zur Unterstützung des nordafrikanischen Transitlandes Libyen beschlossen. So wollen sie verhindern, dass Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa kommen. Es sei aber "kein Dokument der Abschottung", sagte der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, im DLF.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff
    Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff (imago / Metodi Popow)
    Kritik von Hilfsorganisationen an dem EU-Vorhaben wies Graf Lambsdorff zurück. Denn im Fall von Libyen handele es sich größtenteils um "unregulierte Wirtschaftsmigration", nicht um Kriegsflüchtlinge. Es sei richtig und wichtig, wenn mit dem Programm versucht werde, die Sitation in dem Land zu stabilisieren.
    Allerdings sei das Dokument auch "ein bisschen Ausdruck der Hilflosigkeit", da die Lage im Land extrem schwierig sei. Es sei extrem zersplittert, zudem gefährdeten bewaffnete Milizen die Arbeit von internationalen Organisationen vor Ort. Das Zehn-Punkte-Programm behinhalte außerdem Gemeinplätze und Dinge, die sich nicht so einfach umsetzen ließen, betonte Alexander Graf Lambsdorff. Außerdem käme das Papier viel zu spät.
    Zugleich forderte Graf Lambsdorff die Schaffungs eines Einwanderungsgesetzes für Deutschland und eine gemeinsame Flüchtlingspolitik in Europa. "Deutschland braucht ganz sicher Zuwanderung", da sei es sinnvoller, diese geregelt zu gestalten, anstatt Menschen über illegale Wege nach Europa einreisen zu lassen.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Interview mit Alexander Graf Lambsdorff, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Lambsdorff!
    Alexander Graf Lambsdorff: Ja, schönen guten Morgen nach Köln!
    "Man muss mit allen Akteuren in Libyen reden"
    Zurheide: Herr Lambsdorff, Zehn-Punkte-Plan, was fällt Ihnen als Erstes ein – wichtig, richtig, oder ist das alles nur viel bedrucktes Papier und da kommt wenig bei raus, vor allem weil mit einem solchen Staat in Nordafrika kaum handeln kann?
    Graf Lambsdorff: Ich fürchte, es ist beides. Man muss etwas versuchen zu konzipieren – das hat Annette Riedel ja auch gerade gesagt. Es ist ja ein bisschen ein Ausdruck der Hilflosigkeit dieses Dokuments, wenn man es sich durchliest, zum Teil verbleibt es auch bei Gemeinplätzen, zum Teil verbleibt es bei Punkten, die in der Umsetzung praktisch unmöglich sind. Ich habe in Libyen 2012 eine Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union geleitet, also ich kenne das Land. Und die Zerrissenheit, die Aufsplitterung in verschiedene Clans mit ihren Milizen, die mangelnde Durchgriffskraft dieser Regierung von al-Sarraj über Tripolis hinaus, ist einfach mit Händen zu greifen, sodass ich die eigentliche Hoffnung gar nicht so sehr auf dieses Papier des Europäischen Rates setze, das nach meinen Dafürhalten übrigens auch viel zu spät kommt – man hätte diese Dinge schon längst machen können –, sondern eher auf den Ansatz, den die Italiener gewählt haben, die versuchen, bilateral aus er eigenen Erfahrung mit dem Land da zu helfen und Dinge zu tun. Ich glaube, man muss auch ehrlicherweise sagen, dass es nicht damit getan sein kann, in der Flüchtlingspolitik sich ausschließlich auf die anerkannte Regierung zu stützen, sondern man muss mit allen Akteuren in Libyen reden, und das schließt eben auch General Haftar im Osten des Landes ein. Das ist schwierig, aber ich glaube, es ist der einzige Weg.
    Zurheide: Kommen wir noch mal grundsätzlich auf die Frage, die wird ja auch in diesen Tagen gewogen, und die Kritik gibt es: Die Europäische Union, so wird da gesagt, schottet sich ab, und das sei ein Dokument der Abschottung, man mache am Ende nichts anderes, als Donald Trump mit Mexiko versucht, nämlich eine Art Mauer zu bauen. Ist diese Kritik für Sie berechtigt oder sehen Sie das anders?
    Graf Lambsdorff: Das sehe ich definitiv anders. Es ist völlig richtig, dass man in der Flüchtlingspolitik die Humanität ganz oben anstellt, das ist vollkommen klar, aber wir müssen sehen, dass die allermeisten Menschen, um die es hier geht, eben nicht Flüchtlinge sind aus einem syrischen Bürgerkrieg, die vor Bomben und Chemiewaffen fliehen, sondern es ist im Grunde unregulierte Wirtschaftsmigration, die sich über Libyen Richtung Europa orientiert. Sie kommen zu den allergrößten Teilen aus dem Afrika südlich der Sahara, es handelt sich also mit anderen Worten um eine Wirtschaftsmigration, nicht um Kriegsflüchtlinge. Insofern haben wir es hier auch mit zwei völlig unterschiedlichen Dingen zu tun, und die Kritik der Menschenrechtsorganisationen, die Sie da gerade genannt haben, geht insofern in meinen Augen an der wirklichen Lage vorbei. Diese Menschen werden in Libyen wirklich ganz schrecklich behandelt, und wenn man da etwas verbessern kann – wie gesagt in Zusammenarbeit mit Kommunen an der Küste, mit der offiziellen Regierung, aber auch mit anderen Kräften –, dann ist das humanitär ein Fortschritt für diese Menschen. Insofern kann ich diese Kritik nicht nachvollziehen, und der Vergleich mit Donald Trump und der mexikanischen Mauer erscheint mir sehr wohlfeil.
    "Wir brauchen in Deutschland endlich ein Zuwanderungsgesetz"
    Zurheide: Kommen wir noch mal zu der ganz grundsätzlichen Frage, was überhaupt in der Migrationspolitik verändert werden müsste: Müsste nicht – als Frage jetzt formuliert – zum Beispiel UNHCR, die Organisation, viel stärker eingreifen, denn die sind ja eigentlich diejenigen, die helfen können, in den jeweiligen Ländern etwas zu tun und dann möglicherweise Flucht auch zu regeln. Das tut der UNHCR ja, zum Beispiel indem er Flüchtlinge verteilt, wenn sie denn bei ihm registriert worden sind, und damit kann man die Schlepper ja auch umgehen. Ist das etwas, wo man eigentlich viel mehr drüber nachdenken müsste, was ja dann im Umkehrschluss übrigens heißt, dass wir auch Zuwanderung brauchen, zum Beispiel in Deutschland. Aber beginnen wir mit der ersten Frage: Ist das möglich, dem UNHCR da mehr Möglichkeiten einzuräumen, ist das sinnvoll?
    Graf Lambsdorff: Das ist sinnvoll. Das ist übrigens eines der Elemente in dem Dokument des Rates, das auch positiv ist – der UNHCR genauso wie die Internationale Organisation für Migration sollen in ihrer Arbeit unterstützt und gestärkt werden. Aber jetzt mal ganz praktisch, auch aus meiner Erfahrung in Libyen: Die Sicherheitslage erlaubt es den Mitarbeitern der Vereinten Nationen oftmals gar nicht, über Tripolis hinaus tätig zu werden. Also schon eine Fahrt nach Misrata oder nach Sirte oder gar nach Benghazi entlang dieser Küstenstraße dort ist mit so vielen Gefahren, so vielen Checkpoints, von Milizen und zum Teil minderjährigen, alkoholisierten Milizionären mit Kalaschnikows im Anschlag versehen, dass auch die Vereinten Nationen zum Teil an ihre Grenzen stoßen, denn sie können ja ihre Mitarbeiter nicht sehenden Auges in Lebensgefahr schicken. Also ja, es ist richtig, den UNHCR stärker einzubinden, ihn auch zu unterstützen, auch finanziell zu unterstützen, aber gleichzeitig ist es wichtig zu sehen, was ist realistisch machbar. Ich glaube, der wichtigste Ansatz müsste sein, dass wir in Europa uns eine gemeinsame Einwanderungspolitik geben, die es denjenigen, die wir bei uns haben wollen, möglich macht, auch legal nach Europa zu kommen. Das ist eine Forderung – das wissen Sie – der FDP, aber auch anderer Parteien, dass wir in Deutschland endlich ein Zuwanderungsgesetz brauchen und hoffentlich dann in Europa dahin kommen, was wir seit 1999 von den Mitgliedsstaaten immer wieder hören, nämlich zu einer gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik anstelle der chaotischen Situation, die wir im Moment haben.
    "Chaotische Fluchtbewegungen in Aufnahmelager" vermeiden
    Zurheide: Es ist ja eine der deutschen Lebenslügen, dass wir sagen, nein, Zuwanderungsgesetz nicht, oder genau genommen müssen wir sagen, die CDU/CSU ist die einzige Partei, die das nicht mehr will, und damit ist Asyl das Einfallstor, also das sind ja kommunizierende Röhren zwischen den beiden Themen. Haben Sie die Hoffnung, dass man das irgendwann hinkriegt? Nur wir haben Bundestagswahlen, da kann man was ändern – ist das die einzige Chance, die wir haben wahrscheinlich.
    Graf Lambsdorff: Na ja, ich als Liberaler, da ist man ja sozusagen zum Optimismus verpflichtet, und es ist zu hoffen, dass irgendwann auch die Union erkennt, dass es ja nicht so sein kann, dass wir ständig chaotische Fluchtbewegungen in Aufnahmelager in Deutschland bekommen, sondern eine regulierte Zuwanderung in unseren Arbeitsmarkt ein viel besserer Weg ist. Die Unternehmen suchen händeringend zum Teil Mitarbeiter. Es fehlt an Facharbeitern, es fehlt aber auch an Menschen, die einfachere Dienstleistungen in Deutschland verrichten. Wir haben Regionen, wo es nahezu Vollbeschäftigung gibt. Also mit anderen Worten: Deutschland jedenfalls braucht ganz sicher Zuwanderung, und dann ist es doch sinnvoller, man macht das organisiert und geregelt, als dass man, genau wie Sie sagen, so ein Schlupfloch Asyl lässt, über das dann auch diejenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, gehen müssen, wenn sie sich denn Richtung Deutschland in Bewegung setzen. Das ist einfach nicht sinnvoll, und die Union muss sich hier bewegen.
    "UNHCR könnte den Deutschen Bundestag in diesen Fragen beraten"
    Zurheide: Und dann kommen wir zum Anfang zurück: So etwas könnte zum Beispiel UNHCR regeln.
    Graf Lambsdorff: Der UNHCR hat eine unglaubliche Erfahrung und könnte selbstverständlich den Deutschen Bundestag in diesen Fragen beraten – wie könnte man ein solches Zuwanderungsgesetz gestalten, dass es wirksam ist, dass es keine Fehlanreize setzt, dass es diejenigen zu uns bringt, die uns wirklich helfen auf dem Weg in die Zukunft. Das ist genau etwas, wo sowohl IOM, also Internationale Organisation für Migration, als auch der UNHCR geeignete Ansprechpartner und Ratgeber sind, um so ein Gesetz zu machen.
    Zurheide: Alexander Graf Lambsdorff von der FDP war das zu Fragen der Migration und des europäischen Gipfels. Herr Lambsdorff, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.