Klagen gegen Medien sind nicht neu. Schon immer mussten Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit auch vor Gerichten verteidigen. Etwa dann, wenn es um die Frage geht, ob wahrheitsgemäß berichtet wurde oder Persönlichkeitsrechte gewahrt wurden.
Neu ist seit einigen Jahren die Vielzahl der Fälle, in denen juristisch gegen Medien vorgegangen wird – und das oft ohne Aussicht auf Erfolg. Dann ist die Rede von SLAPP-Klage, Abkürzung für „Strategic Lawsuits against Public Participation” und Anspielung aufs englische Wort „Slap“ für Schlagen und Ohrfeigen.
„Falter“-Chefredakteur Klenk: Welle an Klagen unter Kurz
Beispiel Österreich. Seit 1977 gibt es hier die linksliberale Wochenzeitung „Falter“. Aber erst unter der Regierung von Kanzler Sebastian Kurz sei es zu einem „andauernden Klagen“ gegen Berichterstattung gekommen, sagt gegenüber dem Deutschlandfunk Chefredakteur Florian Klenk. Begonnen habe diese „wahre Welle“ von Klagen, nachdem der „Falter“ über einen Whistleblower Daten zur Buchhaltung von Kurz‘ Partei ÖVP erhalten habe.
Österreichs Regierungschef sprach daraufhin öffentlich von gefälschten und gestohlenen Daten – und der „Falter“ erhielt Klagen auf Unterlassung und Gegendarstellung. Die Prozesse habe seine Redaktion in den meisten Fällen gewonnen, betont Klenk. Doch selbst bei klaren Gerichtsurteilen seien Beschwerden und Revisionen gefolgt.
„Als Jurist sage ich: Kann er ja machen“, sagt Klenk und lacht. Doch für eine kleine Redaktion wie den „Falter“ sei die Auseinandersetzung damit halt sehr zeitintensiv und damit am Ende ein Problem.
EU will gegen SLAPP-Klagen vorgehen
„SLAPP-Klagen sind in einigen Mitgliedstaaten ein ernsthaftes Problem.“ Das stellte die EU- Kommission im April 2022 fest, als die verkündete gegen diese Form der missbräuchlichen Klage Journalisten und Menschenrechtsverteidiger vorgehen zu wollen. Die EU begründete ihren Schritt mit den Rechtsstaatlichkeitsberichten der vorherigen Jahre.
Der damals vorgestellte Vorschlag für eine EU-Vorschrift sah einige konkrete Punkte vor: Gerichte sollten Verfahren frühzeitig abweisen können, „wenn ein Fall offenkundig unbegründet ist“, hieß es unter anderem. Auch hätten Betroffene das Recht auf eine volle Entschädigung für den erlittenen materiellen oder immateriellen Schaden.
NGOs wie die Civil Liberties Union for Europe (Liberties) sprachen von einem „bahnbrechenden Vorschlag“ und lobten, der Plan habe „das Zeug, missbräuchliche Klagen gegen Journalisten zu stoppen“.
DJV-Sprecher: Brüssel geht nicht weit genug
Ein gutes Jahr und diverse Verhandlungsrunden später in Brüssel stellte die Kommission dann eine Überarbeitung des Vorschlags vor, ein Kompromiss, der im Juni verabschiedet und über den nun im Europaparlament abgestimmt wurde, wie Carolin Born berichtet. Ein Gesetzesvorhaben, das Verbände und Organisationen längst nicht mehr so positiv bewerten wie noch zu Beginn.
„Es hilft uns ein Stück weit“, erklärt Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV). Denn bislang gebe es keine rechtliche Handhabe gegen missbräuchliche Klagen mit dem Ziel, Berichterstattung zu verhindern. Deshalb sei der Vorstoß aus Brüssel „ein wichtiger Fingerzeig auch für den deutschen Gesetzgeber“, so Zörner gegenüber dem Deutschlandfunk.
Insgesamt aber gehe Brüssel nicht weit genug, kritisiert er. „Es könnte sehr viel mehr vom europäischen Gesetzgeber zugunsten der Pressefreiheit und der freien Berichterstattung in die Wege geleitet werden als das, was sich Europa aktuell traut.“ So bleibe beispielsweise die Frage der Sanktionen in der überarbeiteten Version offen. „Und diese Frage ist ja letztendlich diejenige, die entscheidend ist, um SLAPP-Klagen dauerhaft zu verhindern.“
dju: Bundesregierung ist gefragt
Ähnlich hatte sich zuvor bereits die Journalistengewerkschaft dju geäußert. Der nun vorliegende Kompromissvorschlag stelle keine Verbesserungen beim Schutz vor abschreckenden Gerichtsverfahren dar, hatte die dju-Vorsitzende Tina Groll bereits im März erklärt. Die Bundesregierung müsse eine Verwässerung der Richtlinie verhindern.
An dieser Kritik und Forderung habe sich bis heute nichts geändert, erklärte Groll.
Medienrechtler Peifer: Weniger Fälle fallen unter Richtlinie
Für den Deutschlandfunk hat sich der Kölner Medienrechtler Nikolaus Peifer die Veränderungen gegenüber der ursprünglichen Initiative angeschaut. Und er stellt fest, dass der „Anwendungsbereich grenzüberschreitender Relevanz von Klagen gegen journalistische Beiträge verengt wurde".
Soll heißen: Es fallen weniger Fälle unter die Richtlinie, als ursprünglich beabsichtigt. Und das wiederum erhöhe das Risiko auf Seiten der Journalisten, so Peifer, „weil strategische Klagen gegen manche Verhaltensweisen nicht erfasst werden“.
„Darunter fallen etwa journalistische Beiträge, die nicht elektronisch zugänglich sind oder solche, die nicht in breit zugänglichen Publikationen verfügbar sind.“ Diese Verengung dürfte vor allem Bürgerrechtsaktivisten, Blogger und kleinere investigative Ermittler beeinträchtigen, erwartet der Jurist.
„Rücksichtnahme, die das gesamte Projekt gefährden kann“
Die Bestimmung zur Kostenübernahme bei Verfahren beziehe sich in der neuen EU-Vorschrift auf nationales Recht. „Das ist unglücklich, weil auf diese Weise eine harmonisierte Regelung, die in der gesamten EU geltend würde, verhindert wird.“
Insgesamt sei der nun auf den Weg gebrachte Text sehr bemüht, einen Ausgleich mit den Rechten der Klägerseite zu schaffen. „Bei missbräuchlichen Klagen ist das jedoch eine Rücksichtnahme, die das gesamte Projekt einer Abwehr solcher Klagen gefährden kann“, warnt Peifer.