"Um einen Konflikt lösen zu können, bedarf es immer zweier Seiten", sagte die Kanzlerin im Anschluss an ihre Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Die Bundesregierung werde nichts unversucht lassen, um den festgefahrenen Konflikt des Westens mit Russland zu lösen. Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) skizzierten einen möglichen Ausweg aus dieser Krise.
Eine Option für Merkel sind Verhandlungen zwischen Europäischer Union und der von Moskau dominierten Eurasischen Union über eine Kooperation in einem Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon. "Das muss ja unser Ziel sein", sagte Merkel. In diesem Rahmen könnten auch "Assoziierungsschwierigkeiten zwischen EU und Ukraine" geklärt werden. Die wirtschaftliche Kooperation sei ein attraktives Angebot für Moskau, sagt unsere Korrespondentin Sabine Adler.
Es müsse bald ein Treffen der Kontaktgruppe geben, die aus Vertretern Russlands, der Ukraine, der Rebellen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa besteht, sagte Merkel nach einem Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi in Florenz. Dabei soll über den Ausweg aus der Krise gesprochen werden. Auch der russische Präsident Putin fordert solch ein Treffen - will aber über die Kämpfe im Osten der Ukraine reden.
Freihandel von von Wladiwostok bis Lissabon
Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Gabriel forderte eine Diskussion in der EU darüber, was Russland nach dem Ende des Ukraine-Krieges angeboten werden könne. Möglich wäre eine Neuauflage des Modernisierungspaktes, den der Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Jahr 2008 auch in Bereichen wie Gesundheitswesen und Rechtsstaatlichkeit mit dem damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew geschlossen hatte. "Wir haben eben über TTIP gesprochen. Der nächste Schritt in Europa wäre eine Verhandlung mit Russland über Freihandel", sagte Gabriel auf einer Podiumsdiskussion. Diese Idee eines gemeinsamen Handelsraumes stamme ursprünglich von dem russischen Präsidenten Putin. "Wir müssen ihnen vielleicht diesen eleganten Ausweg anbieten."
Der finnische Premierminister Alexander Stubb sagte, "es liegt in unserem wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interesse, die Dinge zu normalisieren". Das müsse aber auch die Führung im Kreml wollen. "Jetzt sind die Russen am Zug."
Merkels Bedingung
Solche Verhandlungen könnten aber erst beginnen, wenn Russland einen fundamentalen Wechsel in seiner Ukraine-Politik vollziehe. "Unser Ziel ist die territoriale Integrität der Ukraine", sagte Merkel. Dies gelte "dringlichst" für die Regionen Lugansk und Donezk - "damit ist die Krim-Angelegenheit nicht vergessen". Auf Basis des Minsker Abkommens müsse "eine gewisse Stabilität", also Waffenstillstand im Osten der Ukraine hergestellt werden, sagte Merkel. "Dieser Prozess muss jetzt endlich eingeleitet werden. Es hat schon viel zu viele Menschenleben gekostet."
Ob die Bundesrepublik 1990 oder die Ukraine heute: Eine Land müsse sich frei entscheiden dürfen, mit wem es welche Beziehungen eingehen wolle. "Aber unbestritten ist auch, dass es sehr tiefe Verwurzelungen gerade auch im ökonomischen Bereich zwischen Russland und der Ukraine gibt", sagte Merkel. "Ein Kontinent, der so viel Grenzverschiebungen in seiner Geschichte auch leidvoll nach den Kriegen erlebt hat, kann über die Verletzung der territorialen Integrität nicht einfach hinweggehen."
Merkels Rede in Davos in voller Länge (Diskussion ab der 17. Minute).
Russlandbeauftragter vorsichtig optimistisch
Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sieht nach dem jüngsten Ukraine-Krisentreffen in Berlin Anlass für vorsichtigen Optimismus. "Damit ist Russland wieder im Spiel und mit am Verhandlungstisch", sagte der SPD-Politiker der "Nordwest-Zeitung".
Die Außenminister Russlands und der Ukraine, Sergej Lawrow und Pawel Klimkin, hatten sich am Mittwochabend auf den Abzug schwerer Waffen aus dem Osten der Ukraine geeinigt. Es war der erste Verhandlungserfolg auf diplomatischer Ebene im Ukraine-Konflikt seit langem.
Bei der Suche nach einer Lösung im Konflikt um den Donbass nahm Erler auch die prowestliche Führung der Ukraine in die Pflicht. Präsident Petro Poroschenko habe zwar gerade erst versichert, dass es keine militärische Entscheidung geben werde. Die Aufstockung der Armee und die aggressiven Töne aus Kiew passten dazu aber nicht.
(sdö/jan)