Christiane Kaess: Vielerorts überwog gestern erst einmal Entsetzen, als klar war, dass Donald Trump die Wahl in den USA gewonnen hat und der nächste Präsident sein wird. Mittlerweile ist Ernüchterung eingekehrt, man versucht, pragmatisch umzugehen mit der populistischen Wende im Land der Freiheit. Auf vielen Straßen in den USA machte sich in der vergangenen Nacht aber erst einmal die Wut über den Sieg von Donald Trump Luft.
Bericht von Nicole Markwald aus Los Angeles
Auch in Brüssel versucht man, sich zu sortieren und sich vorzustellen, was das jetzt genau bedeutet. Denn viel weiß niemand über das, was Trump vorhat. Aber Äußerungen, die Verhältnisse innerhalb der NATO zu überdenken, die haben verunsichert. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der fordert schon mal eine europäische Armee.
Bericht von Jörg Münchenberg aus Brüssel
Und am Telefon mitgehört hat Rebecca Harms, Grünenfraktionsvorsitzende im Europäischen Parlament. Guten Tag, Frau Harms!
Rebecca Harms: Guten Tag!
Kaess: Es sieht also so aus, dass TTIP jetzt gestorben ist. Das müsste Sie eigentlich freuen?
Harms: Also, ob das wirklich gestorben ist, das muss man ja abwarten. Und die Gründe, die Grüne angeführt haben gegen das Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten, die Gründe sind nicht die Gründe, die Donald Trump da reiten. Ich bin der Meinung, dass gute, faire Handelsbeziehungen gerade zwischen demokratischen Staaten und Räumen auf der Welt Stabilität und Sicherheit und gute Entwicklung schaffen können, man muss das nur auch in den Mittelpunkt von Verhandlungen stellen. Und ich würde das jetzt eher so sehen, dass man in Europa jetzt für den Fall, dass diese bisherigen Verhandlungen, dass die enden und das aufgegeben wird, dass die Europäer untereinander vielleicht noch mal darüber reden, wie sie Handelsabkommen in Zukunft gestalten wollen und wie sie eine bessere demokratische Legitimierung dafür schaffen wollen.
Kaess: Aber im Ergebnis also jetzt eine gute Sache, dass TTIP wahrscheinlich nicht kommt?
Harms: Ich kann das nicht als Einzelpunkt jetzt plötzlich positiv herausgreifen, weil, für mich ist das keine positive Perspektive, dass ein wahrscheinlich nationalistischer Präsident die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu anderen Teilen der Welt unter völlig neuen Gesichtspunkten bereit ist zu gestalten…, also, das Heranrücken…
Kaess: Ja, Entschuldigung, wenn ich da reingehe, aber in einem wichtigen Gesichtspunkt liegen Sie mit ihm auf einer Linie.
Harms: Ich… Wie gesagt, ich bin nicht gegen Freihandel, sondern ich bin für faire Handelsabkommen. Ich habe Kritik an TTIP insbesondere auch, weil ich mich seit vielen Jahren mit Landwirtschaftspolitik auch hier in Brüssel beschäftige, aber ich bin für Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und den USA gewesen.
"Man muss die Ruhe behalten"
Kaess: Und die EU ist ja auch abhängig vom Handel mit den USA. Was sehen Sie da jetzt auf die EU zukommen?
Harms: Man muss da, finde ich, wirklich ein bisschen die Ruhe behalten. Also, TTIP will Donald Trump nicht und da kann man dann darüber nachdenken, was das aus unserer Sicht für einzelne Bereiche, die in diesem Abkommen zusammengefasst waren, was das da bedeuten kann. Auch Grüne sind da gefragt, sich damit auseinanderzusetzen. Aber ich glaube nicht, dass insgesamt gleich der Handel und die wirtschaftlichen Beziehungen mit den USA zusammenbrechen werden, das kann sich auch die USA gar nicht leisten.
Kaess: Kann sie sich nicht leisten, sagen Sie. Aber wird Trump nicht bei bilateralen Verhandlungen knallhart auf die eigenen Interessen pochen?
Harms: Ja, aber, ich meine, er braucht ja dann auch ein Gegenüber. Also, knallharte Interessen kann man ja versprechen, aber er braucht ja dann dafür auch ein Gegenüber.
Kaess: In den Fokus gerückt ist jetzt auch die Verteidigungspolitik. Der frühere US-Botschafter John Kornblum, der hat das Ganze ziemlich scharf formuliert, er hat gesagt, der amerikanische Schirm über Europa ist für immer weggezogen, Trumps Wahl markiert das Ende der Nachkriegswelt. Stehen wir tatsächlich mit dem Wahlsieg von Trump jetzt in einer neuen sicherheitspolitischen Ära?
Harms: Ich glaube, wir müssen als Europäer, wir müssen endlich mal der Tatsache ins Auge sehen, dass schon länger in den USA die Bereitschaft, für uns die Kohlen aus dem Feuer zu holen, dass diese Bereitschaft nicht mehr dagewesen ist. Das ist nicht alles okay, und die hinterlassen uns auch Probleme, die sie selber durch ihre Bereitschaft zu Interventionen in Teilen geschaffen haben. Aber ich glaube, dass es für die Europäische Union, für die Europäer dran ist, und zwar für die Politiker und die Bürger, sich auch zu emanzipieren. Wir müssen für unsere Sicherheit eigene Strategien haben, wir müssen bereit sein, tatsächlich auch im Zweifelsfall uns gegenseitig zu verteidigen. Die Auseinandersetzungen der letzten Jahre angesichts einer aggressiveren Politik Russlands, die haben uns das ja schon vor Augen geführt. Und ich denke, dass Juncker sehr weit gesprungen ist, als er gestern wieder von der europäischen Armee gesprochen hat, aber ich glaube, man muss auch diese Fragen der Sicherheit in der EU endlich ernst nehmen.
Harms: Nicht in eine Phase nationaler Interessen zurückkehren
Kaess: Da ist er sicherlich sehr weit gesprungen. Wie realistisch ist das Ganze denn?
Harms: Ich würde es andersherum fragen: Wie notwendig ist das? Also, was ist die Europäische Union, wenn wir – noch ein kleiner Exkurs –, wenn wir bisher nicht bereit sind, ein gemeinsam verantwortliches Management unserer Außengrenzen zu machen. Was ist die Europäische Union, wenn die Europäer untereinander nicht bereit sind, sich gegenseitig Sicherheit zu gewährleisten? Also, wer die Europäische Union zukunftsfähig will, wer will, dass wir Sicherheit, Freiheit und Frieden auch hier garantieren können, der darf sich der Diskussion um die gemeinsame Sicherheitsstrategie nicht entziehen, sondern der muss sie führen. Gerade auch für mich, die ich ja bestimmt nicht zu den Interventionisten gehöre, nicht hawkisch bin, wie man das alles nennt ["hawkisch" bedeutet "falkenhaft", also eine politische Strömung, die sich für eine offensive statt defensive Sicherheitspolitik einsetzt, Anm.d.Red.], führt daran trotzdem kein Weg vorbei.
Kaess: EU-Kommissar Günther Oettinger hat es heute Morgen so formuliert: Europa muss erwachsen werden. Heißt das, dass Trump auch eine Chance für Europa sein kann, für die Europäische Union?
Harms: Ja, das ist das beliebte Spiel, Krise als Chance, schlimme Entwicklung als Möglichkeit, etwas besser zu machen. Da wir sowieso eher gerade zerrüttete Verhältnisse in der Europäischen Union haben, ist das vielleicht noch mal der berühmte Weckruf, ja? Wir können das zusammen besser machen, und wenn in einer sehr schwierigen Welt einzelne kleine Staaten meinen, sie könnten es für sich und ihre Leute besser machen, dann irren die sich. Und dieser Irrweg, der hat in Europa ja schon mal zu den größten Verheerungen geführt und wir sollten in diese Phase, in der man eben nur national die harten Interessen wahrnimmt, in eine sollte Phase sollten wir nicht zurückkehren.
Kaess: Sehen Sie Anzeichen dafür, dass dieser Weckruf ankommt?
Harms: Ich gebe mir Mühe, das auch zu vertreten und das auch zu erklären. Das ist nicht einfach, aber das ist eine der Aufgaben derjenigen, die die Europäische Union für die beste Errungenschaft unter dem Aspekt Frieden, Sicherheit, Stabilität halten. Wir müssen uns weiterentwickeln, wir müssen uns verändern und wir müssen auf alle Arten der Verunsicherung und der Forderung nach Sicherheit auch vernünftig reagieren.
Kaess: …sagt Rebecca Harms, sie ist im Europäischen Parlament Fraktionsvorsitzende der Grünen. Danke für dieses Gespräch heute Mittag!
Harms: Auf Wiederhören!
Kaess: Wiederhören!
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