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EU-Sondergipfel
Der vertagte Durchbruch

Wichtige Fragen in der umstrittenen Flüchtlingspolitik bleiben offen. Auf einer langen Nachtsitzung in Brüssel konnten sich die EU-Staats- und Regierungschefs mit dem türkischen Ministerpräsidenten nicht einigen. Es gibt Absichtserklärungen, aber keine endgültige Vereinbarung.

    François Hollande, Ahmed Davutoglu, Donald Tusk und Angela Merkel unterhalten sich beim Aufstellen zum Gruppenfoto.
    Aufstellen zum Gruppenfoto der Staats- und Regierungschefs vor dem Gipfel: Frankreichs Präsident François Hollande, der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu, EU-Ratspräsident Donald Tusk und Bundeskanzlerin Angela Merkel (v.l.). (picture alliance / dpa / Christopher Licoppe)
    Wer eine Einigung erwartet hatte, geht enttäuscht aus der Nacht. Einen endgültigen Beschluss haben die Teilnehmer in auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel vertagt. Bis zum nächsten regulären EU-Gipfel am 17. und 18. März bleibe noch Arbeit zu tun, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den rund zwölfstündigen Beratungen.
    Ziel ist es, den Flüchtlingszustrom nach Europa deutlich zu verringern. Der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu machte dabei ein für viele überraschendes Angebot. Dieses sieht vor, dass die EU alle einreisenden Migranten von den griechischen Inseln wieder in die Türkei zurückschicken kann. Für jeden Syrer, den die Türkei zurücknimmt, soll allerdings ein Syrer auf legalem Weg in die EU kommen dürfen. Welche Staaten diese Menschen aufnehmen sollen, blieb in Brüssel aber unklar.
    Im Gegenzug forderte die Türkei die EU auf, ihre Hilfszusagen für die Flüchtlinge zu verdoppeln, die in der Türkei leben. Statt drei will sie sechs Milliarden Euro, um die Menschen dort zu versorgen und an der Weiterreise zu hindern. Beschlossen wurden die Gelder aber nicht. In der Abschlusserklärung ist lediglich die Rede von zusätzlichen Mitteln.
    EU und Türkei sind optimistisch
    Davutoglu zufolge haben die EU-Staaten allerdings bereits rasche Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger akzeptiert. "Wir hoffen, dass spätestens Ende Juni türkische Bürger ohne Visum in die Schengenzone reisen können", sagte er.
    EU-Gipfelchef Donald Tusk zeigte sich am frühen Morgen optimistisch: "Ich habe keinen Zweifel, dass wir den endgültigen Erfolg erzielen werden", sagte er. Die "Tage der ungeregelten Migration" in die EU seien vorüber.
    Trotz aller Differenzen fassten die Staatschefs und Ministerpräsidenten in Brüssel ein paar Beschlüsse. So heißt es in der Erklärung: "Bei den irregulären Migrationsströmen entlang der Westbalkanroute ist nun das Ende erreicht." Zuvor hatten Länder entlang der Route ihre Grenzen weitgehend geschlossen. Dass auch die Route "nun geschlossen" ist - diese Formulierung hatte Bundeskanzlerin Merkel verhindert. Aus deutscher Sicht wären damit die Alleingänge von Österreich und Balkan-Staaten bei Obergrenzen und Grenzschließungen akzeptiert worden.
    EU will Griechenland helfen
    Weil wegen der Grenzschließungen tausende Menschen in Griechenland festsitzen, wollen die EU-Länder dort aushelfen. Die EU werde "in diesem schwierigen Moment an der Seite Griechenlands stehen und ihr Äußerstes tun", heißt es in der Erklärung. Nötig sei "eine schnelle und wirksame Mobilisierung aller verfügbaren EU-Mittel und Ressourcen sowie Beiträge der Mitgliedstaaten". Griechenland soll in diesem Jahr etwa 300 Millionen Euro bekommen; insgesamt geht es um 700 Millionen Euro für alle betroffenen Länder bis zum Jahr 2018. Offiziell beschlossen werden soll der Nothilfeplan bis zum nächsten Gipfel.
    Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sprach lediglich von einem einzelnen Schritt nach vorne. "Die heutigen Bilder aus Idomeni, von unserer nördlichen Grenze, sind tragisch." Dort sitzen Tausende Flüchtlinge fest, die durch Mazedonien weiter in die EU wollen, dort aber nicht eingelassen werden.
    Griechenland soll außerdem mehr Hilfe bekommen, um die Außengrenzen zu schützen, auch die zu Mazedonien und Albanien. Dazu soll die EU-Grenzschutzbehörde Frontex von den Mitgliedsstaaten zusätzliche Grenzschützer gestellt bekommen. Die Polizeibehörde Europol soll Beamte schicken, die in Registrierungszentren mögliche Dschihadisten aufspüren und die beim Kampf gegen Menschenschmuggler helfen.
    Umverteilung von Flüchtlingen soll vorankommen
    Im vorigen Jahr hatten die EU-Länder schon beschlossen, 160.000 Flüchtlinge umzuverteilen. Verteilt sind aber bisher erst 872 Menschen. Dieser Prozess soll "bedeutend beschleunigt" werden, "um die schwere Last zu verringern, die derzeit auf Griechenland liegt".
    Bundeskanzlerin Merkel zog eine positive Bilanz des Gipfels. "Viele waren sich einig, dass das ein Durchbruch ist", sagte sie. "Die Beitrittsfrage stellt sich derzeit nicht", sagte sie mit Blick auf türkische Forderungen nach einer EU-Mitgliedschaft.
    Noch einige offene Fragen
    Verhandelt wird nun noch darüber, ob und wie die Migranten in die Türkei zurückgeführt werden, die unerlaubt auf die griechischen Inseln übersetzen. Offen ist auch, wie syrische Bürgerkriegsflüchtlinge durch EU-Staaten aufgenommen werden. Für jeden Syrer, der von den griechischen Inseln zurück in die Türkei gebracht wird, soll einer legal in die EU kommen können. Außerdem ist offen, wie die humanitären Bedingungen in Syrien verbessert werden können, damit weniger Menschen von dort flüchten. Außerdem soll geklärt werden, wie die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgeweitet werden sollen.
    Geredet wurde beim EU-Gipfel in Brüssel offenbar auch über die Pressefreiheit in der Türkei. Dort hatte ein Gericht die kritische Tageszeitung "Zaman" und die damit verbundene Nachrichtenagentur "Cihan" unter staatliche Zwangsaufsicht gestellt. Ministerpräsident Davutoglu sprach in Brüssel allerdings von Meinungsfreiheit als "gemeinsamem Wert", der in der Türkei geschützt werde. EU-Ratschef Tusk sagte: "Wir wissen alle, wie wichtig Freiheit der Rede und Meinungsfreiheit sind."
    (stfr/kb)