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EU-Sondergipfel
EU will Leitlinien für Brexit-Gespräche festzurren

Die verbleibenden 27 EU-Staats- und Regierungschefs beraten in Brüssel über das weitere Vorgehen bei den Austrittsverhandlungen mit Großbritannien. Dabei sollen Leitlinien für die Brexit-Gespräche festlegt werden. Alle stehen offenbar geschlossen hinter dem Entwurf, den EU-Ratspräsident Tusk Ende März vorgelegt hat.

Von Jörg Münchenberg |
    Die Fahne Großbritanniens und eine "ausgefranste" Europa-Fahne wehen nebeneinander im Hafen von Dover (GB), aufgenommen am 28.05.2016
    Die EU berät über den Austritt Großbritanniens. (picture alliance / dpa-Zentralbild / Andreas Engelhardt)
    Es sind vor allem zwei Signale, die die Staats- und Regierungschefs mit der Verabschiedung der Leitlinien für die anstehenden Brexit-Verhandlungen aussenden wollen. Zum einen geht es um die eigene Geschlossenheit – 27 gegen einen, lautet die Botschaft, wenn es in den nächsten Wochen und Monaten zur Sache gehen wird.
    Tatsächlich war es der britischen Regierung bislang nicht gelungen, diese Einheit durch mögliche Sonderverabredungen mit einzelnen Mitgliedsstaaten zu durchbrechen. Selbst ein hoher EU-Beamter zeigte sich gestern überrascht – alle stünden hinter den Leitlinien, das, so meinte er, sei schon ziemlich einzigartig. Wobei allerdings auch gilt – der Streit um die vielen Detailfragen steht ja erst noch bevor.
    Zum anderen wollen die 27 heute noch einmal bekräftigen, dass sich die britische Regierung auf harte Austrittsverhandlungen einstellen muss. So wie es schon Bundeskanzlerin Angela Merkel Mitte der Woche in ihrer Regierungserklärung formuliert hatte – die EU, und nicht London werde die Marschrichtung vorgeben:
    "Ein Abkommen über das zukünftige Verhältnis mit Großbritannien können wir erst schließen, wenn alle Austrittsfragen zufriedenstellend geklärt sind. Klar ist außerdem: Ein Drittstaat, und da wird Großbritannien sein, kann und wird nicht über die gleichen Rechte verfügen als ein Mitglied der Europäischen Union".
    Drei Austrittsfragen müssen vorrangig geklärt werden
    Diese Vorgabe spiegelt sich auch in den Leitlinien wieder, die sich weitgehend am ursprünglichen Entwurf von EU-Ratspräsident Donald Tusk orientieren. Inhaltlich, so heißt es in Brüssel, habe es in den Hauptstädten keine gravierenden Änderungen mehr gegeben. Demnach müssen zunächst drei Austrittsfragen vorrangig geklärt werden: der künftige Status von 3,2 Millionen EU-Bürgern in Großbritannien und einer Million Briten auf dem Festland.
    Diese sollen, so heißt es in einem Arbeitspapier aus dem Umfeld von EU-Chefunterhändler Michel Barnier einen lebenslangen Anspruch auf ihre erworbenen Rechte haben und den Zugang zu den Sozialsystemen, Arbeit und Bildung behalten. Zweitens muss es Klarheit über die finanziellen Folgen des Austritts geben – Großbritannien, so heißt es, müsse alle finanziellen Verpflichtungen erfüllen. Die Rede ist dabei von bis zu 60 Milliarden Euro.
    Schließlich geht es um den künftigen Status von Nordirland – dabei gehe es um flexible und kreative Lösungen für den Grenzverkehr, um den Friedenprozess nicht zu gefährden, so der EU-Beamte gestern. Tusk selbst hatte die Gesamtaufgabe so umschrieben:
    "Unsere Aufgabe ist es, die Verunsicherung und mögliche Verwerfungen für unsere Bürger, Unternehmen und Mitgliedsstaaten zu minimieren, die durch die Brexit-Entscheidungen verursacht worden sind. Kurz, es geht um Schadenbegrenzung".
    Die Gespräch könnten auch komplett scheitern
    Die jetzt in konkrete Paragrafen übersetzt werden soll. Nach der Verabschiedung der Leitlinien wird die EU-Kommission ein konkretes Verhandlungsmandat für die erste Phase der Verhandlungen ausarbeiten. Das wiederum soll am 22. Mai von den Mitgliedstaaten gebilligt werden. Die eigentlichen Gespräche dürften jedoch erst nach den britischen Parlamentswahlen am 8. Juni starten.
    Im günstigen Fall steht dann bis zum Herbst eine Grundsatzeinigung zwischen beiden Seiten über die Austrittsmodalitäten. Die wiederum auch von den Staats- und Regierungschefs auf einem Gipfeltreffen abgesegnet werden muss. Erst danach, so steht es im Brexit-Drehbuch der EU der 27, kann dann Phase zwei beginnen: die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen der Union und Großbritannien.
    Wobei in Brüssel in diesen Tagen nie der Hinweis fehlt, dass die Gespräche auch komplett scheitern könnten. Für alle sei das das schlechteste Szenario, heißt es, aber es müsse eben auch in Erwägung gezogen werden.