Asselborn erklärte, bei dem heutigen Spitzentreffen werde mehr Licht zum Vorschein kommen. "Grexit" sei ein schreckliches Wort, das sich die Eurozone, insbesondere Griechenland, nicht leisten könne, sagte Asselborn im Deutschlandfunk.
Zugleich appellierte an Athen, Wort zu halten und konkrete, belastbare Reformvorschläge vorzulegen.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Die Verhandlungen laufen bereits seit fünf Monaten. Weil Athen die Auflagen nicht erfüllt, bekommt es die vorgesehenen 7,2 Milliarden Euro an Krediten nicht. Und sollte es nicht bald eine Einigung geben, droht Athen am 30. Juni die Zahlungsunfähigkeit. Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone wollen heute auf einem Sondergipfel versuchen, eine Lösung des festgefahrenen Schuldenstreits zu finden. Dazu hat die griechische Regierung noch einmal Vorschläge vorgelegt für eine, so wörtlich, endgültige Lösung und zumindest die EU-Kommission hat sie als gute Grundlage bezeichnet.
Mitgehört hat Jean Asselborn. Er ist Außenminister von Luxemburg. Guten Morgen!
Jean Asselborn: Guten Morgen, Madame Kaess.
Kaess: Herr Asselborn, haben Sie noch Hoffnung, dass das Treffen heute in Brüssel die Einigung bringt?
Asselborn: Ich weiß ja, dass Begriffe wie Hoffnung, Gefühle, auch Wünsche keinen Platz, sagen wir mal, in den real existierenden politischen Gegebenheiten hat. Aber es wird heute, glaube ich, mehr Licht zum Vorschein kommen. Ob das alles dann definitiv ist, was heute Abend herauskommt, das weiß ich nicht. Aber es wird einen Ruck nach vorne geben.
"Alles tun, damit der Grexit nicht geschieht"
Kaess: Einen Ruck nach vorne. Das heißt also keinen Grexit?
Asselborn: Ja wissen Sie, dieses Wort Grexit ist ja ein schreckliches Wort. Da zeigt man auf eine Notausgangstür und das könnte Europa, die Eurozone sich nicht leisten und auch Griechenland würde sehr, sehr unglücklich damit werden. Wir haben ja leider kein Laboratorium in der Politik. Aber was geschieht mit dem Euroraum oder im Euroraum beim Grexit? Was sind die Konsequenzen für Griechenland? Was kann natürlich auch eine solche Entwicklung für andere Euroländer mit sich bringen? Eines ist mir jedenfalls klar: Keiner kann diese Fragen bis jetzt wirklich rationell beantworten. Hier müssen wir wirklich die Luft anhalten und alles tun, damit das nicht geschieht.
Kaess: Aber die Frage ist ja auch, wie weit kann man da Griechenland noch entgegenkommen. Es gibt neue Vorschläge aus Griechenland. Wir kennen sie nicht genau. Es wird darüber spekuliert, es soll um die Mehrwertsteuer gehen, es soll um die Renten noch einmal gehen. Es heißt, zum Teil würden da die Forderungen der Gläubiger erfüllt, zum anderen Teil wohl nicht. Sollte dem so sein, Herr Asselborn, würden Sie sagen, Griechenland, wenn es sich jetzt noch mal beweglich zeigt, dann müssen auch die Gläubiger noch mal einen Schritt auf Griechenland zumachen, oder sagen Sie, heute müssen die Forderungen erfüllt sein, Kompromisse gibt es nach diesem langen Ringen jetzt einfach nicht mehr?
Asselborn: Ich glaube, um auf die vorige Frage zurückzukommen, wissen Sie: Wenn wir in Europa mit einem Drittweltland mit dem Namen Griechenland konfrontiert sind, dann sind wir ja in einer Lage, wo es einen hundertprozentigen, einen totalen Schuldenschnitt geben würde. Zweitens: Auch das soziale Leiden Griechenlands würde ja noch Zusehens viel, viel mehr wachsen. Und ohne in der Eurozone zu sein, bleibt Griechenland ja in der Europäischen Union. Die Europäische Union ist eine Solidargemeinschaft und muss Solidarität walten lassen vor diesem sozialen Chaos dort. Griechenland - und das ist ja Ihre Frage - muss natürlich, und das scheint mir klar zu sein, auf der Grundlage der Vereinbarungen vom Februar 2015 sein Wort halten, und dies vor dem 30. Juni, Sie haben das gesagt, konkrete belastbare Eckwerte vorlegen mit allem Entgegenkommen, das ja schon gezeigt wurde, und auch das griechische Parlament muss hierzu stehen. Sonst sind am 30. Juni die 7,2 Milliarden effektiv nicht zu halten. Ich glaube, dass in Griechenland jetzt die Vorschläge, die kommen - Sie haben gesprochen von der Mehrwertsteuer, auch von den Renten -, dass die in diese Richtung gehen. Und wenn schon ein hoher Funktionär der Kommission gesagt hat, dass das in die gute Richtung geht, dann sollte man auch jedenfalls Hoffnung haben.
"Höchstens noch eine Woche Zeit"
Kaess: Ganz genau. Sie haben es gerade angesprochen: Die EU-Kommission bewertet diese Vorschläge als positiv. Schon vor dieser Reaktion hat es die Sorge gegeben, dass EU-Kommissionchef Jean-Claude Juncker Griechenland zu schnell Zustimmung signalisieren könnte und damit auch die EU-Staaten unter Druck setzen könnte. Hat er das getan mit dieser Reaktion jetzt aus der Nacht vor allen anderen Institutionen?
Asselborn: Ich glaube, dass der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wie praktisch alle, die wollen aus diesem Loch rauskommen. Man muss ja auch auf den gesunden Menschenverstand setzen.
Kaess: Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Setzt er die anderen nicht damit enorm unter Druck?
Asselborn: Ich glaube, dass Griechenland selbst - und das ist ja die Frage - einsehen muss, dass sie nicht noch länger am Tropf dieser ELA, dieser Emergency Liquidity Assistance der Europäischen Zentralbank hängen kann.
Kaess: Der Notkredite für die Banken.
Asselborn: Griechenland ist doch letztlich immerhin ein stolzes Land und es muss heute den Mut aufbringen, glaube ich, dass das nicht wieder gut zu machende vermieden wird. Das, glaube ich, wenn man auch den Kommissionspräsidenten hört, muss man das direkt und auch indirekt verstehen, dass jetzt die roten Lichter angehen und dass man vielleicht noch eine Woche Zeit hat. Heute Abend soll ein solider Abend geschaffen werden, ohne Dunkelräume, und dann in dieser Woche dieser Rahmen mit Substanz aufgefüllt werden. Das ist, glaube ich, das, was auch von der Kommission erwartet wird, dass sie auf dieser Linie arbeiten.
Kaess: Gleichzeitig wirbt EU-Kommissionspräsident Juncker jetzt für eine Reform der Eurozone mit einem starken Eurogruppenchef, und er schreibt, "Europa ist im Begriff, die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise seit sieben Jahrzehnten hinter sich zu lassen. Der Euro ist eine erfolgreiche und stabile Währung für 19 EU-Mitgliedsstaaten und mehr als 330 Millionen Bürgerinnen und Bürger.“ Herr Asselborn, wie seltsam klingt das in Ihren Ohren, angesichts eines drohenden Grexits?
Asselborn: Nein. Ich glaube, Sie haben einen nicht Fehler gemacht, aber nicht sieben Jahrzehnte. Ich nehme an, sieben Jahre diese Unstabilität in der Eurozone. Die haben wir ja noch keine sieben Jahrzehnte. Aber wir sind jetzt konfrontiert ja mit einem Bericht der fünf Präsidenten, die die Zukunft der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion vorbereiten. Da gibt es eine erste Phase, wenn ich richtig verstanden habe, bis 2017, wo stabilisiert werden soll, und dann über diese Phase hinaus - ich glaube, es ist bis 2025 -, wo man sehen muss, wie kann man wirklich den Euro, sagen wir mal, auch mit dem Europaparlament zusammen besser, sagen wir mal, verankern.
"Nicht dauernd klagen und klagen"
Kaess: Aber ist diese positive Einschätzung der gegenwärtigen Situation nicht völlig falsch?
Asselborn: Wissen Sie, was können die europäischen Verantwortlichen anders machen, was sollen sie auch anders machen, als auf Stabilität des Euros zu setzen. Wir haben ja im Euroraum in den letzten vier, fünf Jahren auch sehr, sehr viel gearbeitet, damit der Euro nicht nach der Wirtschaftskrise und nach der Griechenlandkrise einfach den Bach runtergeht. Und dass dieser Gedanke gerade jetzt auch weitergeführt wird, das ist doch die Aufgabe der Europäischen Union, das zu tun. Man kann jetzt nicht da sitzen und dauernd klagen und klagen. Wir müssen heute ein Problem lösen. Das ist heute zu lösen, glaube ich. Das ist das Problem in Griechenland. Wenn wir das gelöst hätten, würde Europa aufatmen und auch Griechenland würde aufatmen. Das ist die Aufgabe, die wir heute haben.
Kaess: Und es soll zumindest zum Teil heute auch noch ein anderes Problem gelöst werden. Kommen wir ganz zum Schluss noch auf die andere Herausforderung für Europa, nämlich die Flüchtlingsströme. Die EU-Außenminister treffen sich heute, um den Militäreinsatz der EU gegen Schlepper auf dem Mittelmeer auf den Weg zu bringen. Die Kritiker sagen, das ist völkerrechtswidrig und gefährlich.
Asselborn: Ja. Auch hier ist es so, dass wir heute überhaupt nichts entscheiden über militärische Eingriffe. Wir werden heute nur die Phase eins in Kraft setzen.
Kaess: Aber in der zweiten Phase nach dem Beobachten soll diese militärische Aktion konkret werden.
Asselborn: Aber wir sind nicht bei der zweiten und wir sind auch nicht bei der dritten Phase. Es gibt große Länder wie Deutschland, die zum Beispiel gesagt haben, auch für die zweite Phase und natürlich für die dritte Phase ist ganz klar, dass wir hier eine Resolution des Sicherheitsrates brauchen. Internationales Recht wird beachtet. Heute geht es nur darum, dass wir freie Fahrt geben zu der Phase eins, die ja praktisch schon läuft. Sonst gar nichts. Hier hängt es davon ab, was wird aus Libyen auf uns zukommen, haben wir eine stabile Regierung in Libyen, die einen Antrag stellen kann, und was wird der Sicherheitsrat mit dieser Sache machen. Es ist, glaube ich, falsch, heute davon auszugehen, dass wir militärische Operationen beschließen in dieser wichtigen Frage der Migration.
Lassen Sie mich noch ein Wort sagen dazu. Heute werden 2000 bis 3000 Menschen gerettet von europäischen Ländern, die präsent sind im Mittelmeer. Als es anders war, wurde natürlich das kritisiert und auch zurecht. Aber das ist verbessert. Das zweite ist: Wir müssen bei diesen Schlepperbanden zuschlagen. Ich weiß, dass das Problem nicht die Schlepperbanden ist, aber diese Organisationen, die unmenschlich umgehen und sehr, sehr viel Geld haben und mit Mafiamethoden sich einsetzen. Dass wir uns dagegen wehren in der Europäischen Union, scheint mir trotzdem auch unsere Pflicht zu sein.
Kaess: …, sagt Jean Asselborn. Er ist Außenminister von Luxemburg. Danke für dieses Gespräch heute Morgen, Herr Asselborn.
Asselborn: Bitte, Madame Kaess.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.