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EU-Tabakrichtlinie
Unter Druck der Lobbyisten

Noch vor Weihnachten soll die Tabakverordnung stehen. Die genauen Termine für die Gespräche werden aber vertraulich behandelt. Die Verhandlungsführer in Brüssel wollen nicht wieder unter Beschuss der Zigarettenlobby geraten.

Von Alois Berger |
    Zu Weihnachten bekommt der Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz sicher wieder ein paar Flaschen Wein geschenkt – billigen Weißwein, mit riesigem Totenkopf auf dem Etikett. Und Schokolade wird er auch bekommen, so wie vor einem Jahr, als die Postfächer der Abgeordneten im Europaparlament verstopft waren mit Wein- und Schokoladegeschenken. Die Damen und Herren Abgeordneten sollten sich das noch einmal genau anschauen, stand auf den Grußkarten, weil es so etwas ja bald nicht mehr geben werde. Nach den Zigaretten werde Brüssel ja sicher auch die Schokolade verbieten, weil sie der Gesundheit schade. Und den Wein sowieso.
    Gleichgültig, welcher Absender auf den Paketen stehen wird, Karl-Heinz Florenz weiß, dass hinter diesen hintersinnigen Geschenken wie immer die Zigarettenindustrie steht. Aber diesmal dürfte es wohl zu spät sein. Die Verschärfung der europäischen Zigarettenrichtlinie wird schon beschlossen sein, wenn die Geschenke eintreffen. Das Europaparlament hat seinen Vorschlag bereits verabschiedet, und auch der Ministerrat, in dem die Regierungen der EU vertreten sind, will sich nicht querstellen. Zurzeit verhandelt in Brüssel das Europaparlament mit der EU-Kommission und den EU-Regierungen über die letzten Details der künftigen Tabakverordnung. Vor Weihnachten soll der Kompromiss stehen. Die genauen Termine für die Gespräche werden vertraulich behandelt, weil die Verhandlungsführer nicht wieder unter Beschuss geraten wollen. So wie vor ein paar Wochen, als die Zigarettenlobby Hunderte von Abgeordneten einzeln bearbeitete.
    "Auf dem Höhepunkt der Tabakdebatte hatte ich den Eindruck, dass dieser brutale Lobbyismus, dass das in der Tat Lepra für die europäische Demokratie ist."
    Heer der Lobbyisten wächst
    Weniges geht den Europaabgeordneten so unter die Haut wie der rasant steigende Druck der Lobbyisten. Seit das Europaparlament mehr Macht bekommen hat, seit es fast bei allen EU-Gesetzen mitentscheidet, seitdem wird das Heer der Lobbyisten in Brüssel immer größer und damit auch der Druck auf die Abgeordneten. Die jüngste Kampagne des Zigarettenkonzerns Philip Morris hat die Diskussion darüber neu entfacht. Wie weit darf Lobbyismus gehen, wo sind die Grenzen? Die Meinungen gehen weit auseinander. Abgeordnete, wie der deutsche Christdemokrat Karl-Heinz Florenz warnen eindringlich vor den Auswüchsen.
    "Ich hab das teilweise als Gefahr für Europa angesehen."
    Andere finden die Kritik am Lobbyismus überzogen. Der niederländische Europaabgeordnete Wim van de Camp, auch er ein Christdemokrat, fühlt sich in seiner Informationsfreiheit eingeschränkt.
    "Für einen Europaabgeordneten ist es schon gefährlich, mit Tabaklobbyisten zu reden, weil man dann gleich beschuldigt wird, sich für das Rauchen starkzumachen."
    Lobbyismus ist Teil der Politik. Alle Abgeordneten betonen, dass sie die Lobbyisten sogar brauchen. Die Interessenvertreter lieferten das Fachwissen, ohne das vernünftige Gesetzgebung kaum möglich sei. Wie sonst sollten Politiker beispielsweise die Gefahren chemischer Stoffe einschätzen und Regeln aufstellen, ohne damit neue Produkte zu verhindern? Wie sonst sollten sie Detailkenntnisse darüber aufbringen, was möglich ist und was nicht? Und wen sonst sollten sie nach den Auswirkungen neuer Gesetze auf Wirtschaft und Gesellschaft fragen? Das räumt selbst der Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht ein, obwohl er sich vehement für eine stärkere Kontrolle der Lobbyisten einsetzt.
    "Wir brauchen Interessensvertreter als Politiker. Es ist nicht möglich, alles von vorneherein immer gleich zu Jan-Philipp Albrecht führt genau Buch darüber, wann er mit Lobbyisten spricht und dokumentiert das anschließend ins Internet. Die Wähler sollen wissen, sagt er, von wem sich ihr Abgeordneter beraten lässt.wissen. Wir sind nicht die Schlauen, die alles schon vorrätig haben. Aber es muss klar sein, dass das auch eine Beratung ist, die ausgeglichen ist und von allen Seiten kommt. Jeder muss seine Perspektive einbringen können, und da darf es kein Missverhältnis geben von denjenigen, die es sich leisten können jeden Tag anzuklopfen, und denjenigen, die nie hier nach Brüssel kommen."
    Mancher Parlamentarier lässt sich bezahlen
    Doch nicht alle Abgeordneten nehmen es mit der Rechenschaft gegenüber ihren Wählern so genau wie Jan Philipp Albrecht. Von Zeit zu Zeit tauchen Berichte über Parlamentarier auf, die sich dafür bezahlen lassen, die Interessen einzelner vor das Wohl ihrer Wähler zu stellen. Der frühere Fraktionschef der österreichischen Konservativen, Ernst Strasser, soll von seinen "Kunden", wie er sie nannte, fünfstellige Summen erhalten haben. Solch eklatante Verstöße gegen Recht und Gesetz sind allerdings eher die Ausnahme. Auch Geschenke und die viel beschworenen Einladungen in Brüsseler Nobelrestaurants spielen im Alltag keine zentrale Rolle. Kein Abgeordneter ist so mächtig, dass er einen Gesetzesvorschlag alleine durchsetzen oder verhindern oder auch nur verändern könnte. Dazu ist die europäische Gesetzgebung auch zu kompliziert, zu vielstufig, zu sehr unter Beobachtung.
    "Johannes Klais, Europäischer Verbraucherverband. Guten Tag Frau Pelz. Schön, dass Sie zurückrufen. Haben Sie unser Positionspapier bekommen? Glauben Sie, dass es möglich ist, dazu einen Termin mit dem Herrn Abgeordneten zu bekommen? Gerne noch vor der Abstimmung nächste Woche. Am Mittwoch? Ja, das geht, wir kommen gerne zu Ihnen. Dankeschön, bis dann, Wiederhören."
    Johannes Klais arbeitet für den europäischen Konsumentenverband BEUC, einem Dachverband, in dem auch die meisten deutschen Verbraucherverbände organisiert sind. Klais und sein Verband verstehen sich als Gegengewicht zu den Industrie- und Wirtschaftslobbyisten. Ob es um Roaming-Gebühren für Mobiltelefone geht, um Abgaswerte für Automobile, um Versicherungsgesetze oder um Handelsabkommen. Klais und seine Kollegen analysieren zunächst, was die geplanten Vorschriften für die Verbraucher bedeuten. Dann schreiben sie Briefe, Mails und greifen zum Telefon:
    "Wir sind Lobbyisten. So wie alle anderen Interessensvertreter in Brüssel auch versuchen wir die Entscheidungen zu beeinflussen, indem wir Kontakt aufnehmen mit Abgeordneten im Parlament, indem wir mit Vertretern der Mitgliedsstaaten sprechen, mit Beamten der Europäischen Kommission, um halt darzulegen, wie wir sehen, dass die bestimmten Entscheidungen Verbraucherrechte tangieren. Und was getan werden kann, um die Verbraucherrechte zu stärken."
    Große Firmen unterhalten offiziell Lobbybüros
    Es ist ein Kampf um Aufmerksamkeit. Zwanzig- bis dreißigtausend Lobbyisten sollen in Brüssel arbeiten. So genau weiß man das nicht, weil sich nicht alle zu erkennen geben. Und genau darin liegt das Problem. Selbst große Konzerne wie Daimler, BASF oder Deutsche Bank, die ganz offiziell Lobbybüros in Brüssel unterhalten, mit großem Stab und Messingschild an der Tür, selbst sie reden nicht gerne darüber, was ihre Mitarbeiter dort machen. Am allerwenigsten wollen sie darüber mit Journalisten sprechen.
    Sicher ist nur, dass praktisch alle großen Firmen, Banken und Versicherungen mit eigenen Leuten in Brüssel vertreten sind, dazu die Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und unzählige Anwaltskanzleien, die für kleinere Auftraggeber arbeiten, oder Auftraggeber, die nicht selbst in Erscheinung treten wollen. Sie alle haben das Organigramm der Europäischen Institutionen in der Schublade, wissen genau, welche Beamten in der EU-Kommission und in den EU-Botschaften der Mitgliedsstaaten an welchem Dossier arbeiten. Welche Richtlinien und Verordnungen gerade vorbereitet werden, und wie die Abgeordneten heißen, die im Europaparlament damit befasst sind. Sie kennen die Entscheidungswege und die Telefonnummern. Doch zum Schluss läuft es darauf hinaus, die richtigen Leute zu überzeugen, sagt Johannes Klais.
    "Der persönliche Kontakt ist natürlich sehr wichtig. Wir müssen Positionspapiere erstellen. Wir brauchen Argumente, die wir auch schriftlich vorlegen können. Aber letztendlich muss man die Abgeordneten treffen, die zu einem bestimmten Gesetzesvorschlag arbeiten, um zu erklären, wie eine Sache dann in der Realität funktioniert und wie Verbraucherrechte besser wahrgenommen werden können. Das findet auch im persönlichen Gespräch statt."
    Philip Morris: 161 Mitarbeiter aufs EU-Parlament angesetzt
    Es sind die Argumente, die zählen – und die Mittel, die ein Lobbyist zur Verfügung hat. Mit guten Argumenten kommt man schon sehr weit. Die deutsche Krebsliga zum Beispiel braucht in Brüssel nicht einmal ein eigenes Büro. Eine Mail an alle Abgeordneten, mit der Information, dass allein in Deutschland jeden Tag 300 Menschen an den Folgen des Rauchens sterben, die hat schon Gewicht. Solche einfachen Argumente stehen der Zigarettenindustrie offenbar nicht zur Verfügung, und deshalb gibt sie teure Studien in Auftrag. Professoren geben ihren Namen dafür her, dass der Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs nicht endgültig bewiesen sei, oder dass abschreckende Bilder auf den Zigarettenschachteln Raucher nicht vom Rauchen abhalten würden. Vor allem aber bringt sie Lobbyisten nach Brüssel. Allein der Zigarettenkonzern Philip Morris hat in diesem Jahr 161 Mitarbeiter aufs Europaparlament angesetzt, mehr als 250 Abgeordnete wurden bearbeitet, das heißt, sie werden immer wieder angerufen, im Büro besucht, zum Essen eingeladen und mit Argumentationsmaterial versorgt.

    Bekannt wurde das alles, weil ein streng vertrauliches Strategiepapier des Zigarettenkonzerns an die Öffentlichkeit gelangte. Da stand fein säuberlich aufgelistet, was die Philip-Morris-Leute sich ausgedacht hatten, um die Verschärfung der Tabakrichtlinie zu torpedieren. So wurden über alle Europaabgeordneten Profile angelegt. Wer ist für welche Argumente empfänglich? Hat er mit der Tabakgesetzgebung zu tun? Die Lobbyisten haben sich dann ganz gezielt auch an jene gewandt, die sich nicht so gut mit der Zigarettenverordnung auskennen, und die auch sonst keine große Rolle spielen im Parlament, die nicht oft da sind und sich wenig engagieren und die deshalb auch selten von irgendjemand eingeladen werden. Solche Abgeordnete sind empfänglicher für die Aufmerksamkeit, die ihnen plötzlich zuteilwird, für das Gefühl von Bedeutung, und auch für die Argumente, die ein Spezialist wie Karl-Heinz Florenz schnell zurückgewiesen hätte.eordnete wurden bearbeitet, das heißt, sie werden immer wieder angerufen, im Büro besucht, zum Essen eingeladen und mit Argumentationsmaterial versorgt.Der Christdemokrat Florenz ist der zuständige Berichterstatter für die Tabakverordnung, das heißt, er hat den Gesetzentwurf im Auftrag des Parlaments bearbeitet. Das Arbeitsplätze-Argument bringen Wirtschaftslobbyisten in allen möglichen Fragen immer vor. Dieses Argument verfängt bei ihm nicht. Unter den Hinterbänklern waren viele beeindruckt. 100.000 Jobs würden allein in Deutschland verloren gehen, hatten die Zigarettenvertreter den Abgeordneten eingehämmert. 100.000 Arbeitslose raunten die Lobbyisten, mitten in der Krise, das sei doch nicht zu verantworten. Sie schafften es mit dieser Zahl sogar in die "Bild"-Zeitung, wo sie einmal mehr den Wahnsinn und die Regulierungswut in Brüssel geißeln durften."Wenn aber so etwas in den Raum gestellt wird und dann auch noch in einer populären Zeitung steht, dann kommen natürlich die Sozialpolitiker zu mir und sagen, Karl-Heinz, was machst du denn da? Das ist aber gefährlich, was du da machst."Dabei beschäftige die Zigarettenindustrie in ganz Deutschland nur 10.000 Menschen, sagt Florenz. Selbst wenn man alle Tabakhändler, Automatenaufsteller und die Lastwagenfahrer dazurechne, käme man allenfalls auf 40.000 Jobs. Und gefährdet wären die nur, wenn alle Raucher mit dem Rauchen aufhören würden. Doch das ist gar nicht das Ziel der Richtlinie. Nicht das Rauchen soll verboten werden, sondern lediglich bestimmte Verpackungen und Beimischungen, mit denen die Zigarettenindustrie junge Menschen zu Rauchern machen will. Die superschlanken Slim-Schachteln zum Beispiel, sie sprechen vor allem Mädchen an. Oder das Menthol, das die Atemwege leicht betäubt, damit Anfänger den Rauch weniger unangenehm empfinden. Die EU-Kommission schätzt, dass davon höchstens zwei Prozent der Raucher betroffen sind.Tabak-Lobbyisten sollen das Geschäft sichernVermutlich geht es den Zigarettenkonzernen gar nicht um die Arbeitsplätze. Sieben Milliarden Euro Umsatz macht allein Philip Morris in Europa, rund die Hälfte davon bleibt dem Unternehmen an Gewinn. Zigaretten sind kein besonders arbeitsintensives Geschäft. Würden Raucher das Geld für besseres Essen ausgeben, entstünden weit mehr Jobs. Aber für solche Argumente werden die Tabak-Lobbyisten nicht bezahlt. Sie sollen das Geschäft absichern, und deshalb kümmern sie sich darum, dass im Europaparlament der Eindruck entsteht, der ganze europäische Mittelstand laufe Sturm gegen die neue Verordnung. Monatelang wurden die Abgeordneten mit Briefen beschossen, von aufgebrachten Kioskbesitzern, von Tabakbauern und den Belegschaften mittelgroßer Zigarrenfirmen. So schreiben die Mitarbeiter der Heintz von Landwewyck GmbH in Trier zum Beispiel:"Wir haben massive Angst um unseren Arbeitsplatz und um das Einkommen unserer Familien."Seltsamerweise schreiben auch Belegschaften anderer Firmen wortgleich dasselbe, etwa die Mitarbeiter der Zigarillofirma Villiger Söhne. Der Chef des Unternehmens, Heinrich Villiger, räumt schließlich schriftlich ein, dass es sich um ein Musterschreiben des Verbandes der Rauchtabakindustrie handelt:"Für das uns unterlaufene Missgeschick möchte ich mich in aller Form entschuldigen. Der Entwurf des Ihnen und anderen Abgeordneten des EU-Parlaments und des Bundestages von Mitarbeitern unseres Unternehmens zugestellten Schreibens wurde in der Tat von unserem Industrieverband VdR formuliert."Nicht alle Briefschreiber bleiben so höflich. Eine in Wien spontan gegründete Bürgerinitiative "Adults for Adults," zu Deutsch: Erwachsene für Erwachsene, rückt die Tabakrichtlinie in die Nähe der Euthanasiepolitik der Nazis:"Wenn Sie die Frage zum Thema machen, welche Kosten Menschen durch ihre Krankheiten verursachen, dann könnte es sehr schnell geschehen, dass die Öffentlichkeit ihrerseits beginnt, nach weiteren zu kostspieligen oder unrentabel gewordenen Menschen zu suchen und über Möglichkeiten von deren Entsorgung nachzudenken. Das haben wir in der Vergangenheit doch bereits erlebt. Wollen Sie wirklich mit diesem Feuer spielen?"Unterschrieben ist das Pamphlet von dem Wiener Philosophie-Professor Robert Pfaller. Doch wer sich die Mühe macht, im Internet nach den Sponsoren der Initiative zu suchen, stößt, versteckt hinter einem Dutzend Einzelspendern, schließlich auf BAT, auf British American Tobacco, den zweitgrößten Zigarettenkonzern der Welt.Gründung falscher BürgerbewegungenAm Eingang des mehrstöckigen Gebäudes an der Brüsseler Rue Montoyer 51, einen Steinwurf vom Europaparlament entfernt, hängt kein Firmenschild und auch sonst kein Hinweis auf die Bewohner des Hauses. Aber Nina Katzemich von der Organisation Lobbycontrol weiß auch so, wer hier residiert. Philip Morris hat hier sein Europabüro, sagt sie, und dann sind da noch einige Anwaltskanzleien, die für große Unternehmen Sonderaufgaben übernehmen."Es gibt dann halt welche, die sind darauf spezialisiert, Grassroot-Bewegungen zu gründen, also falsche Bürgerbewegungen. Andere sind darauf spezialisiert, akademisch aussehende Konstrukte zu bilden, hinter denen dann eigentlich die Unternehmen mit ihren Interessen stehen, aber vorne im Parlament kommt an, das ist hier eine Organisation aus Wissenschaftlern und Experten. Und auf diese Weise kann man natürlich sein Interesse viel besser an die Abgeordneten und an die Öffentlichkeit verkaufen, weil es ist halt kein Eigeninteresse mehr."Das ist sie, die Lepra, die Karl-Heinz Florenz meint. Agrarkonzerne, die sich Kleinbauern einkaufen, damit sie für Gentechnik werben. Chemieriesen, die unter falscher Flagge segeln und ihre Interessen als Verbraucherinteressen ausgeben. Und eben Zigarettenmultis, die selbst gemachte Bürgerbewegungen aufmarschieren lassen, um Stimmung gegen Brüssel zu machen, um mit falschen Informationen die Bevölkerung gegen die Europäische Union aufzubringen. Dieses Spiel über die Bande ist es, das Abgeordnete wie Karl-Heinz Florenz auf die Palme bringt.Einige Lobbyisten sind vermutlich sogar noch weiter gegangen. Vor einem Jahr musste der bei der Zigarettenindustrie besonders verhasste EU-Kommissar John Dalli wegen Korruptionsverdachtes zurücktreten. John Dalli war es, der die Verschärfung der Tabakrichtlinie auf den Weg gebracht hat und der dafür kämpfte, junge Menschen vom Rauchen abzuhalten. Vieles deutet darauf hin, dass ein schwedischer Tabakkonzern den vermeintlichen Akt der Korruption inszeniert hat - mit konspirativen Treffen in Malta und falschen Zeugenaussagen. Derzeit ermittelt das EU-Betrugsdezernat Olaf. Aber selbst wenn sich die Unschuld des Zigarettengegners Dalli herausstellen sollte: die Tabakkonzerne haben durch seinen Rücktritt Zeit gewonnen. Fast ein Jahr mehr, um die Abgeordneten zu bearbeiten. Ein Jahr mehr, in dem die Verschärfung der Tabakrichtlinie noch nicht in Kraft ist.Der christdemokratische Europaabgeordnete Florenz legt Wert auf die Feststellung, dass dies nur die eine Seite des Lobbyismus sei, die schlechte. Die Mehrheit der Interessenvertreter, das sind anständige Leute, sagt er, die mit offenem Visier für ihre Sache werben."Die Unternehmen sollen hier ihre Sorgen vortragen, da bin ich ganz einverstanden. Dann muss aber die Politik den Raum behalten, unabhängig eine anständige Entscheidung zu treffen."Unabhängigen Büros verschaffen sich RespektWichtig sei vor allem, alle Seiten zu hören. Doch das ist nicht immer leicht. Wenn es beispielsweise um Finanzmarktreformen geht, dann haben die Abgeordneten die Wahl zwischen den Argumenten der großen Banken und der kleinen Banken. Andere Lobbyisten gibt es bei solchen Themen kaum. Vor zwei Jahren gründeten deshalb kritische Finanzexperten die Lobbyorganisation Finance Watch mit dem Ziel, bei den Finanzreformen die Interessen der Gesellschaft zu vertreten. Mit insgesamt 13 Mitarbeitern gehört Finance Watch zu den kleineren Lobbybüros in Brüssel, so wie auch Umweltverbände, Verbraucherzentralen oder Gesundheitsorganisationen meist nur wenige Mitarbeiter beschäftigen. Doch viele dieser unabhängigen Büros haben sich mit ihrer Fachkenntnis sowohl im Europaparlament wie auch in der EU-Kommission Respekt verschafft. In der Europäischen Kommission etwa hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass diese Organisationen nicht nur ein Gegengewicht zur Masse der Wirtschaftslobbyisten sind, sondern dass sie mit ihrer Expertise einen wichtigen Beitrag zur europäischen Gesetzgebung leisten. Nicht alle Abgeordneten finden das gut. Werner Langen ist einer der einflussreichsten Christdemokraten im Europaparlament. Anders als seinem Parteifreund Karl-Heinz Florenz gehen ihm die unabhängigen Interessenvertreter auf die Nerven:"Es gibt die Guten, die in der Regel auch von der EU unterstützt werden mit gewaltigen Summen. Das addiert sich für Gutachten und direkte Betriebskostenunterstützung auf 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Die in der Regel aber nur Stellungnahmen gegen die EU-Kommission und gegen die Parlamentsmehrheit machen, Aktionen machen, uns bedrängen, uns ständig die schlechten Lobbyisten vorhalten, nämlich die, die ihre Interessenvertretung selbst bezahlen. Und ich finde, das ist ein ungeheurer Vorgang, den muss die Europäische Kommission beenden, und wir werden das im Haushalt auch kontrollieren."Forderung nach mehr TransparenzDer CDU-Abgeordnete Werner Langen macht keinen Hehl daraus, dass ihn vor allem der Einfluss der Umweltverbände stört. Jüngstes Beispiel ist der Streit um strengere Abgaswerte für Autos. Die deutschen Konzerne BMW, Mercedes und Audi verlangten Ausnahmeregeln für große Wagen. Schwere Limousinen bräuchten nun einmal mehr Sprit und hätten deshalb auch einen höheren CO2-Ausstoß. Die schwarz-gelbe Bundesregierung stellte sich hinter die deutsche Autoindustrie und machte Druck in Brüssel. Nicht zuletzt die kleinen Umweltbüros verhinderten eine geräuschlose Lösung, wie sie die konservativ-liberale Koalition gerne gehabt hätte. Zwar hat sich die Bundesregierung am Ende durchgesetzt, aber um den Preis, in Umweltfragen oft nicht mehr ernst genommen zu werden. Lobbyismus, so scheint es, ist auch eine Frage des Blickwinkels. Während die Grünen im Europaparlament eng mit Greenpeace oder Finance Watch zusammenarbeiten und die Industrielobby harsch kritisieren, halten es viele Konservative und Liberale genau umgekehrt. Einig sind sich Europaabgeordnete wie der Christdemokrat Karl-Heinz Florenz und der Grüne Jan Philipp Albrecht vor allem in der Forderung nach mehr Transparenz: Lobbyisten sollten offenlegen müssen, wofür sie Lobby machen und welche Mittel sie dafür einsetzen. Zwar gibt es inzwischen ein Lobbyregister in Brüssel, aber die Einträge beruhen auf Freiwilligkeit, und sie sind dementsprechend unzuverlässig.Was Transparenz bewirken kann, zeigte sich gerade bei der Tabakrichtlinie. Noch kurz vor der Abstimmung im Europaparlament sah es so aus, als hätte Karl-Heinz Florenz mit seinen Vorschlägen zur Verschärfung der Richtlinie kaum eine Chance. In vielen Gesprächen, erzählt Florenz, habe er den Eindruck gewonnen, dass eine Mehrheit der Abgeordneten immer stärker den Argumenten der Zigarettenindustrie folgten, dass sie die Freiheit des Rauchens betonten und die Angst um die Arbeitsplätze.Erst als das vertrauliche Papier von Philip Morris auftauchte, mit den Namen der Abgeordneten, um die sich der Konzern besonders bemüht hatte, erst dann kippte die Stimmung. Vor allem Parlamentarier aus Frankreich, Irland, Belgien seien reihenweise auf seine Linie eingeschwenkt, sagt Florenz. Eine Beobachtung, die auch die belgische Grüne Isabelle Durant gemacht hat:"Die Tabakindustrie hat eine enorme Lobbyarbeit gemacht und hat es auch geschafft, eine ganze Reihe von Änderungsanträgen durchzubekommen. Aber sie hat nicht alles erreicht. Die Tatsache, dass ihre Strategie öffentlich wurde, hat bei vielen Abgeordneten doch ein gewisses Unwohlsein ausgelöst, sodass sie den Lobbyisten doch nicht ganz gefolgt sind. Deshalb ist Transparenz so wichtig. Ich will niemandem vorwerfen, dass er den Vorstellungen der Industrie nachgibt, aber dann sollen die Abgeordneten öffentlich dazu stehen."Noch ist die Tabakrichtlinie nicht endgültig beschlossen. Doch bei den Verhandlungen zwischen EU-Parlament und Ministerrat geht es nur noch um Details. Der Kern der Richtlinie steht: Die Schockbilder auf den Zigarettenschachteln werden größer sein, als es die Tabaklobbyisten wollten, außerdem werden einige Zusatzstoffe wie Menthol und Kakao verboten, weil sie den Einstieg ins Rauchen erleichtern. Doch die Zigarettenkonzerne bekommen bis zu acht Jahre Übergangszeit. Die Lobbyisten von Philip Morris und Co. haben einen Teilerfolg errungen.
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