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EU-Türkei-Beziehungen
"Es ist unverantwortlich, das Abkommen aufzukündigen"

Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet hält an den EU-Beitrittsgesprächen mit der Türkei sowie am Flüchtlingsabkommen fest. Die syrischen Flüchtlinge seien auch nach dem Putschversuch in der Türkei sicher, sagte Laschet im Deutschlandfunk. Durch die Beitrittsgespräche gebe es zudem einen Gesprächsfaden mit Ankara.

Armin Laschet im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der nordrhein-westfälische CDU-Fraktionsvorsitzende Armin Laschet im Landtag
    Der nordrhein-westfälische CDU-Fraktionsvorsitzende Armin Laschet (picture alliance/dpa/Roland Weihrauch)
    Laschet sagte weiter, der Grundgedanke des Flüchtlingsabkommens, syrischen Flüchtlingen in der Türkei zu helfen und ihnen einen legalen Weg nach Europa zu eröffnen, sei richtig. Die Menschen seien zudem sicher in den UNHCR-Flüchtlingscamps.
    Mit Blick auf die Forderungen Österreichs, die EU-Beitrittsgespräche auszusetzen, erklärte Laschet: "Ich halte es nicht für klug, jetzt spektakulär die Verhandlungen abzubrechen." Er sehe zwar in absehbarer Zeit keinen Beitritt der Türkei, aber ein Abbruch sei kurzsichtig, "weil damit ein weiterer Gesprächsfaden abbricht."
    Die Türkei werde ein wichtiger Nachbar Europas bleiben und sei auch Nato-Partner. Auch mit Blick auf die Millionen Menschen, die nicht die Regierungspartei AKP gewählt hätten, sei ein Abbruch schlecht. Sonst werde nur Präsident Recep Tayyip Erdogan gestärkt.

    Das Interview in voller Länge:
    Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Armin Laschet, stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, außerdem Chef der CDU in Nordrhein-Westfalen, ehemaliger Integrationsminister dort auch. Schönen guten Morgen, Herr Laschet!
    Armin Laschet: Guten Morgen!
    Heckmann: Herr Laschet, aus aktuellem Anlass: Türkische Behörden haben erstmals nach dem Putsch eine deutsche Staatsbürgerin verhaftet, die angeblich im Verdacht steht, Anhängerin der Gülen-Bewegung zu sein. Was erwarten Sie von Ankara in dem Zusammenhang?
    Laschet: Also, mir liegen auch nur die Informationen des Auswärtigen Amtes vor, die Deutsche Botschaft versucht ja seit einigen Tagen, in Kontakt, in konsularischen Kontakt mit der Staatsangehörigen zu kommen, wir wissen nicht, ich weiß jedenfalls nicht, ob es eine deutsche Staatsangehörige, eine Doppelstaatsangehörige ist, ob sie dauerhaft in der Türkei lebte oder in die Türkei eingereist ist. Also, ich denke, dass man erwarten kann, dass in den nächsten Tagen dieser konsularische Kontakt zustande kommt und dass man dann auch über die genaueren Vorwürfe informiert wird.
    "Die Deutsche Botschaft ist mit den Angehörigen in Kontakt"
    Heckmann: Bisher sind diese Versuche jedenfalls erfolglos geblieben. Was sagt das aus Ihrer Sicht über das Verhalten der türkischen Behörden?
    Laschet: Das sagt gar nichts darüber, das muss das Auswertige Amt bewerten. Ich kenne nicht die Umstände, die Deutsche Botschaft ist mit den Angehörigen in Kontakt und ich denke, dass sich das in den nächsten Tagen klären wird.
    Heckmann: Wir werden das natürlich hier im Deutschlandfunk auch weiter beobachten, Herr Laschet, kommen wir aber mal zum eigentlichen Thema: Der österreichische Kanzler Kern hat ja gefordert, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen auszusetzen. Die CSU ist das schon lange dieser Meinung und auch 80 Prozent der Deutschen – das ist jetzt eine ganz aktuelle Zahl des ARD-Deutschlandtrends – ist aktuell gegen einen Beitritt. Ist es nicht tatsächlich jetzt an der Zeit, diese Gespräche abzubrechen?
    Laschet: Also, das sind ja ganz unterschiedliche Zahlen, die Sie da zitieren. Ich persönlich war immer gegen einen EU-Beitritt der Türkei, auch im Interesse der Europäischen Union, weil sie überdehnt würde mit einem so großen neuen Mitgliedsstaat. Das ist eine Debatte, die wir seit 15 Jahren führen, die Regierung Schröder-Fischer hat das damals sehr vorangetrieben und die Skepsis gegenüber diesem Beitritt ist geblieben. Aber eine ganz andere … Die teilen inzwischen immer mehr Deutsche, wie ja Ihre Umfrage zeigt, die Sie gerade zitiert haben. Aber eine ganz andere Frage ist doch, ob in diesen schwierigen Tagen, die wir im Moment erleben, ein solcher Abbruch offiziell durch die Europäische Union erklärt werden soll und was das bringt. Und die österreichische Politik halte ich für kurzsichtig. Denn damit bricht ein weiterer Gesprächsfaden ab. Wir wissen, dass in den nächsten Tagen der türkische Präsident Erdogan Präsident Putin treffen wird. Also, es gibt viel mehr Fragen, die in den Beziehungen zur Türkei wichtig sind, als jetzt einen solch spektakulären Akt zu vollziehen. Und deshalb, bei aller Skepsis zu einem Beitritt: Jetzt die Verhandlungen abzubrechen, ist nicht klug.
    "Ich halte es nicht für klug, jetzt spektakulär die Verhandlungen abzubrechen"
    Heckmann: Das heißt, Herr Laschet, wenn ich das kurz zusammenfassen darf in meinen eigenen Worten: Sie sind gegen einen Beitritt, aber für die Fortsetzung der Verhandlungen?
    Laschet: Ich war das immer schon, aber wir haben ein Prinzip, dass Verträge eingehalten werden müssen. Wenn eine Bundesregierung diese Verhandlungen begonnen hat, wenn die Europäische Union verhandelt, dann ist es ein neuer Akt zu sagen, wir brechen jetzt alles ab. Und ich sehe in absehbarer Zeit keinen EU-Beitritt der Türkei, aber ich frage mich, ob eine solche Verschärfung in einem Moment, wo eigentlich Gespräche mit einem Land wichtig sind, ob das eine kluge Entscheidung ist. Und ich halte es nicht für klug, jetzt spektakulär die Verhandlungen abzubrechen. Sie ändern übrigens auch nichts an dem Verhalten Erdogans, es ist nur ein neues Mittel des Dialogs weggebrochen.
    Heckmann: Da sind Sie der gleichen Meinung wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der auch sagt, wir brauchen diese Gespräche mit der Türkei. Viele sagen auch, dass diese Beitrittsverhandlungen Ankara dazu bringen könnten, auf den Pfad der Tugend zurückzufinden. Aber ist das nicht naiv vor dem Hintergrund der derzeitigen Entwicklung? Denn man hat ja weiß Gott nicht den Eindruck, dass Präsident Erdogan sich von irgendetwas, durch diese Gespräche, diese Verhandlungen abhalten lässt.
    Laschet: Ja, aber was folgt denn daraus? Die Türkei wird ein wichtiger Nachbar Europas bleiben. Die Türkei liegt an der Grenze zu Syrien. Die Türkei hat drei Millionen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen. Die Türkei ist Mitglied der NATO. Eine solche resignative Haltung, dass man sagt, das ist eh alles verloren, jetzt brechen wir alle Beziehungen ab, ist keine kluge Außenpolitik. Die Opposition in der Türkei setzt darauf, dass die Türkei weiterhin sich westlich orientiert, dass sie weiter Richtung europäischer Werte sich entwickelt. Das sind Millionen Menschen, die nicht AKP gewählt haben und die auf eine solche Entwicklung hoffen. Und da zu sagen, wir brechen alles ab, wir reden nicht mehr miteinander, der österreichische Außenminister hat ja eben sogar andeutungsweise gesagt, wir brauchen das ganze Flüchtlingsabkommen nicht mehr. Das ist kurzsichtig und das stärkt man Ende eher Erdogan, als dass es wirklich einen europäischen Weg der Türkei ermöglicht.
    "Es ist unverantwortlich, das Abkommen aufzukündigen"
    Heckmann: Sie haben das Flüchtlingsabkommen angesprochen, Herr Laschet, das ist ja nicht nur der österreichische Kanzler, der sich darauf bezogen hat, auch die Menschenrechtsbeauftragte immerhin der Bundesregierung hat gesagt, dieses Flüchtlingsabkommen, das muss jetzt auf den Prüfstand, denn dieses Abkommen setzt Rechtsstaatlichkeit voraus und davon kann man weiß Gott – aus ihrer Sicht jedenfalls – nicht sprechen in der Türkei. Und die Grünen argumentieren, es sei zynisch, regelrecht zynisch, an diesem Flüchtlingspakt festzuhalten, denn nach wie vor werden Menschen von der Türkei nach Syrien oder auch in den Irak zurückgeschoben, es wird sogar laut Amnesty International auf Menschen geschossen von türkischer Seite aus auf Flüchtlinge, die aus Syrien kommen. Also kurz gefragt: Kann man Flüchtlinge noch in die Türkei zurückschicken angesichts dieser Lage?
    Laschet: Also, das sind Einzelfälle, die mit alledem, was Sie jetzt eben beschrieben haben, mit der Entwicklung nach dem Putsch, nun nichts zu tun haben. Denen muss man einzeln nachgehen, die hat Amnesty International benannt, das tut der UNHCR, das tut die Europäische Union, wie geht die Türkei mit syrischen Flüchtlingen um? Insgesamt muss man sagen, dass sich nach dem Putsch die Lage für die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge nicht verändert hat. Und die Idee, ihnen dort zu helfen und sie nicht erst auf den Weg nach Europa gehen zu lassen, das ist die Idee des Flüchtlingsabkommens. Und die bleibt richtig. Und wenn der österreichische Außenminister glaubt, dass die Grenze in Mazedonien der richtige Weg ist, die Flüchtlingskrise zu lösen, dann lässt er damit Griechenland allein. Also, es ist eine schwierige Lage, aber der Grundgedanke, den Flüchtlingen in der Türkei zu helfen, dafür Milliarden der EU bereitzustellen und legale Zugangswege nach Europa zu öffnen, der ist richtig, der bleibt richtig und es ist unverantwortlich, das Abkommen aufzukündigen.
    Heckmann: Wir haben gestern neue Zahlen gehört über die Zahl der Asylanträge in Deutschland, und zwar von Türken, und diese Zahl steigt. Vor allem Kurden stellen hier in Deutschland Asyl. Ist die Türkei – noch wird sie ja als sicheres Herkunftsland eingeschätzt –, ist das noch zu halten, diese Einschätzung?
    Laschet: Die Einschätzung sicheres Herkunftsland betrifft ja insbesondere die syrischen Flüchtlinge. Die sind in der Türkei in den Camps des UN-Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen sicher. Das ist die Aussage, die mit dieser Bezeichnung sicheres Herkunftsland gemeint ist. Natürlich gibt es nach dem Putsch Menschen, die in der Türkei auch Verfolgung erleiden, es gibt Menschenrechtsverletzungen an Kurden, das ist eine andere Frage. Und insofern ist es auch verständlich, dass in solchen Instabilitäten, wie wir sie im Moment erleben, auch die Zahlen von Asylanträgen steigen. Aber man muss sauber trennen …
    "Die DITIB müsste sich völlig neu organisieren und unabhängig machen"
    Heckmann: Und würden Sie sagen, dass die Türkei noch weiterhin als sicheres Herkunftsland gelten kann?
    Laschet: Ja, es kommt ja darauf an, für wen. Die Syrer, die sich in die Türkei retten, sind dort unter sicheren Bedingungen, und das sind immerhin drei Millionen Menschen, die mit großem Einsatz von vielen Türken in der Türkei Sicherheit erfahren. Da gibt es keine Verletzungen von Menschenrechten gegenüber dieser Gruppe. Aber in anderen Regionen der Türkei, wenn Sie beispielsweise die Kurden erwähnen oder die Aleviten oder andere, ja, da gibt es Menschenrechtsprobleme, Menschenrechtsverletzungen, die man auch benennen muss. Aber man darf das nicht alles in einen Topf werfen und dann zu Schlüssen kommen, sondern in den Fragen des Abkommens mit Europa sind die syrischen Flüchtlinge in den Camps unter Betreuung jetzt auch der Europäischen Union, wo sie auch Bildung erfahren, wo sie Nahrungsmittel bekommen, da sind sie sicher vor dem Bürgerkrieg und auch vor türkischen Behörden.
    Heckmann: Herr Laschet, Sie als ehemaliger Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen möchte ich noch was anderes fragen, und zwar bezogen auf unseren Umgang mit der DITIB, also der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion. Die ist ja eng mit der Regierung in Ankara verbunden und galt dennoch in den vergangenen Jahren als wichtiger Partner der deutschen Behörden, auch was übrigens islamischen Religionsunterricht in verschiedenen Bundesländern angeht. Jetzt denken einige Bundesländer darüber nach, Rheinland-Pfalz hat diese Zusammenarbeit erst mal auf Eis gelegt, auch Hessen denkt darüber nach. Kann die DITIB so, wie sie jetzt derzeit auf Staatskurs ist, auf Ankara-Kurs ist, noch Partner sein in Deutschland?
    Laschet: Das ist erneut eine sehr komplizierte Frage. Die DITIB hat in den 50 Jahren seit den ersten Anwerbeabkommen mit der Türkei die Seelsorge der hier lebenden türkischen Staatsbürger übernommen. Und die deutschen Behörden waren über Jahrzehnte froh, dass es die DITIB war, weil sie eben vom türkischen Staat abhängig war und damit garantiert war, dass ein Islam in den Moscheen gepredigt wurde, der mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das war bisher die Ausgangslage über all die Jahre. Sie ist nie in den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts oder etwas Ähnlichem wie die Kirchen bei uns in Deutschland gekommen, aber sie war der Ansprechpartner für 70 Prozent aller Moscheen in Deutschland. Und jetzt …
    Heckmann: Und müssen wir darüber nachdenken, ob das so bleibt?
    Laschet: Ja, und jetzt ist die Frage: Wie sehr wird jetzt türkische Innenpolitik über diese Moscheegemeinden gemacht? Da gibt es viele beunruhigende Berichte der letzten Wochen und deshalb finde ich das richtig, dieses erneut auf den Prüfstand zu stellen. Auf Dauer kann Partner des deutschen Staates beispielsweise beim Religionsunterricht nur jemand sein, der nicht von einer ausländischen Regierung abhängig ist. Die DITIB müsste sich völlig neu organisieren und auch unabhängig machen. Und hier jetzt einmal innezuhalten, so wie das die Regierungen beispielsweise in Hessen und in Rheinland-Pfalz gemacht haben, die allerdings vorher auch schon sehr weitgehende Beschlüsse gefasst haben, das halte ich für richtig.
    Heckmann: Der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU in Deutschland Armin Laschet war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Laschet, danke Ihnen für Ihre Zeit, danke für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag!
    Laschet: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.