Zudem sei sie der unsäglichen Einstellung einiger EU-Staaten geschuldet, keine Flüchtlinge aufnehmen zu wollen, sagte Asselborn. Er fügte hinzu, die Alternative zu diesem "Deal" wäre eine noch desaströsere Situation in Griechenland gewesen, mit noch desaströseren Bildern als jenen aus Idomeni, dem Lager an der griechisch-mazedonischen Grenze.
Die Umsetzung der vereinbarten Umsiedlung von Flüchtlingen bezeichnete Asselborn als große Herausforderung für die EU. Wenn der politische Wille da sei, könne es aber diesmal klappen. Asselborn warnte, im Falle eines erneuten Scheiterns bahne man Rechtspopulisten den Weg, die europäische Werte zu zerstören.
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Jetzt gibt es also doch eine Einigung: Die Bundeskanzlerin hat lange dafür gearbeitet, dass die Europäische Union auf der einen Seite und die Türkei auf der anderen Seite ein Abkommen schließen. Gestern ist es dann geschlossen worden. Wenn man dem Minenspiel folgt, dann ist die türkische Seite etwas zufriedener als viele andere, aber ob das Minenspiel wirklich so ausschlaggebend ist, das wollen wir unter anderem jetzt besprechen, und dazu begrüße ich Jean Asselborn, den Außenminister Luxemburgs hier bei uns im Deutschlandfunk. Guten Morgen, Herr Asselborn!
Jean Asselborn: Guten Morgen, Zurheide!
Zurheide: Zunächst mal die erste und wichtigste Frage: Kann denn das eigentlich funktionieren, was man da bespricht, also auf der einen Seite Menschen aus Griechenland wieder zurückzuschicken in die Türkei, und dann kommen andere aus der Türkei in die Europäische Union. Ist das praktikabel?
Asselborn: Herr Zurheide, um anzufangen, ich glaube, auch in meiner Brust gibt es zwei Seelen. Das Erste ist, dieses Projekt, nennen wir es mal Türkei-Griechenland-Europäische-Union, von gestern, wo es zu einer theoretischen Einigung kam, das ist schon für EU-Verhältnisse in der letzten Zeit in der Lösungsfindung bemerkenswert, aber andererseits, das muss man auch klar sagen, diese Lösung ist auch das Resultat, wenn ich so sagen darf, der Unfähigkeit der Europäischen Union, sein auch theoretisch beschlossenes System umzusetzen, nämlich EU-Grenzkontrollen, Hotspots an den Außengrenzen, Umverteilung der Herausforderung, das heißt der Menschen aus Griechenland und Italien vor allem in die EU-Mitgliedsländer. Es ist auch das Resultat - da muss man auch klar das sagen - der unsäglichen Einstellung einiger EU-Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen. Ich werde diesen Deal nicht prinzipiell oder grundsätzlich kritisieren. Er ist im Grunde genommen denen aufgezwungen worden, die dann geglaubt haben an die europäische Grundlösung, wenn ich mal so sagen darf.
"Griechenland würde zu einem großen Auffanglager werden"
Zurheide: Ich glaube, Sie haben damit das Grunddilemma geschildert - weil in Europa bestimmte Dinge nicht geklappt haben, muss man jetzt eine B- oder C-Lösung, wie immer wir die bezeichnen wollen, machen. Meine Frage war ja, kann das funktionieren? Also viele fragen sich ja, gerade die Griechen, die administrativ, um es vorsichtig auszudrücken, nicht die Stärksten sind und viel Hilfe brauchen, also die sollen da jetzt irgendwie ja was auch immer auseinanderhalten, dann wieder Menschen zurückschicken. Wer macht das, hat man da Schiffe, ist das eigentlich alles geregelt? Das Ganze soll am Sonntag beginnen, da höre ich viele, die die Augenbrauen hochziehen und sagen, na ja - was sagen Sie?
Asselborn: Sie haben komplett recht, aber ich will auch sagen, heute Mittag ist eine - kann das sagen - eine Pledging-Konferenz, wo jedes Mitgliedsland der Europäischen Union angeben soll, wie viele Menschen sie zur Verfügung stellen, um in Griechenland zu helfen. Aber Herr Zurheide, ich glaube das Problem ist jetzt nicht ein technisches Problem. Das Problem, das wir anpacken mussten, ist eigentlich, glaube ich, was geschieht, ohne eine Lösung zu finden mit der Türkei, in der Situation, wo wir jetzt sind. Dann hätten wir totsicher - die Griechen wissen das auch und viele in der Europäischen Union, glaube ich, auch - eine desaströse Situation in Griechenland.
Griechenland würde zu einem großen Auffanglager werden, wo die Griechen unfähig sind, auch die Returns zu organisieren und damit umzugehen. Wir hätten noch desaströsere Bilder, hätten wir, glaube ich, wie das in Idomeni zurzeit der Fall ist. Das müssen wir wegbekommen. Es gibt eben - das ist ein Faktum in der Europäischen Union -, es gibt Länder in der Europäischen Union, die schicken Soldaten, um die griechisch-mazedonische Grenze abzusichern, damit die Balkanroute abgeschnitten ist. Das haben wir alles, und darum, ich glaube, wenn der Wille da ist, politisch das umzusetzen, dass das gemacht werden kann, wenn wir nicht diesen Deal umsetzen können, dann werden wir - und Sie haben das letzten Sonntag erfahren -, dann werden wir den Rechtspopulisten à la AfD eine Autobahn bauen, um unsere Werte niederzurennen. Also dieser Deal, noch einmal, umsetzen ist natürlich eine große Herausforderung. Ich hoffe, dass es besser geht als mit der Lösung, die wir, also Europäer, ja eigentlich mit der Kommission zusammen vorgeschlagen haben, um das als Europäer zu bewältigen. Ob man das will oder nicht, man muss sich selbst dransetzen, diese Umsetzung hinzukriegen.
"Diese Bilder müssen weg"
Zurheide: Jetzt haben Sie Idomeni schon angesprochen: Ich habe den Eindruck, keiner traut sich, das im Moment in Brüssel zu sagen. Was kann denn da passieren? Die Menschen, die da im Dreck hausen - ich meine, das ist ja jetzt noch eine zurückhaltende Beschreibung, die ich da mache -, was sagt die Europäische Wertegemeinschaft, um jetzt ein großes Wort zu benutzen, zu solchen Bildern?
Asselborn: Herr Zurheide, ich glaube, dass gestern kein Wort über Idomeni im Text steht, aber das ist natürlich klar, dass wenn wir sagen, wir brauchen jetzt 4.000 Menschen, um dieses hier umzusetzen, dass die erste Aufgabe sein muss, dass die Leute in Idomeni, dass die in einen Bus oder in Busse gesetzt werden, das muss organisiert werden, und dass sie menschenwürdig in Auffanglager in Griechenland auf dem Festland hingeführt werden. Das wurde auch schon zum Teil von den griechischen Autoritäten angefangen.
Das wäre auch ein guter, sagen wir mal, guter Moment, um die Relocation, um die Umverteilung dieser Menschen, wenn sie dann natürlich nach Asyl fragen in Europa, in Griechenland, um diese Umverteilung auch anzufangen - diese Bilder müssen weg. Das ist ganz klar, und ich hoffe auch, dass es ein für allemal vorüber ist, dass Menschen in der Europäischen Union, die Politiker sind, glauben, dass wenn man hier abriegelt, dass man dann das Problem gelöst hat für verschiedene Länder, die dann nördlich von Mazedonien liegen.
Zurheide: Damit sind wir bei der anderen wichtigen Frage: Zu diesem Deal gehört auch, dass man dann die Zahl im Moment von 72.000, aber am Ende wissen wir, es werden viel, viel mehr sein müssen, auch aufnehmen muss in dieser europäischen Gemeinschaft, so das Verteilen in Europa. Ich höre auch aus allem, was Sie jetzt gerade sagen, immer noch große Skepsis, selbst wenn es da gestern eine Einigung gegeben hat. Höre ich das richtig raus?
Asselborn: Ja, Herr Zurheide, wir müssen jetzt wissen, es gibt jetzt zwei Phasen in diesem Deal mit der Türkei. Das Erste ist das Prinzipielle, das große Ziel, und das ist ein nobles Ziel, ein menschliches Ziel: Auch wenn das kritisiert wird, aber ich glaube, wenn Syrer fliehen aus Syrien, und sie kommen in die Türkei, und dass man dann es fertigbringt, ein System aufzubauen, wo diese Menschen auch leben und organisiert, also nicht in den Händen von Schmugglern, nach Europa kommen können, dann haben wir ein großes Ziel erreicht durch Resettlement. Das heißt, Resettlement unterschiedlicher Location ist, dass man Menschen außerhalb der Europäischen Union in die Europäische Union hineinbürgert.
Das Problem ist ja, dass man eine Übergangslösung finden muss, und das - da komme ich zu Ihren 72.000 -, was sind die 72.000. Das sind 18.000 Menschen, wo die Europäische Union sich geeinigt hat im Juli letzten Jahres, in unserer Präsidentschaft, die aus der Türkei resettled werden sollen. Das Zweite sind 54.000. Meine Wenigkeit, ich habe schon im Dezember gesagt, die 160.000 Relocation bringen wir nicht fertig, kommen wir 50.000 davon und machen dann Resettlement mit diesen Menschen aus der Türkei, und dann haben wir etwas Konkretes gemacht, um der Türkei zu helfen, und wir zählen die von den 160.000 Relocation ab. Das wird jetzt gemacht, und das ist auch gut, dass das diese Zahl fest fixiert worden ist. Das Problem wird sein …
"Her geht es um Menschen, das müssen wir umsetzen"
Zurheide: Ich unterbreche Sie. Wird es wirklich gemacht? Man kann ja Zweifel haben, denn bisher haben wir die Zahlen alle nur auf dem Papier stehen. Es sind ein paar hundert, wenn überhaupt, genommen worden.
Asselborn: Ich habe noch so viel Vertrauen in die Europäische Union, dass wir trotzdem auch manchmal das fertigbringen, Sachen, die wir entscheiden, umzusetzen. Hier geht es um Menschen, das müssen wir umsetzen. Das Problem ist, dass wenn Menschen aus Syrien über die Türkei nach Griechenland kommen, dann sagen die Griechen, die Türkei ist ein sicherer Drittstaat. Hier fängt alles an, der Streit: 2,5 Millionen hat die türkische Seite aufgenommen, was bemerkenswert ist. Andererseits glaubt man auch, wenn man Bilder aus der Türkei sieht, dass, sagen wir mal so, dass die Syrer in der Türkei im Vorteil sind, was Menschenrechtsfragen angeht. Da sehen wir ein großes Problem, das bekommen wir nicht aus der Welt.
Das Zweite ist, dass Menschen, die zurückgeschickt werden, dass das nur unter der Kontrolle der UNO stattfinden kann, dass die Regeln der Genfer Konvention angewandt werden, dass die individuelle Prüfungen stattfinden und das auch rechtlich - darum braucht man auch Richter in Griechenland -, das rechtlich hier keine Fehler gemacht werden und keine Ausnahmen gemacht werden. Wenn dann diese 72.000, wenn dieser Mechanismus funktionieren würde, also one for one, dass 72.000 Menschen auch dann resettled werden aus der Türkei nach Europa, wenn das funktioniert, dann kann man in die zweite Phase gehen, wo noch nicht viel entschieden ist, aber wo man dann aus humanitären Gründen resettlen soll aus der Türkei nach Europa. Das werden wir in den nächsten Monaten sehen, ob das System für die 72.000 funktioniert. Wenn das funktioniert, dann kann man einen Schritt weitergehen und dann, wie ich es gesagt habe, dass Menschen lebend und organisiert nach Europa kommen können aus der Türkei.
"Guido Westerwelle ist viel zu früh von uns gegangen"
Zurheide: Zum Schluss, Herr Asselborn, will ich Sie noch kurz fragen, ein Wort zum Tod von Guido Westerwelle: Das würden Sie, glaube ich, gerne - ich darf das so sagen - auch noch hier im Deutschlandfunk bringen.
Asselborn: Das freut mich sehr, dass ich ein Wort sagen darf: Guido Westerwelle hat auch große Hochachtung in unserem Land hier in Luxemburg. Wir wissen alle, er war eine prägende Figur, kann man sagen, in der deutschen Politik in den letzten 25 Jahren. Ich habe persönlich zwischen 2009 und 2013 ganz eng mit Guido Westerwelle zusammengearbeitet, ich habe ihn immer nur gekannt als fairen und europäischen Politiker in einer Zeit, wo europäische, deutsche Stimmen zum Beispiel in der Griechenland-Krise sehr, sehr wichtig waren. Er ist viel zu früh von uns gegangen.
Zurheide: Jean Asselborn war das, der Außenminister Luxemburgs im Deutschlandfunk. Herr Asselborn, ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch! Danke schön, auf Wiederhören!
Asselborn: Bitte, Herr Zurheide!
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