Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, plädierte im Dlf für die Einrichtung sogenannter Coronabonds, um die Lasten, die vor allem Länder wie Italien und Spanien in der Coronakrise zu schultern hätten, auf alle Mitglieder der EU zu verteilen. "Die Länder können nichts dafür, sie sind einfach befallen", sagte Hüther. "Die Eurobonds sind ein Signal, sind gemeinsames starkes Handeln und damit Sicherung europäischer Integration." Bei den Hilfen gehe es um Finanztransfers, die jetzt geleistet werden müssten. Das sei eine einmalige Angelegenheit. "Und wenn wir Europa nicht stabilisieren, sind unsere Märkte auch nicht mehr da", sagte Hüther. Mit Bezug auf die Lage der Wirtschaft in Deutschland fügte er hinzu, nach Ostern "brauchen wir ein Signal", dass die Wirtschaft im Mai stufenweise wieder in Gang komme.
Das Interview in voller Länge
Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, hat sich gemeinsam mit anderen Topökonomen aus den verschiedensten Lagern bereits letzte Woche öffentlich in einem Meinungsbeitrag für die "FAZ" für Coronabonds ausgesprochen.
Philipp May: Wenn ein Hüther und ein Bofinger einer Meinung sind, heißt das, Coronabonds sind alternativlos?
Michael Hüther: Alternativlos ist jedenfalls der Gedanke dahinter, dass es einer finanzpolitischen Solidarität bedarf in dieser Situation. Wir laufen in eine Situation hinein, wo wieder alles auf die Europäische Zentralbank zukommt, die auch gehandelt hat mit ihrem Pandemie-Notprogramm, mit dem sie darauf reagiert hat, dass ja schon die Risikoprämien für italienische Staatsanleihen erheblich angestiegen waren. Aber die Einschätzung diesmal ist, die EZB steht eigentlich nur in der zweiten Linie der Verantwortung: Es ist keine Finanzmarktkrise, es ist keine Bankenkrise, es ist auch keine originäre Krise irgendeiner einzelnen Staatsanleihe, sondern wir haben es zu tun mit einem symmetrischen Schock global und natürlich auch für alle Länder der Eurozone. Und deshalb bedarf es da einer finanzpolitischen Solidarität – und die Idee mit Coronabonds ist, in dieser Krise ohne Konditionalität eine Finanzierungsmöglichkeit zu schaffen.
May: Das heißt, die Politik ist jetzt gefragt, sie muss sich solidarisch zeigen und darf nicht auf die Zentralbank verweisen?
Hüther: Ja, es ist halt auch sehr bequem, auf die Zentralbank zu verweisen und am Ende dann zu sagen, ach schau mal, was die Zentralbank da wieder alles gemacht – und dann steigen die Target-Salden und dann hat die Zentralbank Papiere in ihrer Bilanz, die sie da vielleicht gar nicht haben muss, wenn die Finanzpolitik ihrer Verantwortung nachkommt. Und es geht ja jetzt nicht um Konditionalität, wir können ja nicht bei einer solchen Krise fragen, das würde man auch bei der Rettung eines Schiffbrüchigen nicht tun, hast du vorher auch ordentlich gelebt, sondern wir werfen den Rettungsring. Und dieser Rettungsring besteht in einer solchen Finanzierungsmöglichkeit, die natürlich überproportional Ländern wie Italien und Spanien beispielsweise, die jetzt ganz besonders betroffen sind, zugutekäme.
"Der europäische Stabilisierungsmechanismus hat eine andere Funktion"
May: Jetzt hat die EU allerdings schon einen Rettungsring, der heißt ESM, der Europäische Rettungsschirm, der könnte das doch auch bewirken.
Hüther: Der europäische Stabilisierungsmechanismus hat eine andere Funktion, er kommt auch aus einer anderen Geschichte, er kommt aus der Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise und soll über bedingungsausgereichte Programme den Ländern Hilfen geben, darum geht es aber im Augenblick nicht, sondern es geht eigentlich um Finanztransfers, die wir leisten müssen. Das kann der möglicherweise technisch abwickeln, aber nicht von seiner Idee her. Der ESM hat begrenzte Mittel, er soll am Ende des Tages verfügbar sein, um Banken z stabilisieren, darüber werden wir wahrscheinlich auch noch zu reden haben, weil Kredite notleidend werden, weil die ganzen Ertragssituationen der Kreditnehmer in der Industrie ja beispielsweise sich verändern, aber der ESM ist nicht dafür geschaffen und auch von seinem Umfang her nicht geeignet.
May: Jetzt gibt es aber immer noch Ökonomen, die das ganz anders sehen, zum Beispiel der Chef der Bundesbank, Jens Weidmann. Er sagt sinngemäß, dass man notorischen Schuldnern wie Italien doch auch nicht seine Kreditkarte samt Geheimzahl gibt, ohne Sicherheiten dafür zu verlangen.
Hüther: Darum geht es ja auch nicht, es geht ja nicht um die Kreditkarte, die man ewig nutzen kann, sondern es geht um eine einmalige Fazilität, das hat übrigens die europäische Integrationsgeschichte auch schon mal gemacht, 1975 hat die europäische Gemeinschaft, wie sie damals noch hieß, eine europäische Anleihe begeben, um nach der Ölkrise einer Schieflage in einzelnen Zahlungsbilanzen insbesondere im Süden Rechnung zu tragen. Das war damals offensichtlich kein Problem, warum kann man das nicht auch in dieser Krise machen? Man muss ja nicht gleich die ganze Welt für immer danach richten.
"Eurobonds sind eine Sicherung europäischer Integration"
May: Warum, wenn das doch so eindeutig ist, wie Sie sagen, warum sträubt sich dann trotzdem beispielsweise Deutschland immer noch so sehr gegen gemeinsame Anleihen?
Hüther: Nun, wir haben natürlich gesehen, dass politisch das Reaktionen hatte, als man in der Finanzkrise geholfen hat. Die AfD hat da ihre Ursache, die Alternative für Deutschland bezog sich ja auf eine andere Krisenpolitik. Und ich denke, man hat jetzt Angst, das gilt für die Niederland und Finnland ähnlich, dass diese nicht sachbegründeten Argumente noch mal vorgetragen und hervorgezogen werden und Kraft entwickeln. Ich glaube nicht, denn im Augenblick sieht man ja das Leid, man sieht ja, dass in diesen Ländern ein hoher Bedarf da ist, deswegen wird sich das auch ändern. Sie haben ja in dem Bericht auch deutlich gemacht, dass auch der niederländische Ministerpräsident schon den Ton verändert hat, auch bei uns ist das nicht ausgeschlossen.
May: Ist das jetzt ein Lackmustest für die EU, für die europäische Solidarität, die Frage eben nach Coronabonds eben jetzt zur Unterstützung der südeuropäischen Länder, die ja besonders gebeutelt sind jetzt von der Coronakrise?
Hüther: Da bin ich fest von überzeugt, dass es genau dieser Lackmustest ist, denn andererseits würden sich ja auch Länder, denen es jetzt sehr, sehr schlecht geht – und dafür können sie jetzt im Augenblick nichts, sie sind einfach befallen von dem Virus in einer ersten Phase ganz intensiv – fragen, wer denn helfen würde. Und wenn es am Ende nur die Chinesen sind oder vielleicht die Russen, dann wird der Zerfall der Europäischen Union nach meiner Einschätzung unaufhaltbar sein. Die Eurobonds sind hier ein gemeinsames Signal und nicht nur das, sondern ein gemeinsames starkes Handeln, deswegen ist es eine Sicherung europäischer Integration.
"Die deutsche Wirtschaft muss sehen, dass sie wieder in Gang kommt"
May: Jetzt hat Deutschland aber selbst Milliarden, möglicherweise sogar ein Billionenpaket auf den Weg gebracht, um unsere Wirtschaft zu stützen. Überfordert es schlicht nicht die deutsche Wirtschaft, jetzt auch noch Schulden oder beziehungsweise für Schulden möglicherweise der anderen EU-Länder geradezustehen, können wir uns das leisten?
Hüther: Also, dass wir uns das leisten können, zeigt ja der Kapitalmarkt. Es gibt ja einen Bedarf an Sicherheit, an sicheren Anlagen – und der wird auch durch diese Krise nicht geringer, sondern der wird steigen. Das heißt, es gibt einen hohen Bedarf an solchen Anleihen, die man auch als Anleger dann gern hat. Und diese europäischen Anleihen mit einer Gemeinschaftshaftung dahinter würden mit sehr geringen Zinsen in die Märkte hineingegeben werden können und damit ist die Refinanzierung auch auf lange Sicht, man das nämlich mit 15-jährigen, 20-jährigen, 30-jährigen Anleihen machen, dann auch eine sehr überschaubare Herausforderung. Die deutsche Wirtschaft muss sehen, dass sie wieder in Gang kommt, wenn der Shutdown, der Lockdown beendet ist, das ist eine ganz andere Herausforderung, aber wenn wir Europa nicht stabilisieren, sind unsere Märkte auch nicht mehr da.
"Wir sind verwaltungsmäßig nicht darauf vorbereitet"
May: Dann richten wir mal den Blick wieder nach Deutschland. Das Riesenhilfspaket der Bundesregierung – in seiner Dimension einmalig – ist einhellig gelobt worden. Und doch hört man jetzt überall Klagen aus der Wirtschaft: Das Geld kommt nicht an. Der Run auf die Banken ist zu groß, alles zu bürokratisch anscheinend. Fahren wir schon vor die Wand, bevor die Hilfen überhaupt wirken?
Hüther: Das ist jetzt eine schwierige Phase, alles ist beschlossen, angekündigt, und wir sind natürlich administrativ, verwaltungsmäßig nicht darauf vorbereitet, so etwas einfach mal eben zu tun. Dabei hat der Gesetzgeber, wie ich finde, sehr klug Richtung Finanzverwaltung auch für die anderen ausleihenden Institutionen, zum Beispiel die KfW, die Bedingungen verändert, das leichter zu machen, wir gucken dann hinterher, wo wir vielleicht Mitnahmeeffekte hatten, aber nicht jetzt im Vorhinein. Aber trotzdem ist es ein riesiger administrativer Aufwand, in genau dieser kritischen Phase sind wir jetzt. In diesen, ich würde mal sagen, zwei Wochen bis Ostern, wo das einfach klappen muss, denn es ist ja erkennbar, im Einzelhandel ist einfach der Umsatz weggebrochen. Dort, wo Sie keine Alternativen haben, wo Sie keinen Onlinevertrieb haben. Die kleinen Läden, die hängen jetzt am Fliegenfänger. Bayern hat ja schon vor anderthalb Wochen damit begonnen, es ist wichtig, dass das jetzt schnell auf die Straße kommt. Es ist sozusagen nicht ein Beschlussproblem, sondern ein Umsetzungsproblem, und das muss einfach von den Verwaltungen auch geleistet werden.
May: Das heißt, die Finanzämter sollen mal nicht Steuern einziehen, sondern zahlen.
Hüther: Ja, auch das gehört dazu, wir haben auch vom Gesetzgeber ja die Hinweise an die Finanzverwaltung, dass man beispielsweise bei den Steuerstundungen einfach jetzt das nicht eintreibt, sondern liegen lässt. Wir müssen einfach Liquidität sichern in den Unternehmen, gerade in den vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die zwar auch eine bessere Eigenkapitaldecke haben als vor 20 Jahren, aber die ist dann auch irgendwann ganz schnell zu kurz.
"Wir müssen nach Ostern ein klares Signal bekommen"
May: Herr Hüther, wie lange können wir uns das alles eigentlich leisten? Wann ist dieser Point of no Return, wo wir sagen, jetzt muss die Wirtschaft wieder in Gang kommen, weil sonst liegt sie wirklich über Jahre danieder?
Hüther: Also meine Einschätzung: Wir müssen nach Ostern ein klares Signal bekommen, dass das im Mai wieder stufenweise in Gang kommt, das muss man jetzt auch schon definieren, was diese Stufen sind. Und eine erste Stufe ist beispielsweise die Wiederinbetriebnahme der Schulen und der Kindertagesstätten, denn dadurch sind ja viele Beschäftigte nicht in der Lage, in die Unternehmen zu gehen. Wir müssen dann zweitens die Lieferketten wieder organisieren, das muss die Wirtschaft selbst auch tun. Die Automobilhersteller müssen klug hochfahren, denn die Zulieferer müssen eine Woche vorher anfangen. Ich glaube, wir müssen nach Ostern dafür klare Signale haben.
May: Auch, wenn das Virus noch nicht unter Kontrolle ist?
Hüther: Wir werden das Virus, nach allem, was uns die Epidemiologen sagen, und wir erkennen das ja auch an den Anstiegszahlen, die nicht mehr bei 25 Prozent, sondern bei 14 Prozent liegen, in den Griff bekommen, das zeigen auch die Erfahrungen Südkoreas, das zeigen die Erfahrungen Chinas. Wir haben in Deutschland rechtzeitig begonnen. Es geht ja darum, eine Überlast der Gesundheitseinrichtungen zu verhindern, die werden parallel hochgefahren, wir müssen parallel hochfahren die Testkapazitäten. Da bin ich zuversichtlich, das kann dieses Land leisten, und dann können wir auch den Mai als einen neuen Frühling nehmen.
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