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EU und Großbritannien
Einen harten Brexit "kann man nicht so einfach vorbereiten"

Insbesondere beim Warenverkehr könne man einen ungeregelten Brexit gar nicht vorbereiten, sagte der Wirtschaftsexperte Bert van Roosebeke im Dlf. Große Probleme träfen auch den Finanzmarkt. Trotz hartem Brexit weiter zu machen wie bisher, helfe zwar kurzfristig – stelle am Ende aber die EU infrage.

Bert van Roosebeke im Gespräch mit Sandra Schulz | 14.12.2018
    Die Skyline des Londoner Finanzzentrums "The City" - gesehen von der Tate Modern.
    Finanzplatz London: Ein harter Brexit würde die dort ansässigen Banken vor große Probleme stellen (dpa)
    Sandra Schulz: Einmal mehr appellieren die europäischen Staats- und Regierungschefs jetzt ans britische Unterhaus, dem Brexit-Vertrag zuzustimmen. Nachverhandlungen schließen sie erneut aus und warnen einmal mehr vor den Folgen eines harten Brexit. Aber wie der abgewendet werden soll, das ist auch nach den Brüsseler Gipfelberatungen von gestern Abend nicht viel klarer geworden. Zusicherungen haben die 27 Theresa May mitgegeben. Mitgehört hat Bert van Roosebeke, Wirtschaftsexperte beim Centrum für Europäische Politik in Freiburg. Schönen guten Tag!
    Bert van Roosebeke: Hallo, Frau Schulz.
    Schulz: Ich würde gerne einsteigen mit diesen geplanten oder jetzt besprochenen Reformen der Eurozone. Sehen Sie da echte Fortschritte?
    van Roosebeke: In Sachen Euro-Budget würde ich Ihrer Korrespondentin zustimmen. Da ist das, was noch auf dem Tisch liegt, bereits sehr abgespeckt. Wir reden jetzt über einen minimalen Topf für die Eurozone. Ob man das wirklich noch Euro-Budget nennen kann, das ist wirklich die Frage. Dieser Topf soll jetzt zwar ein Topf für die Eurozone sein, aber soll Platz finden im gesamten Haushalt der Europäischen Union, sprich auch dort, wo auch Gelder liegen für Nicht-Eurostaaten, und da werden wir natürlich sehr intensive Verhandlungen bekommen.
    Da werden natürlich die Nicht-Eurostaaten die Befürchtung haben, dass Geld, das eigentlich in diese Länder fließen soll, jetzt doch plötzlich für die Eurozone reserviert sein wird. Die werden sich wehren und ich denke, dass wir am Ende bei einer sehr kleinen Summe landen werden, die, wie ich schon sagte, eigentlich nicht mehr Euro-Budget genannt werden kann. Da sehe ich wenig Änderungen. Ob man das Fortschritt oder Rückschritt nennen will, da kann man auch lange drüber streiten. Aber große Änderungen zu dem, was wir faktisch heute schon haben, sehe ich eigentlich nicht. Da wird einfach nur ein neues Label geschaffen und das nennen wir dann mal Euro-Budget.
    Euro-Budget: Symbolpolitik für Macron
    Schulz: Das ist dann reine Symbolpolitik zu Gunsten derer, die an dem Punkt mehr Europa wollen?
    van Roosebeke: Genau. Wir kommen da letztlich auch Macron etwas entgegen. Der hat natürlich bekannter Weise sehr intensiv dafür plädiert. Der kann nicht mit leeren Händen jetzt nachhause gehen. Er kriegt ein Euro-Budget und man kann es so sehen und sagen: Das Budget ist da, das Label ist da, und in den kommenden Jahren und Jahrzehnten kann da weitergearbeitet werden. Dann kann das weiter gefüllt werden, oder man kann sagen, das Ding wird irgendwann einen stillen Tod sterben und wird einer von vielen Pöstchen im Haushalt der EU sein. Wie das am Ende ausgeht, darüber müssen wir uns in zehn Jahren noch mal unterhalten. Das kann man heute einfach noch nicht so sagen.
    Schulz: Das machen wir garantiert! – Was da jetzt im Gespräch ist, auch zur Reform des Euro-Rettungsschirms, sind das die Antworten auf die Fragen, die sich stellen, wenn möglicherweise Italien ins Wanken kommt?
    van Roosebeke: Nein. Die Fragen, die jetzt diskutiert werden, da geht es vor allem um eine kleine Überarbeitung des ESM. Das sind alles relativ technische Fragen. Das kann Italien nur begrenzt helfen. Ich tue mich schwer, das Wort helfen zu benutzen. Die Probleme Italiens kann man mit einem Rettungsschirm eigentlich kaum beheben. Was wir natürlich machen können: Hoffentlich wird es nicht notwendig sein, aber wir könnten Italien irgendwann einen Kredit geben, genau wie man Griechenland, Portugal et cetera Kredite gegeben hat. Aber dafür hätten wir diese Reform, die jetzt diskutiert wird, nicht gebraucht.
    Was man letztlich jetzt, vor allem letzte Woche eigentlich schon bei den Euro-Finanzministern, aber noch mal bestätigt heute von den Staatschefs, was man jetzt beschlossen hat ist dreierlei: Einerseits hat man gesagt, wir überarbeiten die Bedingungen für ein Land, eine Kreditlinie, eine vorsorgliche Hilfe beim ESM zu beantragen. Da würde ich sagen, da hat sich Deutschland sehr gut durchgesetzt. Die Bedingungen werden eigentlich schwieriger werden für Länder, diese Kredite in Anspruch zu nehmen. Das hat sich Südeuropa ganz anders gewünscht.
    Schulz: Wie entspannt oder unentspannt sind Sie nach diesem Reförmchen?
    van Roosebeke: Nach diesen jetzigen Reformen, wenn das alles so kommt, wie das jetzt im Moment politisch beschlossen ist, sind die Kriterien eigentlich so, dass nur sechs, sieben Länder der Eurozone diese Hilfe beantragen können, und das sind Länder, die die Hilfe nicht brauchen werden. Sprich: Wir schaffen ein Instrument, oder wir ändern das Instrument so, dass es eigentlich in Zukunft nicht benutzt werden kann.
    Das Interessante ist die zweite Reform. Da geht es um die Möglichkeit, künftig einen Schuldenschnitt in der Eurozone durchzuführen. Sprich: Eines Tages kommt, nehmen wir mal in Ihrem Beispiel, Italien und sagt: Wir brauchen einen Kredit des ESM. Dann würde man sich die Schulden Italiens anschauen und sagen: Okay, diese Schulden sind im Moment nicht tragfähig, die sind zu hoch, es gibt keine Perspektive, dass Italien mittelfristig in der Lage sein wird, diese Schulden auch wieder zurückzubezahlen. Dann würde man sagen, okay, kein Problem, Italien kann Hilfe des ESM bekommen, aber wir müssen vorher einen Schuldenschnitt bei Italien durchführen. Das heißt, Banken, Investoren, wer auch immer die Staatsanleihen Italiens hält, muss einen Verlust von, ich sage jetzt mal einfach, zehn Prozent in Kauf nehmen.
    "Sehr viele praktische Probleme"
    Schulz: Okay. Das wären dann die Lehren aus der Griechenland-Krise. Jetzt möchte ich mit Ihnen den Schritt herüber machen zu dem anderen großen Thema, das ja auch ein Riesenthema ist für den Euroraum: Der jetzt vielbeschworene "hard Brexit", den viele am Horizont ja noch mal drohender sehen als vielleicht vor einer Woche. Was wird Europa da zu spüren bekommen?
    van Roosebeke: Wenn es tatsächlich zu einem harten Brexit kommt - das ist ja mitnichten klar. Man kann sich letztlich vier, fünf, sechs Szenarien ausdenken und ich kann Ihnen heute problemlos begründen, warum dieses Szenario heute wahrscheinlicher ist als es gestern war. Wir wissen gar nichts. Das ist ein völliges Chaos. Kein Mensch weiß, wie das am Ende ausgehen wird. Wenn wir aber einen harten Brexit haben, dann haben wir natürlich sehr viele praktische Probleme. Das fängt natürlich an beim Warenverkehr.
    Wir sind eigentlich gar nicht darauf vorbereitet, den Warenverkehr weiter so durchzuführen, wie der heute stattfindet. Sprich: Die Häfen in Calais und Dover hätten einfach sehr große logistische Probleme. Das kann man nicht so einfach vorbereiten. Es ist schwer zu sehen, wie das weiter funktionieren soll. Das geht rüber bis zum Luftverkehr, Flugzeuge, es braucht Abkommen, um diesen Luftverkehr weiter aufrecht zu erhalten, und bis hin zum Finanzmarkt.
    Wir haben natürlich eine extrem verknüpfte Finanzwelt. London ist der Finanzmarktplatz Europas und wir können nicht einfach von heute auf morgen London abschneiden vom Festland. Da würden wir auf jeden Fall Übergangsmaßnahmen brauchen, letztlich um auch uns selbst zu schützen, um die Finanzmarktstabilität in Europa, in der EU aufrecht zu erhalten.
    Schulz: Das wäre ja das Argument, mit den Vorbereitungen schon gestern begonnen zu haben. - Was genau könnten denn sinnvolle Vorbereitungen sein?
    van Roosebeke: Sinnvolle Vorbereitungen - da ist man in Deutschland dran, dass man letztlich zum Beispiel den Bankenaufsichtsbehörden in Europa oder auch in Deutschland überhaupt erst mal die rechtliche Befugnis gibt, im Falle eines harten Brexits die Tätigkeit von britischen Banken zum Beispiel in Europa, in Deutschland auch weiter zu erlauben. Das ist nach heutigem Stand gar nicht so einfach.
    Eine weitere Vorbereitung ist, dass die Europäische Kommission sich jetzt schon dazu vorbereitet, sogenannte Äquivalenz-Entscheidungen zu treffen. Sprich: Man guckt sich heute die Finanzmarktgesetzgebung in London an, sieht: Überraschung, Überraschung, das ist eine europäische Gesetzgebung - die waren seit mehreren Jahrzehnten in der EU -, und die Gesetzgebung entspricht zumindest Stand heute unseren Standards. Und dann können wir jetzt schon die Entscheidung vorbereiten, dass britische Banken et cetera nach dem Brexit, nach einem harten Brexit dann weiterhin in Europa in irgendeiner Art und Weise tätig sein können.
    Da wird natürlich dann das Spannende stattfinden: Wie umfangreich erlauben wir, wie einfach erlauben wir, dass eine britische Bank auch weiterhin Geschäfte in Europa macht. Da kann man jetzt schon einiges machen. Es wird tatsächlich auch viel gemacht jetzt, und das ist wahrscheinlich auch sehr vernünftig, weil ich persönlich denke schon, dass die Wahrscheinlichkeit des harten Brexits gewachsen ist in den letzten Tagen.
    Freihandel infrage gestellt
    Schulz: Dieses Szenario haben Sie ja als Lose-Lose-Situation beschrieben. Wäre es denn dann wirtschaftlich vernünftig, wenn Europa da jetzt doch noch echte Zugeständnisse machen würde, was politisch im Moment ja niemand zu sehen scheint?
    van Roosebeke: Wirtschaftlich vernünftig - schwierige Frage. Kurzfristig würde ich sagen: Natürlich, klar! Wir haben alle ein Interesse daran, dass Handel, dass Dienstleistungen friktionsfrei bewegt werden können. Kurzfristig ja. Wenn diese Entscheidung, trotz hartem Brexit den Freihandel weiter zuzulassen, aber dazu führt, dass das ganze Fundament der EU, die rechtliche Grundlage der EU, dass wir einen gemeinsamen Regelrahmen haben, dass wir gemeinsame Gesetze letztlich haben, wenn das dadurch in Frage gestellt wird – und ich sehe nicht, wie man das vermeiden kann, dass es nicht in Frage gestellt wird -, dann würden Sie mit einer solchen Entscheidung zwar wirtschaftliche Verluste kurzfristig vermeiden. Aber mittelfristig stellen Sie damit eigentlich die ganze EU in Frage, und das kann wirtschaftlich auch nicht in unser Interesse sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.