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EU und Türkei
Das Zweckbündnis

Es war kein langer Gipfel, die Beratungen zwischen EU und Türkei dauerten vier Stunden. Vereinbart haben beide Seiten den Aktionsplan, der vorher schon im Raum stand: Die Türkei soll ihre Grenzen besser sichern und Flüchtlinge wieder aufnehmen, die in Richtung EU weitergereist waren. Dafür bekommt Ankara nicht nur viel Geld.

    Strahlende Gesichter in Brüssel: der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und EU-Ratspräsident Donald Tusk.
    Strahlende Gesichter in Brüssel: der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und EU-Ratspräsident Donald Tusk. (picture-alliance / dpa / Olivier Hoslet)
    Jean-Claude Juncker sprach aus, was der Anlass des Gipfels war. Der EU-Kommissionschef sagte, es werde keine Lösung der Flüchtlingskrise geben ohne eine Zusammenarbeit zwischen EU und Türkei. Man habe ein "neues Kapitel" in den Beziehungen aufgeschlagen.
    EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, mit der heutigen Vereinbarung werde wieder Ordnung an der gemeinsamen Grenze einkehren. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu seinerseits sprach von einem historischen Tag und einem historischen Treffen.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel rechtfertigte die Annäherung an die Türkei. Kritiker werfen etwa Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor, die Demokratie auszuhöhlen und das Land zu einem Präsidialsystem umgestalten zu wollen. Auch sind gerade in letzter Zeit mehrfach Reporter festgenommen worden, die Erdogans Linie kritisierten. Merkel sagte, es sei auf dem Treffen in Brüssel auch über Pressefreiheit und Menschenrechte gesprochen worden. Sie betonte, wenn man nicht miteinander rede, dann könne man die Kritik bestenfalls über die Medien äußern - aber das führe meistens noch zu keiner Problemlösung. Frankreichs Präsident François Hollande nannte es legitim, dass Europa der Türkei dabei helfe, Flüchtlinge aufzunehmen.
    Und das bekommt nun die Türkei als Ergebnis des Gipfels:
    1. Drei Milliarden Euro an humanitärer Hilfe, um die Flüchtlinge im Land angemessen zu versorgen.
    2. Türkische Staatsbürger dürfen darauf hoffen, ab Oktober 2016 ohne Visum in die EU einzureisen.
    3. Die EU ist bereit, die zähen Verhandlungen mit der Türkei über einen Beitritt zur Europäischen Union wieder in Schwung zu bringen.
    Bessere Grenz- und Küstensicherung geplant
    Der Aktionsplan mit der EU sieht im Gegenzug folgende Schritte vor, um den Andrang von Flüchtlingen in den Griff zu bekommen:
    1. Die Türkei verpflichtet sich, ihre Grenzen und insbesondere Küsten besser abzusichern und effektiver gegen Schlepper vorzugehen. Ziel ist, dass die Flüchtlinge - etwa aus Syrien - in der Türkei bleiben und dort versorgt werden.
    2. Die Türkei ist bereit, Menschen wieder aufzunehmen, die schon in die EU weitergereist sind.
    Außerdem soll es fortan zweimal jährlich Gipfeltreffen zwischen EU und Türkei geben.
    Zu den Verhandlungen mit Ankara kam es aus zwei Gründen: Die Türkei ist erstens zur Zeit das wohl wichtigste Transitland für Flüchtlinge, die zum Beispiel über Griechenland weiter in andere EU-Staaten wollen. Und die EU schafft es zweitens kaum noch, die Zahl der Flüchtlinge angemessen zu bewältigen. Das liegt auch daran, dass viele Mitgliedsstaaten nicht bereit dazu sind, eine feste Zahl an Menschen aufzunehmen. Polen etwa hat sich mit dem Regierungswechsel zugunsten der konservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" dazu entschieden, die Zusagen der Vorgängerregierung aufzukündigen - und de facto wohl keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen.
    Deutschland diskutiert über Kontingente und Obergrenzen
    In Deutschland wird seit einiger Zeit lebhaft darüber diskutiert, was die richtige Antwort auf die Flüchtlingsfrage ist: Die CSU will feste Obergrenzen für die Zahl der Flüchtlinge, steht damit aber auch innerhalb der Union eher allein da. In CDU und SPD wird eher von einer "Kontingent-Lösung" gesprochen. Das hieße, dass zum Beispiel auf EU-Ebene vereinbart würde, wie viele Menschen Deutschland aus Syrien aufnimmt. Unklar ist jedoch, was geschieht, wenn die Kontingente ausgeschöpft sind.
    Auf dem EU-Gipfel gab es in Brüssel ein Vortreffen von mehreren Ländern, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben und über eine Umverteilung der Menschen sprechen wollten, darunter neben Deutschland auch Österreich, die Benelux-Staaten, Schweden, Finnland und Griechenland.
    (jcs/has)