Im März dieses Jahres hielt der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Metz, nur 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, vor vielen angereisten Deutschtürken eine flammende Wahlkampfrede zugunsten des türkischen Verfassungsreferendums. Mehrere EU-Länder hatten derlei Auftritte untersagt. Dass die Regierung des französischen Präsidenten Hollande dem nicht folgte, brachte ihr ein ausdrückliches Lob des türkischen Präsidenten Erdogan ein. Man habe sich offenbar, so Erdogan wörtlich: "von der vorherrschenden Islamophobie" nicht anstecken lassen.
Doch die innenpolitische Kritik war heftig: der konservative Präsidentschaftskandidat Francois Fillon etwa schimpfte, "Hollande habe auf unverhohlene Weise mit der europäischen Solidarität gebrochen". Der Kandidat Emmanuel Macron indes hielt sich eher bedeckt, sagte nach einigem Zögern lediglich, er hätte "ein einheitliches Vorgehen aller EU-Staaten", ein "allgemeines Verbot solcher Kundgebungen" vorgezogen. In seinen Wahlkampfauftritten ging Macron mehrmals auf die Türkei ein, wurde aber auch dort wenig konkret:
"Ich denke an die neuen Mächte, die als autoritäre Regime immer sichtbarer werden und inzwischen große Regionen dominieren: Russland, der Iran, die Türkei, Saudi-Arabien und einige andere. Für uns ist es eine Notwendigkeit geworden, ihnen gegenüber unsere Stellung, unseren Rang zu behaupten, sich unsere Geschichte bewusst zu machen und was daraus folgt. Und das heißt vor allem, dass wir zu reden verstehen und zwar mit allen! Wir dürfen den Dialog niemals abbrechen lassen, um dabei immer auch unsere Interessen zu verteidigen - und unsere Werte."
Traditionslinie der beiden Länder wurde beendet
Dieser Linie folgt Emmanuel Macron auch als gewählter Präsident. Er sieht es als historisch gewachsenes Verdienst der französischen Diplomatie an, mit allen reden zu können. Die türkisch-französischen Beziehungen reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück: noch heute weisen offizielle Redner beider Länder gerne auf die Dauer und die Intensität ihres diplomatischen Miteinanders hin. Jahrzehntelang setzten viele türkische Intellektuelle das Ende des Osmanisches Reiches 1922 und den Übergang zur kemalistischen Republik Atatürks in Bezug zur Französischen Revolution: die Institutionen der Türkei seien nach dem Vorbild Frankreichs entstanden, von "Partnerrepubliken" war viel die Rede.
Erst der Erfolg der türkischen AKP und die Islamisierung des Landes beendete diese Traditionslinie; unter den Präsidenten Chirac und Sarkozy kam es zum offenen Bruch, als per Gesetz das türkische Massaker an den Armeniern als "Völkermord" festgeschrieben und dessen Leugnung unter Strafe gestellt wurde.
Macron in Kontakt mit Erdogan
Präsident Hollande war 2014 der erste französische Präsident seit 22 Jahren, der die Türkei mit einem Staatsbesuch würdigte. Hinsichtlich eines türkischen EU-Beitritts blieb auch er zögerlich. Präsident Macron hat sich dazu bisher nicht geäußert, vorsichtig hält er sich alle Wege offen. In seinen Reden zur von ihm angestrebten Neuordnung der EU kam die Türkei bisher nicht vor. In einer Rede vor den versammelten französischen Botschaftern erwähnte Macron allenfalls beiläufig die drei Millionen Flüchtlinge, die die Türkei aufgenommen habe, und er spielte auf die Bedeutung des Landes bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus an. Der Kampf gegen ihn habe "für die Sicherheit der Mitbürger" "oberste Priorität" seiner Außenpolitik:
"Assurer la sécurité de nos concitoyens fait de la lutte contre le terrorisme islamiste la première priorité de notre politique étrangère. "
Wegen der Lage in Syrien wie auch wegen in der Türkei festgenommener Franzosen telefonierte Präsident Macron in den letzten Wochen mehrfach mit Präsident Erdogan. Zur Beendigung des Krieges in Syrien und um einen politischen Fahrplan für die Zeit nach dem Bürgerkrieg auszuarbeiten, will Macron eine neue internationale Kontaktgruppe initiieren. Auch dafür sucht er - ohne Details zu benennen - die Unterstützung der Türkei. Von der Wochenzeitung "Le Point" nach seiner "Coolness" befragt, antwortete Macron jetzt, die Weltbühne sei "wenig cool" und fügte als Beispiel hinzu, er sei doch derjenige, "der alle zehn Tage mit Erdogan reden" müsse. Eine Respektlosigkeit, ohne Zweifel, doch Proteste blieben aus. Derlei scheint den vorhandenen "Draht" zwischen ihm und seinem türkischen Amtskollegen nicht wirklich zu beschädigen.