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EU-USA-Beziehungen
"Trump ist ein Präsident der Verunsicherung"

Wenn ein US-Präsident innenpolitisch unter Druck geriet, dann bewegte sich meist einiges in der Außenpolitik bis hin zu Kriegen. "Sorgen sind in der Tat angebracht", sagte der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, im Deutschlandfunk.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz
    "Wir können in einer Welt, in der es eher mehr als weniger Nuklearmächte geben wird, nicht bestehen, wenn wir diese transatlantische Verbindung nicht haben", sagte Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz, im Dlf. (Imago/Jürgen Heinrich)
    Mario Dobovisek: Nach der Aussage von Ex-FBI-Chef Comey und den schweren Vorwürfen gegen ihn würde US-Präsident Donald Trump gerne nach vorne schauen, einen Schlussstrich ziehen, doch so einfach ist das nicht. Die Ermittlungen und die Affäre um sie lasten auf Land und Präsidentschaft. Am Telefon begrüße ich Wolfgang Ischinger. Er war Diplomat, unter anderem deutscher Botschafter in den USA und ist heute Chef der Münchener Sicherheitskonferenz. Guten Morgen, Herr Ischinger!
    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!
    Dobovisek: In der Affäre um die FBI-Ermittlungen gerät Donald Trump erheblich unter Druck, und wenn in der Vergangenheit ein US-Präsident innenpolitisch unter Druck geriet, dann bewegte sich meist einiges in der Außenpolitik - bis hin zu Kriegen. Müssen wir uns Sorgen machen?
    Ischinger: Sorgen sind in der Tat angebracht. Ich glaube, man kann jetzt nach weniger als einem halben Jahr Amtszeit des Präsidenten Trumps feststellen, dass er innenpolitisch, transatlantisch und weltpolitisch ein Präsident der Verunsicherung und der Zweifel an seiner eigenen Glaubwürdigkeit, seiner Geradlinigkeit, an seiner Berechenbarkeit geworden ist. Das ist für uns, gerade für uns in Europa, in Deutschland, die wir abhängig sind, ob wir das nun wollen oder nicht, in mancher Hinsicht von den USA, sehr, sehr bedenklich und in der Tat berechtigt zu großer Sorge.
    "Eher mehr als weniger Nuklearmächte "
    Dobovisek: Wie weit gehen Ihre Sorgen?
    Ischinger: Zunächst einmal ist es wichtig, denke ich, in der Debatte, die wir hier in Deutschland führen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Wir haben Abhängigkeiten von den USA, die wir nicht verändern können und die wichtig sind. Ich nenne mal die Zusammenarbeit bei der Terrorabwehr, also für die innere Sicherheit. Vieles, was verhindert werden konnte in den letzten Jahren in Europa, in Deutschland, konnte verhindert werden wegen der Zusammenarbeit in diesem Bereich. Ich nenne den amerikanischen Nuklearschirm: Deutschland ist keine Nuklearmacht. Die EU ist keine Nuklearmacht. Wir können in einer Welt, in der es eher mehr als weniger Nuklearmächte geben wird, nicht bestehen, wenn wir diese transatlantische Verbindung nicht haben. Also wir müssen sehen, dass es die Abhängigkeiten gibt, aber wir müssen auch sehen, dass die Zukunft es erfordert, und das hat die Bundeskanzlerin ja mit diesem relativ schlichten Satz vor etlichen Tagen auch gesagt, wir müssen schon sehen, dass der Zeitpunkt gekommen ist, dass Europa dort, wo dies möglich ist, sich selber handlungsfähiger macht.
    "Zweifel, ob Trump es wirklich so meint"
    Dobovisek: Kommen wir gleich noch zu, und auch ein Zitat der Kanzlerin: Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei. Jetzt bekennt sich Donald Trump, wir haben es gerade gehört, immerhin auf Artikel 5 der NATO, also die Beistandsverpflichtung. Kann sich die NATO, kann sich Europa noch auf die USA verlassen?
    Ischinger: Also ich glaube, es ist immer wichtig in der Außenpolitik Erklärungen als Erklärungen nimmt und schaut, was stehen denn für Taten, für Fakten, für Daten dahinter. Der berühmte Artikel 5, so wie er geschrieben wurde vor einem halben Jahrhundert ist eine ganz wachsweiche Verpflichtung, verpflichtet eigentlich zu gar nichts Konkretem. Insoweit bringt die Erklärung des Artikel 5 so schrecklich viel nicht. Viel wichtiger, denke ich, ist es, ob die USA ihrer Schutzverpflichtung aus diesem Vertrag gegenüber Europa auf dem Boden nachkommen, und das tun sie. Insoweit hat der Präsident, indem er jetzt doch das Wort Artikel 5 in den Mund genommen hat, eigentlich nichts grandios Neues gesagt. Seine Mitarbeiter haben es ja in den letzten Wochen immer wieder gesagt. Wichtiger ist, dass die USA bereit gewesen ist, ihre militärische und politische Präsenz in Europa nicht nur fortzuführen, sondern angesichts der Beunruhigung bei unseren baltischen Nachbarn in Polen und so weiter sogar zu verstärken - das zählt. Trotzdem bleibe ich bei meinem Urteil: Dieser Präsident ist ein Präsident der Verunsicherung. Er hat in Europa bei den NATO-Partnern große Verunsicherung hervorgerufen, und sind wir denn sicher, dass das, was er jetzt sozusagen en passant im Rose Garden zu Artikel 5 gesagt hat, dass er das wirklich so meint? Warum hat er denn in Brüssel den Satz rausgestrichen? Das verunsichert, man hat Zweifel, ob er es wirklich so meint und ob er es wirklich dauerhaft so meint.
    "Verteidigungseuros und -pounds außerordentlich ineffizient ausgeben"
    Dobovisek: Jetzt hat die Europäische Kommission ein Papier vorgestellt diese Woche, das allerlei Militärisches enthält. Da ist von Europa als militärischer Macht die Rede, mit gemeinsamen Truppenverbänden, gemeinsamem Budget für Forschung und Beschaffung in der Rüstung. Man könne den Schutz Europas nicht länger outsourcen, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gestern in Prag.
    Jean-Claude Juncker: Wir haben keine andere Möglichkeit, als unsere Interessen in Nahost, im Klimaschutz, in den Handelsabkommen selbst zu wahren.
    Dobovisek: Ist das die Antwort, Herr Ischinger, auf US-Präsident Donald Trump und die in sich verstrittene NATO?
    Ischinger: Ich glaube, es wäre ganz falsch, wenn man die Bemühungen der Europäischen Union, sich politisch, aber auch militärisch handlungsfähiger zu machen, jetzt in unmittelbaren Zusammenhang mit Trump stellt. Ich würde es so sagen: Durch das, was wir jetzt mit Trump erleben, wird die Notwendigkeit, dass Europa sich handlungsfähiger macht, für den normalen Bürger noch viel deutlicher als es vielleicht vorher der Fall gewesen ist. Es ist doch aber klar, dass es nicht dauerhaft gesund und richtig und politisch tragfähig sein kann, dass 500 Millionen relativ wohlhabende Europäer wesentliche Teile ihrer Sicherheit outsourcen an den atlantischen Partner, der weit weg auf der anderen Seite des Atlantik ist. Also dass wir unsere Verteidigungseuros und -pounds und so weiter außerordentlich ineffizient ausgeben und ausgegeben haben in der Vergangenheit, das ist leider so. Die Münchener Sicherheitskonferenz hat da ja seit Jahren dran gearbeitet, und ich freue mich außerordentlich, dass die EU-Kommission in ihrem Zahlenwerk, das sie jetzt vorgestellt hat, genau unsere Zahlen aufgenommen hat. Also warum haben wir denn in der Europäischen Union 178 Waffensysteme verglichen mit 30 Waffensystemen auf amerikanischer Seite.
    "Einspareffekt von 20 oder mehr Milliarden Euro pro Jahr"
    Dobovisek: Aber Herr Ischinger, das gibt es ja alles schon in der Theorie sozusagen bei der NATO. Da nennt man diese eng verzahnte Zusammenarbeit, das gemeinsame Nutzen auch von Ressourcen seit Jahren pooling and sharing oder auch smart defence.
    Ischinger: Findet aber nicht statt.
    Dobovisek: Warum nicht?
    Ischinger: Findet aber nicht statt. Schauen Sie, es ist doch so: Jeder europäische Mitgliedsstaat der NATO kauft seine notwendigen Ausrüstungsgegenstände nach wie vor selber ein. Die meisten dieser Mitgliedsstaaten sind kleine Staaten. Die kaufen zehn Jagdflugzeuge ein oder bauen eine Fregatte. Wir haben ausgerechnet, dass der Einspareffekt, wenn man gemeinsam einkaufen würde – da geht es jetzt gar nicht um solche großen Würfe, wie die gemeinsame europäische Armee, das ist ja vielleicht Zukunftsmusik –, sondern es geht nur um das vernünftige Einsetzen der materiellen Ressourcen. Der Einspareffekt ist in der Größenordnung von 20 oder mehr Milliarden Euro pro Jahr …
    "Bürger wollen doch, dass die EU ein Sicherheitsprovider ist"
    Dobovisek: Aber warum dafür Parallelstrukturen schaffen statt die NATO zu verbessern?
    Ischinger: Es geht überhaupt nicht um Parallelstrukturen. Es geht nicht um Parallelstrukturen. Es geht darum, dass auf dieser Seite des Atlantiks sitzende NATO-Mitglieder – die meisten davon sind ja EU-Mitglieder –, dass die sich innerhalb der Europäischen Union zusammentun und gemeinsam einkaufen, gemeinsam ausbilden. Wieso unterhalten denn auch kleine europäische Mitgliedsstaaten nach wie vor ihre eigene Generalstabsausbildung in ihrer eigenen Sprache. Die Jungs oder die Mädels müssen doch, wenn sie mal eingesetzt werden bei Peacekeeping oder sonstigen Missionen, doch alle gemeinsam in Englisch miteinander verkehren. Also warum bildet man nicht gemeinsam aus, warum kauft man nicht gemeinsam ein. Wir könnten viel, viel, viel Geld sparen und müssten uns nicht so dramatisch herumschlagen mit dem Vorwurf, wir würden die gemeinsamen anvisierten Ziele von etwa zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht erreichen. Das ist ineffiziente Geldausgabe, und es ist die Nichtanwendung des Prinzips der Europäischen Union in einem zentralen Bereich des Interesses der Bürger. Die Bürger wollen doch, dass die Europäische Union ein Sicherheitsprovider ist. Die Bürger sehnen sich nach Sicherheit auf der Straße, sie sehnen sich nach Sicherheit vor Terror, und sie wollen garantiert auch Sicherheit vor ausländischen Unruhen, und ich glaube, die Europäische Union muss dazu und kann dazu ihren Beitrag leisten. Ich glaube also, die Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen, sind überfällig und werden hoffentlich von den Mitgliedsstaaten aufgegriffen und in den kommenden Jahren umgesetzt. Das geht nicht von heute auf morgen.
    Dobovisek: Darüber berät als nächstes zum Beispiel der EU-Gipfel am Ende des Monats. Wolfgang Ischinger leitet die Münchener Sicherheitskonferenz. Ich danke Ihnen für das Interview!
    Ischinger: Danke Ihnen! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.