Die Botschaft aus Warschau ist eindeutig. Wir werden nicht einlenken. Anders ist das, was Mateusz Morawiecki da sagte, nicht zu deuten. Die Justizreform sei dringend notwendig, erklärte der neue Regierungschef und fügte hinzu: Polen wolle nicht in Brüssel als Bittsteller auftreten, der fragen müsse, ob er seine Justiz reformieren dürfe. Dabei hatte mancher in Brüssel gehofft, der neue Mann an der Spitze der polnischen Regierung würde etwas konzilianter auftreten als seine Vorgängerin. Tut er aber nicht, und deshalb ist damit zu rechnen, dass die EU-Kommission heute erstmals ein Verfahren nach Artikel 7 gegen einen Mitgliedstaat starten wird. Und zwar zu Recht, wie Cornelia Ernst, Abgeordnete der Linken im Europaparlament, meint:
"Die EU-Kommission hat viele Versuche gestartet, diese Frage gütlich zu beantworten. Es gibt keine Veränderungen, Polen ist nicht bereit, Veränderungen herbeizuführen. Und insofern ist es auch gerechtfertigt, dass hier dieser Schritt eingeleitet wird. Ein ungewöhnlicher Schritt, aber ein Schritt, hinter dem das gesamte Parlament steht."
Die "Atomwaffe" der EU
Es ist ein gravierender Schritt, den die Kommission plant, schließlich könnte am Ende die Suspendierung der Stimmrechte Polens stehen. Mit anderen Worten: Das Land würde zwar nicht aus der EU hinausgeworfen werden, wäre aber ohne Rechte und Einfluss an den Rand gedrängt. Als Atomwaffe der EU wird deshalb auch dieser Artikel 7 bezeichnet. Eine Waffe also, zu der man nur im alleräußersten Notfall greift. Weshalb im EU-Recht vor einigen Jahren das sogenannte Rechtsstaatlichkeitsverfahren verankert worden ist – als weniger vernichtende Waffe. Das ist ein mehrstufiger Prozess, in dessen Verlauf ein Mitgliedsland, das von den rechtsstaatlichen Prinzipien abweicht, durch Argumente wieder auf den Weg der Tugend zurückgeführt werden soll. Über Jahre hat sich dieses Rechtsstaatsverfahren gegen Polen hingezogen. Doch an der polnischen Regierung prallten alle Argumente der EU-Kommission ab wie von einer Wand. Deshalb, so Daniel Caspary, Chef der Unionsabgeordneten im Europaparlament, müsse die Kommission jetzt den nächsten Schritt gehen:
"Hier werden Amtszeiten der höchsten Richter künstlich verkürzt, massiv politisch eingegriffen in die Neubesetzung der Richterstellen. Und wir stehen schon vor der Herausforderung, dass wir Rechtsstaatlichkeit in den europäischen Mitgliedstaaten garantieren müssen."
"Das ist faktisch innerhalb der EU die Höchststrafe"
Denn genau das ist in Artikel 2 des EU-Vertrags, den auch Polen unterzeichnet hat, festgelegt: Da steht, dass die Rechtsstaatlichkeit zu jenen Werten zählt, auf die sich die EU gründet. Polen muss also nicht, wie es der neue Ministerpräsident Morawiecki darstellt, in Brüssel um Erlaubnis für eine Justizreform bitten, sondern bei jeder Änderung im Justizbereich die Unabhängigkeit der Justiz wahren. Auch der Artikel 7 sieht ein mehrstufiges Verfahren vor. Zunächst müssen die Mitgliedstaaten mit Vier-Fünftel-Mehrheit feststellen, dass ein Mitgliedsland tatsächlich die in Artikel 2 aufgezählten Grundwerte der EU verletzt. Diese Mehrheit dürfte leicht zu organisieren sein. Wenn der kritisierte EU-Staat sich dann immer noch uneinsichtig zeigt, drohen Sanktionen bis hin zum Stimmrechtsentzug:
"Man ist draußen, man ist suspendiert, das ist faktisch innerhalb der EU die Höchststrafe, wenn man so will."
Sagt Cornelia Ernst von der Linken. Ob es aber dazu kommt, ist fraglich, denn Sanktionen müssen einstimmig beschlossen werden. Und Ungarns Regierungschef Orban hat der polnischen Regierung schon versprochen, Strafen mit seinem Veto zu verhindern. Was bleibt, ist die Prangerwirkung des Artikels 7. Und die Hoffnung, dass die Menschen in Polen selbst ihre Regierung zwingen, rechtsstaatliche Prinzipien wieder zu achten, sagt Daniel Caspary:
"Viel Polen sind ja an Bord, gehen auf die Straße und kämpfen für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und wir sollten zu allererst die Polen ermutigen, selbst zu Hause Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen."
Wobei sich dann selbst diese Ermutigung der Zivilgesellschaft wieder gegen die EU richten kann. Denn die rechtsnationalistische Regierung in Warschau hat bislang noch jede Sympathieäußerung aus dem Ausland zugunsten der Opposition als Beleg für einen Angriff der EU auf die nationale Souveränität ausgelegt.