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EU-Verträge mit Impfstoffherstellern
"Mehr Transparenz dringend erforderlich"

Die Grünen-EU-Abgeordnete Jutta Paulus fordert Einsicht in die Verträge der EU mit Corona-Impfstoffherstellern. Der Fall AstraZeneca zeige, dass mehr Transparenz gegenüber dem Europaparlament dringend erforderlich sei, sagte sie im Dlf. Den Abgeordneten müsse zudem ihr Mitbestimmungsrecht gewährt werden.

Jutta Paulus im Gespräch mit Stefan Heinlein |
Ein Impfstoff wird mit einer Spritze einem Fläschchen entnommen (Symbolbild)
Für den AstraZeneca-Impfstoff will die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) ihre Zulassungsempfehlung am 29.01.2021 aussprechen (imago images / Luis Lima Jr)
Wegen "Problemen in der europäischen Lieferkette" will das schwedisch-britische Pharmaunternehmen AstraZeneca der EU im ersten Quartal 2021 rund 60 Prozent weniger Impfstoff zu liefern als zugesagt: nur noch 30 Millionen statt 80 Millionen Dosen. Die EU-Kommission pocht hingegen auf die Einhaltung der Impfstoffmengen, die im vergangenen Sommer im Vertrag mit AstraZeneca vereinbart worden waren.
Die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus steht am 19.01.2021 während eine Plenarsitzung des Europaparlaments am Rednerinnenpult.
Die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus wünscht sich Einsicht in die bislang nicht einsehbaren Verträge der EU mit Impfstoffherstellern (imago images / Martin Bertrand)
Was genau im Vertrag steht, ist jedoch unklar, Details sind der Öffentlichkeit nicht bekannt. Die EU-Kommission hält ihn unter Verschluss und verweist dabei auf Vertraulichkeitsklauseln. Das Europaparlament fordert allerdings seit Monaten Einsicht in die Akten. Die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Parlaments und Apothekerin, verlieh der Forderung im Interview mit dem Deutschlandfunk Nachdruck.
Der Streit um die AstraZeneca-Lieferung zeige, wie wichtig mehr Transparenz sei: "Man kann nicht wirklich aus den Verträgen, aus dem Teil, der öffentlich ist, ablesen, was letztlich zugesagt wurde und zu welchen Konditionen", so Paulus. Sie könne verstehen, dass man nicht alle Details ins Internet stelle, solange man noch in Verhandlungen auch mit anderen Herstellern stecke. Abgeordneten aber müsste ein Zugang und Mitbestimmung gewährt werden, schließlich hätten sie die Aufgabe, die Exekutive zu kontrollieren.
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Stefan Heinlein: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn scheint tatsächlich genervt. Haben Sie noch Vertrauen in die Manager von AstraZeneca?
Jutta Paulus: Die Situation ist zugegebenermaßen sehr schwierig. Wir haben ja schon von Anfang an als Parlament oder zumindest als Grüne im Parlament mehr Transparenz und auch Mitbestimmung gefordert, und jetzt zeigt sich auch, dass mehr Transparenz dringend erforderlich ist. Die Manager von AstraZeneca haben anscheinend gestern in den Gesprächen mit der Kommission keine zufriedenstellenden Antworten liefern können, warum denn jetzt die zugesagten Liefermengen nicht geliefert werden.
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"Der einzige Vertrag, der uns zugänglich ist, ist der mit Curevac"

Heinlein: Mehr Transparenz, das scheint Ihr Stichwort, Frau Paulus. Warum sind denn die Verträge mit AstraZeneca nicht öffentlich? Hat die Kommission hier etwas zu verbergen?
Paulus: Der einzige Vertrag, der uns momentan zugänglich ist, ist der, der mit Curevac geschlossen wurde. Curevac hat ja noch gar keine Zulassung beantragt. Und selbst da sind entscheidende Paragraphen geschwärzt. Man kann nicht wirklich aus den Verträgen, aus dem Teil, der öffentlich ist, ablesen, was letztlich zugesagt wurde und zu welchen Konditionen.
Eine Hand hält eine Spritze in der Hand
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Natürlich kann ich verstehen, wenn man noch in Verhandlungen auch mit anderen Herstellern steckt, dass man nicht alle Details ins Internet stellen kann, aber ich finde, als Abgeordnete, die ja auch die Aufgabe haben, die Exekutive zu kontrollieren, müsste uns ein Zugang gewährt werden.

"Am Ende des Tages hatten wir keinerlei Mitbestimmungsrecht"

Heinlein: Hat das Parlament damit versagt bei der Kontrolle der Verträge mit den Impfstoffherstellern? Hätten Sie genauer hinsehen müssen und auf die Einsicht in die Verträge bestehen müssen?
Paulus: Wir haben ja darauf bestanden, beziehungsweise wir haben schon im letzten Jahr, schon im Sommer gesagt, wir wollen diese Transparenz haben. Da sind wir noch als pharmafeindlich beschimpft worden. In der letzten Plenardebatte haben sich dann alle Fraktionen unzufrieden mit der Intransparenz geäußert. Aber am Ende des Tages hatten wir ja überhaupt keinerlei Mitbestimmungsrecht, denn die Vorverträge sind geschlossen worden von der Kommission mit den Herstellern, so dass die Mitgliedsstaaten dann anhand dieser Vorverträge Bestellungen aufgeben konnten.
In dem Verfahren waren auch Expertinnen und Experten aus den Mitgliedsstaaten jederzeit eingebunden. Es gab einen Lenkungsausschuss, wo jeder Mitgliedsstaat auch einen Sitz hatte. Der wurde wöchentlich informiert. Das heißt, wir sind da als demokratisch gewählte Abgeordnete deutlich hinten dran, was natürlich auch mit der unzureichenden Verankerung dieser Transparenz in den europäischen Verträgen zusammenhängt.
Illustration picture shows the Belgian headquarters of British-Swedish pharmaceutical giant AstraZeneca, in Dilbeek, Saturday 23 January 2021. BELGA PHOTO NICOLAS MAETERLINCK
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Intransparenz "hat leider eine lange Tradition"

Heinlein: Haben Sie, Frau Paulus, eine Erklärung für diese Geheimhaltungstaktik der Kommission? Hat die Kommission vielleicht schlecht verhandelt mit den Pharmakonzernen und will deshalb die Details der Verträge geheim halten?
Paulus: Nach den Informationen, die uns vorliegen, ist es so, dass die Hersteller selber sagen, wir möchten nicht, dass so viel öffentlich gemacht wird, und unsere Hoffnung ist ja, dass dadurch, dass Curevac jetzt zumindest mal einen Teileinblick gewährt, auch die anderen Hersteller ein bisschen mehr Druck hinten dran haben, dass sie die Verträge auch zur Veröffentlichung oder zur teilweisen Veröffentlichung freigeben.
Aber das hat leider eine lange Tradition, dass die Kommission beziehungsweise die Generaldirektionen da ein bisschen zurückhaltend sind, was Transparenz angeht. Wir haben ja auch seinerzeit die Unterlagen, die zu Glyphosat vorliegen, sprich die Studien, als es um die krebserzeugende Wirkung ging, das musste erst eingeklagt werden vor dem EuGH, dass das Parlament da Zugang bekommt.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Heinlein: Wird das Parlament, wird die Kommission, wird die EU-Politik insgesamt, Frau Paulus, von der Pharmaindustrie am Nasenring durch die Corona-Manege gezerrt? Kann man das so auf den Punkt bringen?
Paulus: Das ist jetzt eine sehr starke Formulierung. Ich würde, glaube ich, eher noch mal zurückschauen, welche Erfahrungen haben wir denn gemacht, beispielsweise als es um den Schweinegrippen-Impfstoff ging. Damals hat jedes EU-Mitgliedsland für sich selbst verhandelt und die Hersteller haben dann die EU-Mitgliedsstaaten gegeneinander ausgespielt und den Preis hochgetrieben. Im Moment erleben wir das Ganze quasi auf der globalen Skala. Sprich: Es wird dann EU gegen Israel, gegen USA, gegen UK ausgespielt, und ich bin damit äußerst unzufrieden.
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Heinlein: War es eine Illusion zu glauben, dass die Pharmakonzerne in dieser weltweiten Pandemie - das ist ja eine Sondersituation - jetzt auf ihren Profit verzichten? Man hat geglaubt, man zieht jetzt an einem Strang, um das Virus zu besiegen. Geht es am Ende doch nur ums Geschäft?
Paulus: Es geht mit Sicherheit ums Geschäft. Ich meine, so ist unsere Wirtschaftsordnung ja organisiert. Wer Patente hat, darf Profite machen. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass diese Ausnahmeregelungen in dem TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation [Anm. d.Red.: Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights Agreement], wo es um den Schutz geistigen Eigentums geht [gelten kann].
Da gibt es eine Ausnahme für Gesundheitskrisen, die haben beispielsweise Indien und Südafrika gezogen, als es um Aids-Medikamente ging. Jetzt haben wir eine globale Gesundheitskrise und ich finde, die EU muss sich auch dafür einsetzen, dass diese Ausnahme, die in einer speziellen Erklärung auch veröffentlicht ist oder miteinander abgesprochen ist, auch für diesen Fall gezogen wird. Sprich, dass wir weltweit die Produktionskapazitäten nutzen können.

Paulus: Kann Forderungen nach EU-Exportverbvot "sehr gut nachvollziehen"

Heinlein: Ihr Abgeordneten-Kollege Peter Liese hat heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk im Interview ein EU-Exportverbot für AstraZeneca angeregt. Wird es tatsächlich Zeit für Strafaktionen gegen diesen Pharmakonzern?
Paulus: Der Punkt ist ja: Wir können jetzt AstraZeneca vor Gericht zerren und sagen, ihr erfüllt euren Vertrag nicht, den wir mit euch geschlossen haben. Dann kriegen wir vielleicht 2024 ein Urteil, was dann sagt, ja, ihr hattet recht, aber das nützt uns ja nichts mehr. Insofern kann ich das, was Peter Liese gesagt hat, was ja auch die Kommission selber sagt - wir werden darüber sprechen müssen, ob denn überhaupt aus der EU exportiert werden darf - sehr gut nachvollziehen.
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Das darf natürlich humanitäre Hilfslieferungen nicht betreffen. Aber wenn jetzt AstraZeneca sagt, na ja, in Israel bekommen wir mehr Geld oder in den USA, dann kann das kein Argument dafür sein, die Lieferverpflichtungen gegenüber der EU nicht zu erfüllen.
Heinlein: AstraZeneca ist ein britisch-schwedischer Konzern. Ist diese Tatsache die simple Erklärung dafür, dass es in Großbritannien anders als in der Europäischen Union derzeit keine Lieferengpässe gibt?
Paulus: Das ist noch unklar. AstraZeneca behauptet ja, es hinge damit zusammen, dass auf dem europäischen Kontinent die Lieferketten nicht funktionieren würden und in UK schon. Was im Moment noch nicht klar ist, ist, inwiefern die Zulassung in UK in der Spezifikation abweicht von dem, was bei der EMA eingereicht worden ist, weil dann wäre dieses Argument natürlich stichhaltig. Wenn AstraZeneca sagt, wir verwenden da andere Hilfsstoffe und die kriegen wir, und die, die wir für die europäische Produktion bräuchten, kriegen wir nicht, dann hätte das auch einen stichhaltigen Grund.
Aber bisher gibt es ja nur sehr vage Äußerungen von wegen, wir können nicht so produzieren und es ist uns eine Charge danebengegangen, aber wenn eine Charge daneben geht, das kann nicht der Grund dafür sein, dass 60 Prozent der Lieferungen nicht kommen.
Grafik zeigt Entwicklung des AstraZeneca Impfstoff

"Wir haben sehr große Hoffnungen auf den AstraZeneca-Impfstoff gesetzt"

Heinlein: Frau Paulus, eine Frage noch an Sie als Apothekerin, als Pharmazeutin. Es gibt ja Meldungen, Sie haben es mitbekommen heute, über die mangelnde Wirksamkeit des Impfstoffes von AstraZeneca. Wie beurteilen Sie diese Meldungen?
Paulus: Es gibt ja auch die Meldung, dass da anscheinend die Wirksamkeit mit der Partizipation, sprich mit dem Anteil der Älteren an den Impflingen verwechselt worden ist. Offen gestanden kann ich mir nicht vorstellen, dass AstraZeneca eine Zulassung einreichen würde, die gerade in der Gruppe, die jetzt als erstes geimpft werden soll, keinerlei oder keine hinreichende Wirksamkeit hat. Ich glaube auch nicht, dass die Briten dann angefangen hätten, so viele Menschen zu impfen, wenn die Wirksamkeit nur acht Prozent beträgt.
Was wissen wir über den AstraZeneca-Impfstoff?

Der Wirkstoff, den die Universität Oxford und das schwedisch-britische Pharmaunternehmen AstraZeneca entwickeln, ist ein Vektorimpfstoff. Er benötigt - anders als die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna - lediglich Kühlschranktemperatur und wäre damit auch für den Hausarzt praktikabel. Zudem ist er schnell produzierbar und wesentlich günstiger als die beiden mRNA-Impfstoffe: Eine Dosis von AstraZeneca soll umgerechnet rund 2,10 Euro kosten.

Laut einem Zwischenergebnis, das AstraZeneca am 23. November veröffentlichte, zeigt der Impfstoff eine Wirksamkeit von durchschnittlich 70 Prozent, bei einem bestimmten Impfschema sogar 90 Prozent. Zudem soll er schwere COVID-19-Verläufe verhindern und die Viruslast von Infizierten verringern.

Zur Debatte steht jedoch die Wirksamkeit des Impfstoffes bei älteren Menschen. Das Vakzin könnte Medienberichten nach nur für Menschen zugelassen werden, die jünger als 65 Jahre sind. AstraZeneca wies diese Berichte als "komplett falsch" zurück.
Heinlein: Mit welchem Impfstoff würden Sie sich denn gerne impfen lassen?
Paulus: Ich bin ja noch lange nicht dran. Ich nehme was komme. Aber mir ist es wirklich wichtig, dass erst mal die Menschen geimpft werden, die es wirklich benötigen, sprich die Älteren, die Vorerkrankten, die Menschen mit Behinderungen. Da haben wir natürlich auch sehr große Hoffnungen auf den AstraZeneca-Impfstoff gesetzt, das gebe ich offen zu, weil wir damit in jeder Arztpraxis impfen könnten, weil wir damit auch Menschen impfen könnten, die zuhause gepflegt werden, wo man jetzt mit der BioNTech-Vakzine schlecht hinkommt, weil man ja die Fläschchen, wenn das einmal verdünnt ist, auch nicht mehr transportieren darf. Sprich: Wenn man eine Person impft, muss man die anderen fünf Impfdosen verwerfen.
Das ist alles sehr schwierig und deswegen ist es äußerst misslich, dass ausgerechnet Astra jetzt in dieser Situation ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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