Britta Fecke: Auch in den 70er-Jahren wurde unter anderem in Deutschland ein dramatischer Rückgang von großen Zugvögeln und vielen Singvogelarten beobachtet. Damals lag es nicht an dem schlechten Nahrungsangebot während der Brutzeit (Stichwort Insektensterben), sondern am Verhalten südeuropäischer Hobbyjäger. Viele kleine Zugvögel landeten in den Netzen italienischer Bauern, oder erlagen dem Schrotgewitter griechischer Jäger. Damals reifte der Gedanke, dass der erfolgreiche Schutz von Zugvögeln einer grenzübergreifenden Initiative bedarf, und so trat heute vor 40 Jahren die EU-Vogelschutzrichtlinie in Kraft. Was sie bewirkt hat und mit welchen Herausforderungen die Naturschützer heute konfrontiert sind, darüber möchte ich mit Andreas von Lindeiner sprechen. Er ist unter anderem Präsident des Deutschen Rates für Vogelschutz. – Herr Lindeiner, welche Vogelarten waren denn damals vor 40 Jahren besonders bedroht?
Andreas von Lindeiner: Schönen guten Morgen, Frau Fecke. – in der Tat waren vielfach die Zugvögel bedroht und aus dieser Besorgnis heraus, dass Feldlärchen, dass Amseln, das Finkenvögel gefangen oder geschossen wurden, hat man letztendlich diese Vogelschutzrichtlinie 1979 in Kraft treten lassen.
Fecke: Damals waren es die kleinen Zugvögel und Finken, haben Sie gerade erwähnt. Was sind denn heute die bedrohten Vogelarten?
Von Lindeiner: Heutzutage ist es deutlich komplexer, muss man sagen. Wir haben zum Teil immer noch das Problem der Zugvogeljagd. Das betrifft zum Teil die gleichen Arten wie früher, aber auch zusätzlich Arten wie zum Beispiel den Kiebitz oder die Uferschnepfe oder andere Watvogelarten, die im Bestand sehr stark bedroht sind. Wir haben aber zudem das Problem, dass in den Brutgebieten die Bestände zum Teil dramatisch eingebrochen sind. Gerade die Arten der Felder- oder der Wiesen-, der Kulturlandschaft haben in den letzten 40 Jahren zum Teil insgesamt um die Hälfte abgenommen.
Fecke: Heute tagt der Agrarausschuss in Brüssel und diskutiert auch die Verteilung der Beihilfen. Was würden Sie empfehlen? Wo müsste es hingehen, wenn es gerade darum geht, wie Sie sagen, die Vögel auch in der großen Fläche zu schützen, oder wenn der Blick in Richtung intensive Landwirtschaft gerichtet wird?
!Von Lindeiner:!! Wir brauchen ganz dringend im Rahmen der GAP-Reform ein Umdenken und ein Umlenken der Fördermittel. Es muss klar sein, dass in der Fläche nicht mehr alles nur noch auf Intensivierung, auf Vergrößerung ausgerichtet ist, sondern dass wir tatsächlich eine sinnvolle Struktur bekommen, die auch wirklich dieses Wort "Greening" verdient. Das Greening, was in der aktuellen Förderperiode läuft, ist einfach nicht geeignet, um den Arten sinnvoll weiterzuhelfen. Wir haben einen sehr intensiven Pestizidansatz und in den letzten Monaten/Jahren ist ja sehr stark auch über das Insektensterben berichtet worden. Die sind natürlich eine Grundlage für viele Vogelarten als Nahrung und sind auch deutlich zurückgegangen. Wir müssen gucken, dass die Schutzgebiete, die wir haben, gut vernetzt werden, dass die Vögel auch einen Austausch zwischen diesen Gebieten machen können, und so weiter. Da sind durchaus einige Aspekte, die jetzt die neue Förderperiode auch als Herausforderung hat, damit dieser Rückgang nicht noch weitergeht. Sie müssen sich vorstellen, dass eine Art wie das Rebhuhn, das früher allgegenwärtig war, über 90 Prozent abgenommen hat in den letzten Jahrzehnten. Man sieht sie kaum noch. Auch beim Kiebitz haben wir 80, 90 Prozent Rückgang. Das muss sich einfach ändern. Wir müssen diesen Rückgang stoppen und auch am besten umkehren.
"Haben einen Zielwert, der lange nicht erreicht worden ist"
Fecke: Sie haben es gerade schon gesagt: Eins hängt am anderen. Wenn das Angebot an Insekten zurückgeht, die ja sehr dringend notwendig sind für die Fütterung der Jungvögel, dann gehen auch die Singvögel zurück und andere Vogelarten. – Vögel dienen ja oft als Zeigeart. Wenn die in irgendeinem Habitat, in irgendeiner ökologischen Nische fehlen, dann fehlt oft sehr viel anderes. Was hängt denn da zusammen? Sie erwähnten gerade das Rebhuhn. Wo könnte man sagen, der Schutz des Rebhuhns, wenn da der Lebensraum geschützt wird, dann hängen da auch noch die und die und die schützenswerten Arten dran?
Von Lindeiner: Das ist in der Tat richtig. Wir müssen davon ausgehen, dass in der Regel nicht nur eine Pflanzen- oder Tierart von irgendeiner Vogelart gefressen wird, sondern das ist ein ganzes Gefüge, was dafür erforderlich ist. Wir haben ja durchaus auch Erfolg versprechende Projekte, beispielsweise im Landkreis Göttingen, wo man es geschafft hat, eine vernetzte Struktur an Blühflächen, an Blühstreifen hinzubekommen, wo auch wirkliche heimische Ackerwildkräuter mit den entsprechenden Insekten vorkommen, die ganz nötig sind, um diesen Arten auch einen Lebensraum zu bieten. Wenn solche Strukturen tatsächlich in der Landschaft vorhanden sind, dann können solche Arten auch überleben.
Sie sagten es: Es gibt einen Indikator Artenvielfalt und Landschaftsqualität, der sich aus verschiedenen Vogelarten zusammensetzt, die zum Teil sehr unterschiedliche Ansprüche haben, aber die zusammen genommen einfach zeigen, wie es um diese Landschaft bestellt ist. Dieser Indikator sinkt permanent ab. Wir haben einen Zielwert, der lange nicht erreicht worden ist, der auf europäischer Ebene im Übrigen festgelegt worden ist, und dahin gilt es zu arbeiten.
Neuerschließung von Flächen verringern
Fecke: Sie meinen, dieser Zielwert ist vor allem in Deutschland nicht erreicht worden?
Von Lindeiner: Nicht nur in Deutschland. Es ist durchaus auch in Frankreich und in anderen Ländern das gleiche Bild zu sehen, denn die Agrarpolitik wirkt ja letztendlich in verschiedenen Ländern vergleichbar, und zum Beispiel auch in Frankreich sind ja diese Großstrukturen entstanden, die in vielen Gebieten einfach den Tier- und Pflanzenarten nicht mehr ausreichend Lebensraum bieten können.
Fecke: Sie meinen auch Großstrukturen in der Landwirtschaft, oder groß versiegelte Flächen in den Städten?
Von Lindeiner: Es geht im Wesentlichen natürlich erst mal um die Landwirtschaft. Wir haben in Deutschland zumindest in großen Teilen, fast die Hälfte der Fläche, die landwirtschaftlich genutzt wird, während der Siedlungsraum nur einen kleineren Teil von sechs Prozent ausmacht. Aber in der Tat ist natürlich jeder Faktor wichtig, und wenn wir die Versiegelung und die Neuerschließung von Flächen verringern können, ist das sicherlich auch ein ganz wichtiger Beitrag zum Schutz der Biodiversität.
Fecke: 40 Jahre lang gibt es schon die EU-Vogelschutzrichtlinie. Was sie gebracht hat und was die heutigen Herausforderungen sind, das schilderte uns Andreas von Lindeiner. Er ist vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern. Vielen Dank dafür.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.