Oberhäuser sagte im Deutschlandfunk, dass bei der Idee, die Asyl-Verfahren EU-weit einheitlich zu regeln, auch Rechtsschutz gegen belastende Maßnahmen möglich sein müsse. Das entspreche der Europäischen Menschenrechtscharta.
Er sehe kein Problem darin, die Dublin-Verordnung zu ergänzen, das sei mit deutschem und europäischen Recht vereinbar. Die Vorschläge der EU-Kommission gingen in die richtige Richtung. Allerdings hätte diese Umorientierung schon vor 20 Jahren stattfinden müssen. Momentan hätten so die Vorschläge wenig Aussicht auf Realisierung. Man könne aber auch nicht zulassen, dass Griechenland und Italien alleine gelassen würden.
Finanzieller Ausgleich für besonders betroffene Länder
Oberhäuser hält es so für vernünftiger, einen anderen Ansatz zu wählen. So sollten die Flüchtlinge Wahlfreiheit bei der Auswahl ihres Ziellandes erhalten. Denn ein Flüchtling habe keine Probleme damit, etwa von Lettland nach Deutschland zu gelangen.
Die dann besonders belasteten Länder müssten dann einen finanziellen Ausgleich erhalten. Er persönlich spüre nämlich - außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit - nicht sonderlich viel von der angeblichen Flüchtlingsbelastung in Deutschland. Wenn die Ehrenamtlichen zum Beispiel durch Hauptamtliche entlasten würden, wenn das ganze System staatlich beziehungsweise letztlich europäisch finanziert würde, wäre eine Aufnahme von eine Million Flüchtlingen in Deutschland kein Problem.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Dirk-Oliver Heckmann: Thomas Oberhäuser ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht des Deutschen Anwaltvereins und jetzt bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Oberhäuser.
Thomas Oberhäuser: Guten Morgen auch.
Heckmann: Herr Oberhäuser, es ist ja wenig wahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit zu einer richtigen Europäisierung des Asylrechts kommt. Der politische Widerstand in mehreren Ländern ist viel zu groß. Aber das mal bei Seite gelassen: Wäre Deutschland überhaupt befugt, das Thema an die europäische Ebene abzugeben, und wenn ja, welche Voraussetzungen müssten dafür erfüllt sein?
Oberhäuser: Die Voraussetzungen sind seit dem Vertrag von Lissabon geschaffen. Die Europäische Union hat eine Kompetenz, in diesen Bereichen tätig zu werden, und die hat sie ja durch verschiedene Richtlinien auch schon wahrgenommen.
Heckmann: Und das wäre im Prinzip kein Problem jetzt aus deutscher Sicht, aus rechtlicher Sicht, dass man sagt, von uns aus jedenfalls hier eine vollständige Europäisierung herbeizuführen?
Oberhäuser: Nein, das ist überhaupt kein Problem rechtlich.
Heckmann: Die Asylantragsteller, die müssen aber die Möglichkeit haben, wie das ja im Moment auch der Fall ist in Deutschland, gegen eine solche Entscheidung klagen zu können. Wäre das denn gewährleistet?
Oberhäuser: Das ist in der Tat eine Frage, die man momentan nicht beantworten kann, wie das gemacht werden soll. Es muss klar sein, auch nach der europäischen Grundrechtecharta, dass es Rechtsschutz gegen Entscheidungen auch von europäischen Instanzen geben muss. Das ist zwingend, das steht in der Grundrechtecharta ausdrücklich drin, das entspricht auch den Verfassungsgeboten vieler Mitgliedsstaaten. Dass gegen belastende Maßnahmen effektiver Rechtsschutz gewährleistet sein muss, das entspricht europäischen Standards und das muss sicherlich auch verwirklicht werden.
Heckmann: Pro Asyl sagt zu diesem Punkt, damit wäre der Europäische Gerichtshof, der dann die entsprechenden Instanzen in Deutschland ersetzen müsste, hoffnungslos überfordert.
Oberhäuser: Ja, das geht natürlich nicht mit dem bestehenden System. Aber auch der Europäische Gerichtshof hat ja einen zweiten Gerichtshof, der nur für Fragen des Unionsrechts in Bezug auf die eigenen Angestellten, also die Beamten der Europäischen Union zuständig ist. Das heißt, es kann sehr wohl auch eine quasi Zweigstelle des Europäischen Gerichtshofes geben, der dann nur für Asylfragen zuständig wäre. Auch da ist die Frage, ob das eine Instanz sein kann, ob das mehrere Instanzen sein müssen. Aber das kann man im Einzelnen regeln. Es ist letztlich aber die Frage, was bringt so was, denn die einzelnen Mitgliedsstaaten sind natürlich ortsnäher. Wenn jemand bei ihnen ist, dann können die viel leichter jemanden anhören, als wenn der nach Luxemburg fahren müsste. Auf der anderen Seite: Wenn der Europäische Gerichtshof irgendwelche Dependancen in den einzelnen Mitgliedsstaaten hat, dann ist das so ein wahnsinnig aufwendiges System, dass es wahrscheinlich Jahrzehnte dauert, um das umzusetzen.
Heckmann: Wäre es denn trotzdem aus Ihrer Sicht eine gute Idee?
Oberhäuser: Natürlich ist es eine gute Idee, dass ein europäischer Rechtsraum auch europäischen Rechtsregeln unterliegt, und zwar einheitlichen Regeln. Deswegen ist es grundsätzlich richtig, dass die Europäische Union da zumindest mal Richtlinien erlässt. Man könnte überlegen, ob auch Verordnungen, unmittelbar geltendes Recht, in den Mitgliedsstaaten Anwendung finden muss. Das versucht die Europäische Union ja auch anzusprechen. Aber es ist auf jeden Fall richtig, dass Mindeststandards geschaffen werden müssen, die einheitlich überall gelten. Wie die dann auszulegen sind, das ist immer eine Frage, die im Einzelfall letztlich der Europäische Gerichtshof klären muss, wenn die einzelnen nationalen Gerichte Fragen dem Europäischen Gerichtshof vorlegen.
Heckmann: Halten wir fest: Die Europäisierung selber des Asylrechts, die wird jetzt erst mal nicht kommen, das weiß ja auch die EU-Kommission, jedenfalls nicht EU-weit. - Kommen wir mal zu den verschiedenen Optionen, die die EU-Kommission dann tatsächlich vorgeschlagen hat, nämlich Option eins, das nationale Asylrecht bleibt bestehen, aber es soll feste Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen geben. Wäre das mit deutschem und mit europäischem Asylrecht vereinbar?
Oberhäuser: Ja. Die Verordnung, die Dublin-Verordnung kann natürlich entsprechend ergänzt oder überarbeitet werden. Das, meine ich, ist nicht das Problem. Das entspricht ja auch der Lastenverteilung innerhalb Deutschlands. Wenn Asylbewerber kommen, dann würden die ja nach dem Königsteiner Schlüssel entsprechend auf die Bundesländer verteilt. Das kann man sicherlich auch europäisieren. Da gibt es entsprechende Gedanken ja schon, wie man das machen kann. Das ist mit europäischem Recht durchaus vereinbar und auch mit deutschem Recht.
Heckmann: Aber die Frage ist ja, das Dublin-System funktioniert schon jetzt nicht. Weshalb sollten dann die Mitgliedsländer überhaupt zustimmen einer solchen Regelung? Man kann es im Prinzip schon als Totgeburt sehen, oder sehen Sie das anders?
Oberhäuser: Man muss momentan jedenfalls sagen, dass es in der Tat wenig Aussicht auf Realisierung hat. Die Mitgliedsstaaten sind so unterschiedlich in ihrer Wahrnehmung, was Flüchtlinge betrifft. Da kann man nicht erwarten, dass in nächster Zeit ein Konsens darüber erzielt werden kann. Auf der anderen Seite kann man auch, muss man sagen, nicht zulassen, dass Griechenland und möglicherweise demnächst Italien wieder mit den ganzen Flüchtlingen allein gelassen werden. Das ist ja auch nicht die Lösung. Das entspricht ja überhaupt keinem europäischen Solidargedanken.
Heckmann: Was wäre denn die Lösung aus Ihrer Sicht?
Oberhäuser: Es ist in der Tat ein Schritt zu sagen, wir machen diese Aufnahme in diesen Zentren, wie jetzt geplant, und verteilen dann europaweit die Flüchtlinge. Oder vernünftiger wäre es, wir sehen uns eigentlich mal an, was die Flüchtlinge wollen, wo die denn eigentlich hin wollen. Denn diese Sekundärmigration, dass jemand in einem bestimmten Land sich irgendwie aufhalten muss, aber er sagt, da will ich gar nicht sein, ich will dahin, wo meine Familie wohnt, das ist in einem anderen Land, das kann man nur verhindern, indem man frühzeitig die Flüchtlinge befragt, was denn das Zielland eures Schutzgesuches ist, und dann müssen sie an diesem Vorschlag einmal festhalten und der Staat, der dann gegebenenfalls übermäßig belastet wird, der wird halt finanziell abgeglichen.
Heckmann: Das heißt, Sie würden für eine Wahlfreiheit für Migranten, für Flüchtlinge plädieren, dass sie sich selber aussuchen können, in welches Land sie kommen?
Oberhäuser: Das ist mit Sicherheit die vernünftigste Lösung für alle. Denn was wir jetzt momentan haben, das rührt im Wesentlichen daher, dass die Menschen sagen, ich gehe nicht freiwillig in ein Land, wo ich überhaupt niemanden kenne, wo es auch kein funktionierendes Asylsystem gibt, wo es auch zum Beispiel wenig Sozialleistungen gibt, die mir die Möglichkeit geben, überhaupt zu leben. Das heißt, der Mensch wird immer versuchen, dahin zu kommen, wo er wirklich hinkommen möchte. Und wer es geschafft hat, von Syrien oder von Afrika nach Europa zu kommen, der schafft es auch, von Lettland nach Deutschland zu kommen.
Heckmann: Aber Sie wissen ja auch, Herr Oberhäuser, dass in den letzten Wochen und Monaten der übergroße Teil der Migranten gesagt hat, wir wollen nach Deutschland oder nach Schweden beispielsweise, vor allem aber nach Deutschland. Und das wäre auch politisch absolut nicht umsetzbar.
Oberhäuser: Das ist die Frage, wie man das sieht. Ich muss gestehen, ich spüre, außer natürlich in meiner beruflichen Tätigkeit, nicht besonders viel von dieser Flüchtlingsbelastung. Wenn die Ehrenamtlichen entlastet werden würden durch Hauptamtliche, wenn das ganze System tatsächlich staatlich finanziert werden würde und dann letztlich vielleicht europäisch finanziert werden würde, dann wäre die Aufnahme von einer Million Flüchtlingen in Deutschland nicht das große Problem.
Heckmann: Wobei auch da natürlich wieder die europäische Solidarität gefordert wäre, und da hapert es ja in den letzten Wochen und Monaten, wie wir immer wieder gesehen haben. - Herr Oberhäuser, ich möchte noch mal kurz auf die Praxis zu sprechen kommen, die jetzt auf den griechischen Inseln beispielsweise durchgeführt wird. Da sollen die Asylanträge, die da gestellt werden, jetzt im Schnellverfahren abgehandelt werden. Sind da eigentlich die Grundrechte der betreffenden Personen überhaupt noch gewährleistet?
Oberhäuser: Wie das momentan ausschaut, eher nicht. Man kann ja bloß mit Vorsicht sagen, wie die Situation wirklich ist. Man erfährt das ja aus verschiedenen Berichten, dass wohl die Menschen derzeit inhaftiert werden, dass sie gar nicht die Möglichkeit haben, aus ihren Lagern rauszukommen. Und dann natürlich auch die Frage sich stellt, wie kriegen die denn effektiven Rechtsschutz, wie können die zum Beispiel einen Anwalt beauftragen. Abgesehen davon, dass die griechischen Anwälte zurzeit streiken und deswegen überhaupt keine Möglichkeit besteht, ist aber auch der Umstand, dass jemand in einem Gefängnis quasi sitzt und keine Möglichkeit hat, irgendwie nach außen zu kommen, ein Problem des Zugangs zum Recht.
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, die Abschiebungen, die jetzt in den nächsten Tagen und Wochen zu erwarten sind, die finden auf einer rechtlich fragwürdigen Grundlage statt?
Oberhäuser: Momentan extrem fragwürdig.
Heckmann: Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang, dass die Türkei - dorthin werden ja alle Flüchtlinge gebracht, deren Asylanträge abgelehnt werden - alle Personen abschiebt dann wiederum, die keine Syrer sind?
Oberhäuser: Auch das ist die Frage des Refoulmentverbots, ob man jemand in ein Land schicken darf, von dem man weiß, der schiebt dann auch wieder ab. Aber wenn der Asylantrag in Europa gestellt wurde und abgelehnt wurde, dann heißt das ja auch, dass zumindest mal das Risiko geprüft werden muss, ob dann ein Refoulmentverstoß vorliegt, ob jemand tatsächlich in die Türkei zurückgeschoben werden kann. Und wenn die Gerichte sagen, das geht, weil die Türkei trotzdem sicher ist und auch prüft, ob man jemanden nach Pakistan verschieben kann, dann ist das nicht unbedingt mit Europarecht unvereinbar.
Heckmann: Wenn Sie es in einem ganz knappen Satz zusammenfassen könnten, würden Sie sagen, Europa ist jetzt mittlerweile dabei, so langsam zumindest, was die Asylpolitik angeht, in die richtige Richtung zu gehen?
Oberhäuser: Das kann man sicherlich nicht für jeden Mitgliedsstaat sagen. Das kann man vielleicht von der Kommission oder das kann man bestimmt von der Kommission mit den jetzigen Vorschlägen sagen, dass die in die richtige Richtung zumindest mal sich umorientieren, aber das hätten sie, ehrlich gesagt, vor 20 Jahren schon machen müssen.
Heckmann: Thomas Oberhäuser war das vom Deutschen Anwaltverein. Danke für dieses Interview.
Oberhäuser: Danke auch schön!
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