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EU-Wiederaufbauhilfe in der Corona-Krise
"Wir sind nicht der Zahlmeister, wir sind der große Profiteur"

Axel Schäfer, stellvertretender SPD-Fraktionschef, sieht in dem geplanten Wiederaufbaufonds der EU-Kommission eine gemeinsame Investition in die Zukunft. Auch Deutschland profitiere von dieser Gemeinschaft und sei sicher nicht immer der "Musterknabe", sagte er im Dlf.

Axel Schäfer im Gespräch mit Rainer Brandes |
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Axel Schäfer, spricht vor Mikrofonen.
"Es ist nicht so, dass wir die Musterknaben sind und alle anderen halten sich nicht an Regeln", sagte Axel Schäfer, stellvertretender SPD-Fraktionschef, im Dlf. (picture alliance / Bernd von Jutrczenka/dpa)
Die Europäischen Union diskutiert über die Ausgestaltung eines Wiederaufbauprogramms für Mitgliedsländer, die besonders hart von der Corona-Krise betroffen sind.
Bislang sind zwei Vorschläge auf dem Tisch: der Merkel-Macron-Plan und der Vorschlag der sogenannten sparsamen Vier, die Nettozahler Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark. Streitpunkt sind vor allem die Konditionen, mit denen Kredite an Mitgliedsländer vergeben werden sollen.
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Jetzt will EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen einen eigenen Finanzplan präsentieren. Grundsätzlich sollen demnach alle 27 EU-Länder die Möglichkeit haben, Gelder zu bekommen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Bisher werden Investitionen als Bedingung genannt: Ausgaben für ein besseres Gesundheitssystem, für Aus- und Weiterbildung oder für eine moderne Infrastruktur. Die Rede war bisher von 750 Milliarden Euro, die in dem Fonds stecken sollen. Davon sollen 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare Zuwendungen und 250 Milliarden Euro als Kredite fließen.
Axel Schäfer ist stellvertretender Fraktionschef der SPD im Deutschen Bundestag und zuständig für Europapolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Er sieht in dem Plan eine Möglichkeit, gemeinsam die Zukunft der EU zu planen.
Rainer Brandes: 750 Milliarden Euro, der größere Teil davon als Zuschüsse, die nicht zurückbezahlt werden müssen, finanziert über Schulden, die im Namen der EU aufgenommen werden. Manche nennen das auch Schuldenunion. Wie wird das Ihrem Parteifreund und Bundesfinanzminister Olaf Scholz gefallen, der ja eine Schuldenunion immer abgelehnt hat?
Axel Schäfer: Zum einen ist dieser Plan in seiner Substanz von Olaf Scholz und seinem französischen Amtskollegen mit entwickelt und dann von der Bundeskanzlerin und dem französischen Staatspräsidenten vor einigen Tagen bereits vorgestellt worden, und auf dieser Basis hat Frau von der Leyen jetzt ihr europäisches Gesamtkonzept heute im Europäischen Parlament präsentiert – inklusive des siebenjährigen Finanzrahmens.
Brandes: Das stimmt! Und trotzdem hatte Olaf Scholz immer gesagt, gemeinsame Schulden, sozusagen Euro-Bonds, wie sie ja auch mal hießen, die lehnt er ab.
Schäfer: Das sind keine Euro-Bonds, sondern das ist ein Geld, was vor allen Dingen in den europäischen Haushalt eingestellt wird. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. 500 Millionen im Europäischen Haushalt.
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"Wir haben eine gemeinsame Verantwortung"
Brandes: 500 Milliarden!
Schäfer: 500 Milliarden! – Ja, 500 Milliarden – andere Dimension! – Und zum anderen: Wir haben eine gemeinsame Verantwortung und wir stehen jetzt nicht dafür ein, dass Deutsche für Schulden von anderen Ländern aus der Vergangenheit aufkommen, sondern wir gestalten jetzt gemeinsam Zukunft.
Brandes: Aus der Vergangenheit nicht, aber in der Zukunft ja schon. Da haftet dann ja doch die gesamte Europäische Union, denn die Schulden werden im Namen der EU, also aller Mitgliedsstaaten aufgenommen.
Schäfer: Ja! Aber das heißt doch, wir haben gemeinsame Verantwortung, genauso wie wir wirtschaftlich profitieren, und das Land, was am meisten von diesem Euro, von dieser Gemeinschaft profitiert, ist Deutschland. Wir sind nicht der Zahlmeister, sondern wir sind der große Profiteur, und deshalb muss man das gerade in so einer Krise immer wiederholen. Wir haben ein vehementes Interesse daran, an Solidarität einerseits und nach dem Prinzip, unserem Land geht es nur dann gut, wenn es unseren Nachbarn nicht schlecht geht.
Brandes: Aber die Befürchtung der Skeptiker ist da ja immer, dass am Ende Deutschland auch haften muss für, ich sage mal, nicht so solide Wirtschaftspolitik in anderen europäischen Staaten. Sehen Sie die Gefahr jetzt nicht auf uns zukommen?
Schäfer: Nein! Ich sehe die nicht, weil die durch Griechenland schon widerlegt worden ist. Denken Sie doch mal ein paar Jahre zurück, was wir eine Kampagne hatten, um Gottes willen, was die schlimmen Griechen mit unserem armen Geld machen. Das stimmte einfach nicht! Deutschland hat das überhaupt nicht geschadet und wir haben große Absatzmärkte überall, und wir haben auch eine Verpflichtung, ein Stück von dem, was wir erbringen, auch mit anderen zu teilen, so wie das andere mit uns auch machen.
"Ich bin für eine entschiedene Entdramatisierung"
Brandes: Aber noch vor kurzem hatte zum Beispiel Italien eine Regierung, die auf europäische Vorgaben und europäischen Zusammenhalt gepfiffen hat. Jetzt sollen diese Kredite erst bis 2058 zurückgezahlt werden. Wer garantiert denn, dass sich bis dahin alle immer ordentlich an alle Vorgaben halten?
Schäfer: Zum einen: Wir haben eine andere proeuropäische Regierung jetzt in Italien, die sich auch an Regeln hält.
Brandes: Jetzt! Aber was ist in 30 Jahren?
Schäfer: Das weiß man nicht. Sie wissen das auch nicht, was in 30 Jahren ist. Ich weiß es auch nicht. Aber wenn man mal ganz genau hinguckt: An Regeln halten, zum Beispiel europäisches Recht umsetzen – Deutschland tut das in ganz vielen Dingen nicht, aus den verschiedenen Gründen: Föderalismus, Zeitverzug etc. Es ist nicht so, dass wir die Musterknaben sind und alle anderen halten sich nicht an Regeln. Das ist schon der Fall, denn wenn das nicht der Fall wäre, dass sich nicht alle anderen (sieht man jetzt mal von den Auseinandersetzungen mit Polen und Ungarn ab) an Regeln, auch an Gerichtsentscheidungen halten würden, wären wir niemals die stärkste Wirtschaftskraft der Welt geworden und vor allen Dingen hätten wir niemals jetzt 70 Jahre lang Frieden. Da hätte es ganz andere Auseinandersetzungen gegeben. Ich bin für eine entschiedene Entdramatisierung auch bei dieser Summe.
Friedrich Merz (CDU), steht zu Beginn auf einer Pressekonferenz in der Bundespressekonferenz zu einer möglichen Kandidatur für den CDU-Vorsitz.
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Der CDU-Politiker Friedrich Merz spricht sich für den von der EU-Kommission vorgelegten Plan zur Wiederaufbauhilfe nach der Coronakrise aus. Allerdings nur, wenn die damit verbundenen Voraussetzungen erfüllt würden.
Brandes: Die Niederlande haben aber schon erklärt, dass sie dem so nicht zustimmen werden, und die kündigen lange Verhandlungen an. Jetzt brauchen Länder wie Italien oder Spanien oder Frankreich das Geld aber eher gestern als morgen. Das heißt: Haben wir überhaupt so viel Zeit?
Schäfer: Das wird eine ganz spannende Frage, wieviel Zeit wir haben, aber auch da reden wir über die Fakten. Die Länder, die Bedenken haben, Niederlande, Österreich, Dänemark, Schweden, haben insgesamt weniger Wirtschaftsleistung als Italien. Zweitens: Italien ist auch Nettozahler, genauso wie diese vier Staaten. Und es ist das Problem, dass in diesen Ländern leider Innenpolitik gemacht wird, zum Teil mit europäischen Vorurteilen, aber damit müssen wir umgehen, und es wird nicht der Fall sein, dass diese vier Länder den anderen diktieren können, wie die Finanzpolitik auszusehen hat.
"Unions-Fraktion wird dem zustimmen"
Brandes: Auch aus CDU und CSU hört man ja skeptische Stimmen zu diesem Plan. Glauben Sie, dass die Bundesregierung dem so zustimmen kann?
Schäfer: Ja, die Bundesregierung kann dem so zustimmen. Aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatten wir in der letzten Legislaturperiode, als der Euro gerettet worden ist durch einen italienischen Zentralbankchef der EZB, Mario Draghi, der sagte, ich werde alles unternehmen, um den Euro zu erhalten, what ever it takes, der wurde hier auch als Falschmünzer und Ähnlichem mehr beschimpft. Heute hören Sie davon nichts mehr in der Unions-Fraktion. Die wissen auch, dass dieses europäische Finanzsystem funktioniert hat, und ich glaube, nachdem sowohl die Bundeskanzlerin als auch der französische Staatspräsident sich auf einen Vorschlag verständigt und jetzt eine christdemokratische Kommissionspräsidentin, aus Deutschland kommend, so einen Vorschlag macht, dass auch die Unions-Fraktion, auch wenn einige da murren, dem zustimmen werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.