Schon kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine entschied sich die Europäische Union dazu, das Land nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich zu unterstützen, und hob die Zölle auf Agrarprodukte aus der Ukraine auf - Maßnahmen der EU zur Handelserleichterung, die es so noch nie gegeben hat, wie der für Handel zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis versicherte.
Nun sollen Zölle auf bestimmte landwirtschaftliche Produkte jedoch wieder eingeführt werden. Darauf haben sich Unterhändler der EU-Staaten und des EU-Parlaments noch vor Beginn des Gipfels geeinigt.
Die neuen Regeln sollen ab Juni für ein halbes Jahr gelten. Zuvor müssen sie noch vom EU-Parlament und den Mitgliedern abgesegnet werden. Die EU will damit sowohl die heimische Landwirtschaft schützen als auch die Ukraine weiterhin unterstützen.
Inhaltsverzeichnis
- Warum protestieren EU-Bauern gegen die ukrainischen Importe?
- Welche Import-Erleichterungen gelten für die Ukraine?
- Wie reagieren Bauernverbände und Politik auf die neuen Regeln?
- Was beuteten die neuen EU-Zölle für die Solidarität mit der Ukraine?
- Welche Sanktionen plant die EU gegen russische Agrarprodukte?
Warum protestieren EU-Bauern gegen die ukrainischen Importe?
Seit Monaten dauern die Proteste von Landwirten in Polen und anderen osteuropäischen Ländern schon an. Die Bauern wollen verhindern, dass billigeres ukrainisches Getreide auf ihren heimischen Märkten verkauft wird.
Hintergrund der Situation ist, dass Russland das Getreideabkommen mit der Ukraine am 17. Juli 2023 aufgekündigt hat. Seitdem kann die Ukraine ihre Waren nicht mehr im gleichen Umfang wie zuvor über den Seeweg ausführen, sondern ist gezwungen, alternative Exportrouten zu nehmen, etwa auf dem Landweg über Polen und Ungarn. Die Ukraine gehört mit Russland zu den größten Getreideexporteuren der Welt und ist auf die Einnahmen angewiesen.
Die Waren sollten eigentlich unversiegelt nach Nordafrika, Ägypten und in den Nahen Osten weitergeleitet werden. Stattdessen bleiben sie etwa in Polen hängen und werden auf den heimischen Märkten zu Billigpreisen abgesetzt. Die polnische EU-Politikerin Róża Thun sieht die Schuld dafür auch bei der polnischen Vorgänger-Regierung – diese habe die Exporte schlecht organisiert, sagte sie im Deutschlandfunk.
Die hohe Inflation in Polen, sie lag noch vor einem Jahr bei 18 Prozent, die sich besonders auch bei Lebensmitteln niederschlägt, verschärft die Lage für die heimischen Produzenten.
Zuletzt hat sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf die Seite von Polen und anderen osteuropäischen Staaten gestellt. Macron fürchtet laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" einen massiven Rechtsruck bei den Europawahlen. Denn auch in seinem Land kritisierten Bauernverbände den Preisverfall sowie explodierende Kosten. Sie würden seit Monaten unter erheblichen Marktverzerrungen leiden, die durch den Zustrom von ukrainischem Getreide in die EU verursacht worden seien, teilten die französischen Agrarverbände AGPB und AGPM Mitte Februar 2024 mit.
Schaden die Import-Erleichterungen für die Ukraine den Bauern in der EU? Der Agrarökonom Sebastian Lakner sieht das differenziert. Zwar steige die Konkurrenz bei vielen Produkten. Die Tierhalter würden aber beispielsweise von der Situation profitieren. Denn sie benötigen Getreide als Tierfutter. Das ließe sich nun aufgrund der ukrainischen Importe sehr viel günstiger einkaufen. Daher könne man nicht pauschal sagen, dass die Auswirkungen auf den Agrarsektor nur negativ seien.
Welche Import-Erleichterungen gelten für die Ukraine?
Auf Eier, Geflügel, Zucker, Mais, Hafer, Grütze, Honig sollen künftig wieder Zölle erhoben werden, wenn die Mengen ein bestimmtes Kontingent überschreiten – bis zu dieser Grenze dürfen sie weiterhin zollfrei in die EU verkauft werden. Als Referenz für die Kontingent-Obergrenzen sollen die durchschnittlichen Importmengen der Jahre 2022 und 2023 herangezogen werden. Für die Ukraine ist das eine gute Nachricht – denn die Einfuhrmengen sind dadurch recht großzügig bemessen. Hätte man sich an den Vorjahren bis einschließlich 2021 orientiert, wären sie sehr viel niedriger.
Weizen ist von den Beschränkungen bislang ausgenommen. Die EU-Kommission behält sich vor, innerhalb von 14 Tagen einzugreifen, sollte es zu einem starken Preisanstieg kommen.
Nach Angaben des Vorsitzenden des Handelsausschusses des EU-Parlaments, Bernd Lange, wurden der Ukraine bislang rund 2,1 Milliarden Euro an Zöllen pro Jahr erlassen, nun könnten es rund 500 Millionen weniger werden. Das Parlament garantiere der Ukraine trotzdem einen umfassenden zollfreien Zugang für ein weiteres Jahr.
Wie reagieren Bauernverbände und Politik auf die neuen Regeln?
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal begrüßte die Einigung. Ukrainische Produzenten würden dadurch unterstützt und das Land könne sein Exportniveau aufrechterhalten, sagte er während eines Besuchs bei der EU in Brüssel.
Polnische Bauern, die auch nach der Einigung am 21. März noch Grenzübergänge nach Deutschland blockierten, zeigten sich weiterhin unzufrieden. Sie verlangten Quoten, die auf Zahlen aus der Zeit vor dem Krieg in der Ukraine beruhen, als die Importe wesentlich geringer waren.
Aus Deutschland gab es bislang keine große Kritik an den Handelserleichterungen für die Ukraine. Allerdings kritisierte der Vorsitzende des Deutschen Bauernverbandes, dass Weizen von den Zöllen ausgenommen wird.
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Daniel Caspary, zeigte sich mit dem gefundenen Kompromiss zufrieden. Auch der handelspolitische Sprecher der Linken im Europaparlament, Helmut Scholz, sprach von einem „gelungenen Drahtseilakt“.
Was beuteten die neuen EU-Zölle für die Solidarität mit der Ukraine?
Im politischen Brüssel wird der Kompromiss als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine gesehen. Das betonte etwa Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments. "Das ist ein gutes Ergebnis der Solidarität und der wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine."
Polnische Bauern stellen allerdings klar: Wir waren seit dem ersten Tag des Kriegs mit den Ukrainern solidarisch. Aber Solidarität endet, sobald unsere eigene Existenz bedroht ist.
Welche Zölle plant die EU gegen russische Agrarprodukte?
Das Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine sollte die Versorgung des Weltmarkts mit Weizen sicherstellen und die Preise stabilisieren. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine waren die Weltmarktpreise für Getreide explodiert. Es wurde befürchtet, dass gerade in Entwicklungsländern Getreide knapp und zu teuer werden könnte.
Der größte Anteil des per Schiff exportierten Getreides aus der Ukraine ging allerdings nach China sowie in die EU-Länder Spanien, Italien und Niederlande und die Türkei. Die Entwicklungsländer bezogen davon nur wenig, waren also weniger stark betroffen.
Die EU-Kommission erwägt nun - auch als Kompensation für die Ukraine - erstmals Zölle auf Agrarprodukte und Dünger aus Russland. Die Rede ist von 95 Euro Strafzoll pro Tonne auf russisches Getreide. Das ist nicht wenig bei einem Weltmarktpreis, der derzeit unter 200 Euro pro Tonne gesunken ist. Sie sollen aber nur für Produkte gelten, die in der EU verbleiben. Russische Exporte in andere Weltregionen sollen durch sie nicht teurer werden, damit vor allem Menschen in Entwicklungsländern wegen der EU-Maßnahmen keinen zusätzlichen Hunger leiden müssen.
Die Importe russischen Getreides und russischer Ölsaaten in die EU fallen zwar deutlich geringer aus als die aus der Ukraine, unbedeutend sind sie mit vier Millionen Tonnen im Jahr 2023 aber nicht.
EU-Agrarkonzerne profitierten von zollfreien Produkten aus Russland
Trotz des Angriffskriegs waren Agrarprodukte und Dünger bisher nie Gegenstand der EU-Sanktionsliste gegenüber Russland. Zum einen wegen der Sorge, dass weiteres Durcheinander auf den Weltmärkten für Getreide die Ernährungssicherheit in ärmeren Ländern gefährden könnte. Zum anderen, weil russischer Dünger eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die großen Agrarkonzerne der EU auf den Weltmärkten für Getreide, Milch- und Fleischprodukte führend mitmischen können.
tha