Archiv


EU-Zuckermarktordnung im Kreuzfeuer der Kritik

Deutschlandweit verdienen Zuckerhändler, 27 Zuckerfabriken und rund 50.000 Bauern mit dem Anbau, der Verarbeitung und dem Verkauf von Zuckerrüben gutes Geld. Denn in der Europäischen Union ist der Zuckerpreis dreimal so hoch wie auf dem Weltmarkt. Viele kleine und mittelständische Landwirte nutzen die Rübengewinne, um Verluste bei anderen Erzeugnissen auszugleichen, weiß Wilhelm Lieven, Präsident der Landwirtschaftskammer Rheinland:

Von Jule Reimer |
    Es sind ja kleine Anbauer, wenn man die Anbauer mit Durchschnittsbetrieben von 30 bis 70 Hektar nimmt, da haben die im Durchschnitt 10 bis 15 Hektar Zuckerrüben.

    Damit der teure EU-Zucker international konkurrenzfähig ist, greift Brüssel den hiesigen Exporteuren mit so genannten Exporterstattungen unter die Arme. Diese Ausfuhrbeihilfen betragen in der Regel etwa das Doppelte des Weltmarktpreises. Das brachte der Zuckerwirtschaft scharfe Kritik des Europäischen Rechnungshofes ein. Der verdächtigt die Branche der Klüngelwirtschaft. Da der Zuckerhandel von einer sehr geringen Anzahl von Großunternehmen beherrscht werde, bestehe die Gefahr, dass sich diese durch Preisabsprachen überhöhte Exportbeihilfen sicherten.

    Auch Entwicklungsexperten wie Alicia Kolmans vom katholischen Hilfswerk Misereor kritisieren die Europäische Zuckermarktordnung, wenn auch aus anderen Gründen:

    Wir sehen als wichtigstes Problem das Preisdumping. Der EU-Zucker wird zu Preisen unterhalb der Produktionskosten exportiert, das führt dazu, dass in den Entwicklungsländern die Märkte kaputtgemacht werden.

    Dagegen hat die deutsche Zuckerbranche ihren Hauptkonkurrenten Brasilien als Schuldigen für den niedrigen Weltmarktpreis ausgemacht. Dieter Langendorf, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Wirtschaftliche Vereinigung Zucker betont, dass dort Rohrzucker in großflächiger Plantagenwirtschaft angebaut werde und:

    Brasilien hat von mehreren Entwicklungen profitiert. Zum einen war das das Alkohol-, das Pro-Äthanol-Programm der brasilianischen Regierung, dort sind in den letzten Jahren vier Milliarden Dollar in die Zucker-Industrie geflossen zur Förderung der Äthanol-Produktion, die aber auch der Zuckerproduktion zugute gekommen sind. Zum anderen hat Brasilien mit dem Real eine ausgesprochen schwache Währung und die permanente Abwertung des Real hat es den Brasilianern ermöglicht, mit dem niedrigeren Weltmarktpreis zurecht zu kommen.

    Die EU-Kommission rechnet vor, dass Brasilien seine Zuckerexporte in den letzten Jahren um ein Mehrfaches gesteigert und so den Weltmarktpreis gedrückt habe. Auch sei die EU-Zuckermarktordnung keinesfalls schädlich für Entwicklungsländer: Immerhin dürften die ehemaligen europäischen Kolonien - die sogenannten AKP-Staaten - ihren Zucker in die EU importieren - zu den hohen hiesigen Preisen. Ein Argument, das Alicia Kolmans von Misereor nicht überzeugt: "Dazu muss man wissen, dass nur 17 AKP-Staaten tatsächlich von dieser Regelung profitieren und davon geht das meiste, über 50 Prozent, an vier dieser Länder." Klar ist, dass die Europäische Union zumindest an einer Kürzung der Exportbeihilfen bei der nächsten Welthandelskonferenz im September im mexikanischen Cancun nicht vorbeikommt. Landwirtschaftskammerpräsident Wilhelm Lieven stellt aber Bedingungen:

    Wenn wir was bei uns abknapsen, was uns, den Franzosen, den Holländern, den Dänen und so weiter weh tut, dann muss aber auch die Garantie erbracht werden, dass es woanders auch hilft.

    Alicia Kolmans, der Agrarexpertin von Misereor, ist das Schicksal der hiesigen Bauern nicht gleichgültig. Aber sie warnt davor, die Konkurrenzfähigkeit von Brasilien oder Thailand zu überhöhen:

    Es darf nicht der Tiger mit dem Hasen konkurrieren. Die EU schützt ihren Markt mit einem Importzoll von 190 Prozent und sie zahlt dazu noch die Exportsubventionen. In den Entwicklungsländern sind die Zölle sehr niedrig, und wegen der WTO-Abkommen und auch wegen des Drucks von Weltbank und IWF werden sie tief gehalten. Diese Messung mit zweierlei Maß, das darf nicht sein.

    Wenn die Exportsubventionen abgeschafft würden, müsse den Bauern jedoch eine neue Perspektive geboten werden, meint Thomas Griese, Staatssekretär unter Bärbel Höhn im nordrhein-westfälischen Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft:

    Diese Alternative besteht aus meiner Sicht darin, dass die Zuckerrübenindustrie in Zukunft vermehrt Äthanol produziert, Äthanol als Ersatz für Benzin, und damit einen umweltfreundlichen Treibstoff produziert, den man in dem herkömmlichen Benzin-PKW fahren kann und ein Liter Äthanol hat den selben Energiewert wie ein Liter Benzin:

    Dabei schlägt der Staatssekretär einen Beimischungszwang nach Vorbild der Einspeisevergütung für Strom aus Sonnen- und Windkraft vor. Sprich: er will die Mineralölkonzerne verpflichten, das herkömmliche Benzin mit dem Biotreibstoff aus Zuckerrüben zu versetzen.