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Eugen Helmlé und Georges Perec
Ein Briefwechsel als literaturgeschichtliches Ereignis

Zu den großen Ausnahmeerscheinungen der grenzüberschreitenden deutsch-französischen Literaturproduktion gehören der Pariser Autor Georges Perec und sein kongenialer Übersetzer Eugen Helmlé. Ihren arbeitsintensiven Briefwechsel zwischen 1966 und 1982 hat Ralph Schock ausgegraben und unter dem Titel "Cher Georges" - "Cher Eugen" herausgegeben.

Von Christoph Vormweg |
    Der französische Schriftsteller Georges Perec (1936-1982)
    Der französische Schriftsteller Georges Perec (1936-1982) (AFP)
    Nicht jeder Schriftsteller will seinen Übersetzer kennenlernen. Denn der Kontakt kann harte Mitarbeit nach sich ziehen: einen endlosen Fragenkatalog zur Klärung von Wortbedeutungen, verdeckten Anspielungen oder Neologismen. Mehr noch: der Schriftsteller muss sich noch einmal auf einen Text einlassen, den er vor Jahren geschrieben hat, der längst verkauft und abgehakt ist. Vielleicht deshalb der überfreundliche, passagenweise demütige Ton des ersten Briefs vom 13. Februar 1966, den der damals 38-jährige Übersetzer Eugen Helmlé an Georges Perec nach Paris schickte. Für seinen ersten Roman "Die Dinge" war der 29-Jährige gleich mit dem renommierten "Prix Renaudot" ausgezeichnet worden. Im Fokus standen die Sehnsuchtsobjekte der aufkommenden Konsumgesellschaft, die Georges Perecs Protagonisten in ihren Bann ziehen und so das Alltagsverhalten verändern. Glück für Eugen Helmlé, dass er hier auf einen Autor traf, der so sprachbesessen war wie er selbst, der nichts im Unklaren lassen wollte. So fand sich im ersten Brief die scheinbar harmlose Frage:
    "Aus welchem Buch stammt das Zitat von Karl Marx am Ende des Textes?"
    Helmlé wollte den originalen deutschen Wortlaut ermitteln, aber dafür nicht die ganze Marx-Engels-Gesamtausgabe durchforsten. Für Perec jedoch entpuppte sich die Suche nach dem Ursprung des Zitats als äußerst langwierig.
    "Der Satz von Marx scheint, nach umfangreicher Recherche, gar nicht von Marx zu sein. Ich habe ihn bei Eisenstein gelesen, der ihn Marx zuschreibt. [ ... ] Verschiedene Fachleute glauben, dass er von Hegel oder Plechanow stammt, wenn nicht von Eisenstein selbst, der keine Quelle angibt. Vielleicht ist die deutsche Ausgabe von Eisenstein eindeutiger? "
    Helmlé dürfte zur Klärung der Frage eigens eine Bibliothek aufgesucht haben, vielleicht sogar die deutsche Ausgabe des sowjetischen Film-Regisseurs über Fernleihe bestellt haben. Das gehört zum zeitfressenden Alltag des Übersetzens. Doch der eigentliche Hammer folgt am Schluss von Perecs doppelt so langem Antwortbrief:
    "Darüber hinaus würde mich interessieren, ob Ihnen die 20 bis 30 Zitate aus der Éducation sentimentale aufgefallen sind, und ob Sie sie berücksichtigt haben. Ansonsten, glaube ich, müssten Sie eine gute deutsche Übersetzung von Flaubert zur Hand nehmen, und ich werde Ihnen die (noch nicht vorbereitete) Liste der Zitate geben. Herzliche Grüße und bis bald, Georges Perec "
    In der Tat: Eugen Helmlé waren die eingeschmuggelten, nur für Flaubert-Liebhaber erkennbaren Zitate nicht aufgefallen. Seine Kontaktaufnahme mit dem intertextuellen Versteckspieler aus Paris verhinderte so nicht nur ein paar kleinere Übersetzungsfehler, sondern einen mittleren Übersetzungsgau. Denn aus dem Zusammenhang gerissene Zitate zu übersetzen, ohne sich dessen bewusst zu sein, kann nicht gut gehen – zumal wenn sie aus der Feder eines Stilisten wie Gustave Flaubert stammten.
    "Nie wieder!" hätte sich der Übersetzer aus dem saarländischen Sulzbach sagen können. Doch gerade das Komplexe, das Ungewöhnliche, auch Verspielte an Georges Perecs Texten faszinierte ihn. Nach ihrer ersten persönlichen Begegnung in Paris, sechs Wochen nach dem ersten Brief, begeisterte sich Helmlé auch für das nächste Buch: ein schmales Bändchen mit dem skurril anmutenden Titel "Was für ein kleines Moped mit verchromter Lenkstange steht dort im Hof?" Perec beschrieb darin die grotesken Bemühungen einer Handvoll Freunde, die einem französischen Soldaten die Teilnahme am Algerienkrieg ersparen wollten. Sogleich machte sich Helmlé an die Probe-Übersetzung einiger Auszüge, um sie deutschen Verlegern zu präsentieren. Und er schlug ein erstes Arbeitstreffen bei sich zu Hause vor, um das mühsame Frage-und-Antwort-Spiel per Brief zu umgehen. Denn einen Telefon-Anschluss hatte Perec in seiner Wohnung im fünften Pariser Arrondissement noch nicht.
    Die Aussagekraft des Nicht-Gesagten
    "Das Datum, das Sie für Ihre Reise ins Saarland vorgeschlagen haben, passt mir sehr gut. Zu diesem Zeitpunkt werde ich bereits eine zweite Fassung [ ... ] erarbeitet haben, so dass wir uns direkt in die Arbeit stürzen können. Der Limes Verlag ist nach wie vor interessiert, nur haben die Kerle noch immer keine Entscheidung getroffen. Aber egal, ich werde die Übersetzung auf jeden Fall machen, denn es ist die Aufgabe an sich, die mich interessiert. Es macht nichts, wenn sie eine Zeit lang in der Schublade bleibt."
    Spannend am Briefwechsel "Cher Georges" - "Cher Eugen" sind nicht nur die beschriebenen Arbeitsprozesse, sondern auch das Nicht-Gesagte. So ist die jüdische Herkunft Perecs nirgends ein Thema – übrigens auch nicht während der gemeinsamen Lesung im Februar 1969 in Saarbrücken, die auf der beiliegenden CD des Saarländischen Rundfunks dokumentiert ist. Bei der Vorstellung beschränkte sich Helmlé damals auf das Datum von Perecs Geburt am 7. März 1936 in Paris als Sohn polnischer Einwanderer.
    Das Trauma des Heranwachsenden aber blieb unerwähnt. Denn schon mit vier Jahren hatte Perec seinen Vater im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht verloren, mit sechs dann seine Mutter, die während der deutschen Besetzung Frankreichs von den Nazis deportiert und wahrscheinlich im Konzentrationslager Auschwitz ermordet worden war. Warum aber dieses Ausblenden? Wollte es der in persönlichen Dingen äußerst zurückhaltende Perec selbst so? In seinem aufschlussreichen, viele Perspektiven anreißenden Nachwort verweist Herausgeber Ralph Schock auf ein Interview mit Perecs Cousine Ela Bienenfeld. Aus ihm lässt sich erahnen, wie groß Perecs Misstrauen gegenüber seinem deutschen Übersetzer anfangs gewesen sein muss, wie schwer ihm die erste Reise ins Land der Judenvernichter fiel.
    In der Korrespondenz selbst gibt es nur kleine, aber vielsagende Momente der Irritation. So erzählt Helmlé, dass ein Herr Heller, Cheflektor des Stahlberg Verlags, Interesse an einer Publikation seines "kleinen Mopeds" habe. Ein paar Briefe später tituliert ihn Perec als Leutnant. Denn er weiß, dass Gerhard Heller von 1940 bis '44 im besetzten Paris in der deutschen Propagandastaffel als Sonderführer aktiv war: zuständig unter anderem für die literarische Zensur. Oder Perec schreibt im Brief vom 29. Juni 1967 in der Adresse "Deutschland" - Schrägstrich - "über alles". Ralph Schock gibt in seinem Anmerkungsapparat zwei mögliche Deutungen: Entweder handelte es sich bei dem Adresszusatz um eine – so wörtlich - "bitter-ironische Anspielung auf seine Familiengeschichte". Oder aber Perec zitierte eine Passage aus seinem in Arbeit befindlichen Hörspiel "Die Maschine". Denn die Maschine sagt "Deutschland über alles" und korrigiert sich daraufhin.
    Die Idee wäre ein Monolog mit mehreren Stimmen, vorzugsweise stereophon. Was spricht (und nicht etwa derjenige oder diejenigen, die sprechen), sind die Ausgänge und Schaltstellen einer riesigen elektronischen Maschine (Computer, IBM, ordinateur). Diese Maschine (la machine) löst alle Probleme: Man füttert sie mit Elementen, die sie liest und analysiert. Sie gibt Antwort, sie verfügt über Speicher, eine Sprache, eine Syntax.
    Diese Briefpassage Perecs war der Startschuss für die langwierige Entwicklung eines der wichtigsten und erfolgreichsten experimentellen Hörspiele in der westdeutschen Radiolandschaft: die Erkundung des Innenlebens eines denkenden und sprechenden Computers. Zum großen Vermittler wurde Helmlé. Gegenüber den Hörspiel-Redakteuren trat er wie ein – allerdings unbezahlter - Agent Perecs auf. Sein einziger Lohn war die Übersetzung des "Ohrspiels", wie es der Franzose ironisch nannte. Gleichzeitig brachte Helmlé in seinen Briefen immer wieder Ordnung in Perecs sprunghafte, zuweilen chaotisch anmutende Produktivität: mit konkreten Vorschlägen in Sachen Plot, Sprachgestus oder Sprecheraufteilung.
    "Harig findet, dass Ihr Stück ein typisches Beispiel für das Neue Hörspiel ist. Und er ist ein bisschen eifersüchtig: Er hätte Thema und Beispiel gerne selbst erfunden. Kamps war völlig baff und das am ersten Arbeitstag nach den Ferien! Er hat mich gebeten, ihm das Manuskript zu überlassen, um damit die Wand seines Büros zu schmücken.Hostnig fand es verrückt, aber großartig und wie geschaffen, sein Prestige zu vergrößern. Kommen wir zu den Ratschlägen und Einwänden..."
    ... die dann mehr als zwei Briefseiten füllten. Über Monate ging es so hin und her – als Zäsur ein dreitägiges Arbeitstreffen in Saarbrücken. Die Erfolgsmeldung kam dann Ende 1967 auf Helmlés Weihnachtskarte. Auch hier zeigte sich, wie das Übersetzen von Perec-Texten den normalen Rahmen sprengte.
    "Die Maschine ist übersetzt. Es war eine langwierige und monotone Arbeit, aber ich glaube, es ist sehr gelungen. Ich habe ein halbes Dutzend Elemente hinzugefügt, zum Beispiel das Paragramm etc. Dann habe ich eine kleine Umfrage gemacht. Zwei Tage Recherche haben mir zwei Seiten wertvoller Ratschläge eingebracht. Nachdem ich die Computerexperten befragt und Fachliteratur konsultiert hatte, habe ich den Ausdruck "digitale Röhren leeren" gestrichen. [Denn] Sind die Röhren einmal geleert, kann die Maschine keine Fehler mehr machen."
    Beim Verfassen des Hörspiels "Die Maschine" war Eugen Helmlé praktisch Co-Autor. Denn das Ziel war eine deutsche Fassung. Deshalb spielte auch das systematisch dekonstruierte Goethe-Gedicht "Wandrers Nachtlied" eine so zentrale Rolle. Wie hoch Georges Perec die Arbeit seines Übersetzers einstufte, hatte er schon Monate zuvor in einem Brief geäußert.
    "Natürlich gebe ich Ihnen mein Einverständnis für eine Lesung des kleinen Mopeds im Radio. Ich denke sogar, dass wir mit gutem Recht halbe-halbe machen sollten, denn Sie sind für dieses Buch sehr viel mehr als nur ein Übersetzer."
    "Sehr viel mehr als nur ein Übersetzer": Warum dieses euphorische Lob? Das lag daran, dass Perec mittlerweile in die legendäre Pariser Autoren-Gruppe Oulipo aufgenommen worden war, den "Ouvroir de littérature potentielle", zu deutsch: die Werkstatt für potenzielle Literatur. Helmlé betrat hier allerdings kein Neuland. Er hatte bereits Werke des Gründungsmitglieds Raymond Queneau ins Deutsche übertragen und kannte die Probleme, mit denen sich Oulipo-Übersetzer konfrontiert sahen. Die Autoren dieser internationalen Gruppierung operieren bis heute mit einer sogenannten "contrainte". Das ist ein selbstauferlegter, oft mathematischer Formzwang, der durch Strukturvorgaben oder Verbote die sprachlichen Möglichkeiten eines Textes erweitert. Diesem Formzwang müssen auch die Übersetzer in ihrer jeweiligen Sprache gehorchen. Gefordert war und ist also ein "mehr" an Kreativität. Zum Gipfel der Herausforderung wurde für Helmlé Perecs Roman "La disparition", in dem der Vokal "e" nicht vorkommt. Der wörtlich übersetzte deutsche Titel "Das Verschwinden" kam deshalb - wegen der beiden "e"s - nicht in Frage. Also entschied man sich für "Anton Voyls Fortgang". Während der gemeinsamen Lesung 1969 erklärte Helmlé dem deutschen Publikum:
    "Bei der Übersetzung kann es sich natürlich nur um eine Annäherung an das Original handeln, da weniger die Handlung als der Zwang, einen bestimmten Buchstaben auszulassen, für die Realisierung des Textes entscheidend ist."
    Der Oulipo-Autor – so definierte es Perec – ist eine Ratte, die versucht, aus ihrem selbst gebauten Labyrinth wieder herauszukommen. Oulipo-Texte sind folglich stark verspielt. Und das führt nicht selten zu witzigen, ironisch wirkenden Effekten, die staunendes Gelächter hervorrufen – wie man noch heute bei den öffentlichen Oulipo-Lesungen in der Pariser Nationalbibliothek beobachten kann. Wichtig war und ist aber, dass der selbst auferlegte Formzwang die Hörer und Leser nicht stört - weshalb er von manchen Oulipo -Autoren gegenüber dem Publikum bewusst geheim gehalten wird. Autor und Übersetzer jedoch sind in jedem Fall zu einer Zwangsheirat verurteilt. Bei Perec und Helmlé, die sich erst nach vier Jahren duzten, wurde daraus ein verschworenes Paar. Das dokumentiert der Briefband "Cher Georges" - "Cher Eugen" mehr als einmal.
    Große Leistung der Brief-Übersetzerinnen
    Zu den unfreiwillig komischen Episoden gehörte die Wahl von Perecs Hörspiel "Tagstimmen" für die Endausscheidung des Prix Italia und ihre Folgen. Der damalige Hörspiel-Chef des Saarländischen Rundfunks, Werner Klippert, tat alles, um zu gewinnen. Doch das Regelwerk des Prix Italia verlangte, dass das von Perec und Helmlé auf Deutsch konzipierte Hörspiel mit einer englischen und einer französischen Übersetzung eingereicht wurde. Wieder einmal war Helmlé als Vermittler zwischen Saarbrücken und Paris gefordert.
    "Lieber Georges, Klippert hat mir vorhin ein bisschen die Ohren vollgeheult. [ ... ] Er findet es vollkommen normal, dass ein französischer Autor sein Stück in seiner eigenen französischen Version präsentiert. Bloß – er wollte, dass Du ein französisches Stück schreibst, das sich vollkommen von dem deutschen Stück unterscheidet, also ausgehend von französischen Sprichwörtern, Abzählreimen, französischen Redewendungen etc. Nur: abgesehen davon, dass Dir das mehr Arbeit machen wird, fürchte ich, dass dann die musikalische Partitur nicht mehr passt, da Drogoz seine Komposition auf deutschen Phonemen aufgebaut hat, auf einem deutschen Text, der auf deutsch gelesen wird, mit Intonationen, Flexionen etc., die dieser Sprache eigen sind etc."
    In jedem Fall: Bei so viel Sprachspielerei und Andeutungsfuror im hochkomplexen Kontext der Werkstatt für potenzielle Literatur kann man die Leistung der beiden Brief-Übersetzerinnen Élise Clément und Tilla Fuchs nicht hoch genug loben. Wie genau sie diesen Kontext erforscht haben, zeigt ihr Essay "Vom Stöbern in deutsch-französischen Gedanken", der den Briefband abschließt. Das Verhältnis von Autor Perec und Übersetzer Helmlé, die übrigens beide auf Rechts gedrehte Linkshänder waren, wird hier auf den treffenden Nenner einer "literarischen Komplizenschaft" gebracht. Denn Privates spielte in den Briefen kaum eine Rolle. Perec klagte zuweilen über Geld- und Inspirationskrisen, Helmlé über Gesundheitsprobleme und chronische Überarbeitung. Aber mehr vertrauten sie sich – zumindest schriftlich - nicht an. Und natürlich schrieben sich die beiden weniger, sobald Perec ab Mitte der 1970er-Jahre über ein eigenes Telefon verfügte. Doch im Zweifelsfall musste die Post wieder herhalten – so Ende 1980, als Helmlé gerade Perecs Opus Magnum zu Ende übersetzte: den Roman "Das Leben. Gebrauchsanweisung".
    "Lieber Georges,
    in aller Schnelle noch folgende Fragen. (Ich wollte Dich am letzten Wochenende in Paris besuchen, aber Du warst nicht da)
    Seite 378: Wachenheimer Obernest? Gibt´s den? Außerdem ist der Wachenheimer kein Rheinwein, sondern ein Pfälzer Wein. Na was ist, korrigieren wir?"
    "Lieber Eugen,
    Wachenheimer Obernest: das ist ein Zitat von Mathews; bitte korrigiere im Inhaltsverzeichnis, wenn es ein Pfälzer Wein ist und keiner vom Rhein."
    "S. 397: y accordent leur tourment baroque? Was bedeutet das?"
    "Das bedeutet, dass die verzerrten (und barocken) Formen einiger Objekte, die Madame Marcia neben den Möbelstücken des ungarischen Nietzsche-Schülers aufgestellt hat, sehr gut zu ebenjenen Möbelstücken passen."
    "S. 516: Lion´s: der berühmte Club?"
    "Nein, lions war ein Modeausdruck aus der Romantik, er bezeichnete Dandys, sehr elegante Menschen, die auf großem Fuß lebten."
    "Wir haben endlich einen Lektor für das Buch gefunden. Es ist Gerhard Heller, der ehemalige Lektor des Stahlberg Verlags. [ ... ] Ich hoffe, dass ich bis Ende der Woche fertig werde. Welche Erleichterung! Es hat mich fast ein Jahr gekostet. Ich erwarte Deine Antwort.
    Liebe Grüße, auch von Margrit,
    Eugen"
    "Meinen Glückwunsch zu dieser Übersetzung, die sicherlich kein Zuckerschlecken war.
    Kuss,
    Georges"
    Am 3. März 1982 starb der Kettenraucher Georges Perec an Lungenkrebs. Für Eugen Helmlé ein tiefer Einschnitt. Zur Trauer kam Enttäuschung. Denn die Autorengruppe Oulipo in Paris nahm ihn für seine wortschöpferischen, kongenialen Perec-Übersetzungen nicht in ihren Kreis auf. Dabei hatte Helmlé für die deutsche Fassung des e-losen Romans "La disparition" sogar die e-Taste seiner Schreibmaschine mit einer Reißzwecke versehen – um ja keine Fehler zu machen.
    "Cher Georges" - "Cher Eugen": es ist der so verbindliche, freundschaftliche, manchmal auch humorvolle, ironische Tonfall, der diesen Briefwechsel zu einem literarhistorischen Ereignis macht. Mit jeder Zeile demonstrierten Georges Perec und Eugen Helmlé, was Leidenschaft für das Wort bedeutet – selbst dann, wenn sie über die Zahlungsmoral ihrer Auftrageber zeterten: Helmlé über die "Krämerseelen" der Verleger, Perec über die "Drecksfinanciers" der Rundfunkanstalten, die ihn noch Monate nach Abgabe eines Hörspiel-Manuskripts mit auszufüllenden Formularen drangsalierten. Die Literatur war für beide der Schutzraum, der das Dasein intensiv, also erträglich macht – gerade für Georges Perec, dem die Nazis als Kind alles genommen hatten. Als Oulipo-Autor lebte er ein Paradoxon. Denn für ihn produzierte der selbst auferlegte Formzwang eine Art Freiheit. Nicht die Geschichte, die ihm so übel mitgespielt hatte, setzte in seinen Texten die Regeln, sondern er selbst.
    Ralph Schock (Herausgeber): "Cher Georges" - "Cher Eugen"
    Die Korrespondenz zwischen Eugen Helmlé und Georges Perec. 1966-1982.
    Übersetzt von Élise Clément und Tilla Fuchs.
    Conte Verlag, Sankt Ingbert 2015. 19,90 Euro