"Früher hatten CAS-Entscheidungen Rechtskraft für sich, jetzt können sie vor jedem Gericht eines Mitgliedstaats angefochten werden, und das Gericht muss vollständig prüfen. Im Grunde genommen sind sie damit keine rechtskräftige Entscheidung mehr", kommentiert der Anwalt Mark E. Orth den Antrag der Generalanwältin Tamara Ćapeta vor dem Europäischen Gerichtshof.
Kern des Antrags ist, ob ein Schiedsspruch mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz vereinbar ist, der von einem Gericht außerhalb der Europäischen Union überprüft wird. Und das auch nicht dem Europäischen Gerichtshof vorlegen kann.
Alle in Verbänden betroffen
Damit stelle sie die Wirkung von Entscheidungen des Internationalen Sportgerichtshofes CAS maßgeblich in Frage. Für den Sport hat das gravierende Auswirkungen. Früher konnte beispielsweise der Fußball-Weltverband seine Rechtsauffassung über das CAS durchsetzen und dann mit seinem autonomen Regelwerk erzwingen.
Orth sagt: "Das ist jetzt nicht mehr möglich. Die Athleten können die Einhaltung europäischen Rechts vollständig überprüfen lassen und das eben auch vor einem Gericht eines Mitgliedstaats."
Das gilt nicht nur für die Athleten, sondern für alle, die einem Verband unterworfen sind. Im konkreten Fall handelte es sich um die Klage des RFC Seraing gegen die FIFA. Der belgische Klub hat die Transferrechte an einigen Spielern an die maltesische Investmentfirma Doyen verkauft. Dies verstieß gegen das FIFA-Regelwerk, der Weltverband verhängte eine Transfersperre und eine Geldstrafe.
Dagegen klagte Seraing vor dem CAS und unterlag. Auch die Berufung vor dem Schweizer Bundesgericht verlor Seraing. Damit war der CAS-Schiedsspruch rechtlich bindend, ein belgisches Handelsgericht nahm die Klage aus diesem Grund nicht an. Seraing klagte dagegen durch alle Instanzen, ein belgisches Revisionsgericht legte im September 2023 die Klage dem EuGH vor.
Sportrechtsexperte Orth: Kein Rechtsschutz durch den CAS
Für den Sportrechtsexperten Orth ist der Antrag der Generalanwältin folgenreich: "Es geht um effektiven Rechtsschutz, den die Europäische Union garantiert, und der ist eben nicht gewährleistet bei dem CAS-Verfahren. Das CAS-Verfahren ist zum einen zwingend. Man muss sich dem CAS-Verfahren unterwerfen und kann nicht vor ein ordentliches Gericht gehen."
Auch eine weitere Überprüfung des CAS-Entscheidungen sei nicht gewährleistet. Denn die Sportverbände mit ihren autonomen Vollstreckungsmechanismen können sie durchsetzen, ohne dass sie von juristischer Seite noch einmal überprüft werden können.
Sollte das EuGH aber dem Antrag von Generalanwältin Tamara Ćapeta folgen, wäre das ein Präzedenzfall. Die Entscheidung wird in etwa sechs Monaten gefällt.