EM 2024
Entscheidet Künstliche Intelligenz die Fußball-Europameisterschaft?

Künstliche Intelligenz hat auch im Fußballgeschäft längst ihren Platz. Haufenweise Sportdaten werden ausgewertet, auch bei der deutschen Nationalmannschaft, die gerade bei der EM um den Titel kämpft. Über Chancen und Grenzen von KI im Fußball – und ob ihre Anwendung die EM entscheiden könnte – spricht Dlf-Journalist Moritz Metz.

Moritz Metz im Gespräch mit Astrid Rawohl |
Ein Fußballspieler im blauen Trikot hält einen Fußball in der Hand und steht vor einer digitalen Oberfläche.
Die effektive Analyse großer Mengen an Sportdaten wird auch im Fußball immer wichtiger. (IMAGO / VectorFusionArt / IMAGO)
Wenn im Fußball von sogenannten "Laptop-Trainern" gesprochen wird, begleitet diese Bemerkung meist ein etwas abfälliger Ton. Schließlich ist Fußball ein uralter Sport, der sich zwar immer wieder weiterentwickelte, vornehmlich aber auf dem Platz und im taktischen oder technischen Spiel selbst.
Diese Zeiten sind vorbei. Längst geben bei den Top-Fußballteams Sportdaten den Ton an, entscheiden nicht nur beim Scouting über eine Verpflichtung, sondern sind auch im Trainingsalltag präsent. Und wer große Massen von Sportdaten effektiv auswertet, hat die Nase im Wettkampf mit der Konkurrenz vorne, so lässt es sich simpel herunterbrechen.

Was Sportdaten für KI zur kostbaren Ressource macht

Auch bei der gerade laufenden Fußball-Europameisterschaft in Deutschland produzieren die Spieler also nicht nur schöne Fernsehbilder, weil sie einen ansehnlichen Pass gespielt oder ein herausragendes Tor geschossen haben. Sie produzieren auch etwas, was im digitalen Zeitalter eine besonders kostbare Ressource darstellt: Daten.
Moritz Metz, der im Deutschlandfunk-Podcast "KI verstehen" regelmäßig Antworten auf Fragen zu Künstlicher Intelligenz und dem Umgang damit gibt, beziffert die Sportdaten-Flut: "Bei der WM vor zwei Jahren waren es pro Spiel 500 Millionen Datenpunkte."
Metz unterscheidet bei Fußballdaten folgendermaßen: "Das sind dreierlei Daten. Einerseits die individuellen, biometrischen Daten der Spieler – Puls, Beschleunigung, Schritte und so weiter. Dann gibt es die Ereignisdaten: ein Hackentrick von Gündogan auf Füllkrug, Annahme, Schuss mit rechts, Tor oben rechts. Diese Erfassung passiert immer noch manuell da sitzen Menschen und notieren ein paar tausend Datenpunkte pro Spiel mit."
Entscheidet Künstliche Intelligenz die EM 2024?
Aber, erklärt Metz: "Die KI kann Positionsdaten aller Spieler mit Kameras zentimetergenau erfassen, teils auch deren Körperteile. So wird die Laufleistung gemessen. Aber das hilft auch für die halbautomatische Abseitserkennung, die basiert auch noch auf einem Chip im Ball. Bei den Positionsdaten wird es aber immer besser durch die Bilderkennung durch Künstliche Intelligenz." Das sei auch hilfreich bei der Vor- oder Nachbereitung von Spielen.

Wie die deutsche Nationalmannschaft KI nutzt

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft baut ebenfalls auf Teile dieser Technologien aus dem Großbereich Künstliche Intelligenz – der Schwerpunkt liegt dabei auf der Datenanalyse. Dr. Pascal Bauer ist promovierter Mathematiker, hat aber auch eine A-Trainerlizenz und leitet bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) das Team "Data Analytics & Research", das auch die Nationalmannschaft unterstützt.
Pascal Bauer spricht vor Publikum über seine Arbeit als Leiter "Data Analytics & Research" bei der Deutschen Fußball Liga (DFL).
Pascal Bauer leitet bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) das Team "Data Analytics & Research" und unterstützt auch die Nationalmannschaft beim DFB. (IMAGO / Beautiful Sports / IMAGO / BEAUTIFUL SPORTS / Wunderl)
Ein Anwendungsbeispiel ist die Gegneranalyse, erklärt Bauer: "Wenn wir wissen, wir spielen gegen Schottland, dann schauen sich unsere Videoanalysten und Trainer bis zu zehn Spiele von Schottland an und versuchen rauszufinden: Welche Formationen spielen die? Laufen die hoch an? Wie spielen sie ihre Standardsituationen?"
Das gleiche dann einem "Katalog an taktischen Ausprägungen einer Mannschaft, der immer wieder abgearbeitet wird", erklärt Bauer. "Und da haben wir Produkte aufgesetzt, wirklich mit maschinellem Lernen, um diese Spielphasen automatisiert zu erkennen. Um automatisiert ihnen schon mal Videoclips von allen Spielaufbauszenen zu geben und ihnen vielleicht zu sagen: Hey, die bauen in 70 Prozent der Fälle mit Dreierkette auf."

"TacticAI": Werkzeug für Eckstöße im Fußball

Das spart vor allem Zeit, betont Moritz Metz. Der Experte beim Deutschlandfunk-Podcast "KI verstehen" unterstreicht, dass die Analysten des DFB damit mehr Freiräume hätten für "essenziellere Spielvorbereitung". Auch könnten Daten und deren KI-gestützte Auswertungen "das Bauchgefühl von Trainierenden stützen".
Anwendungsmöglichkeiten gebe es darüber hinaus bei Standards, etwa einem Elfmeter. Standardsituationen sind statischer, klarer strukturiert und damit einfacher auszuwerten als komplizierte Spielzüge. "40 Prozent der Tore fallen nach Standards, deswegen lohnt sich das auch", so Metz.
Er unterstreicht: "Die nächste Stufe sind Eckstöße. Da sind schon mehr Spieler beteiligt." In diese Sphäre stößt derzeit das "Google"-Tochterunternehmen "DeepMind" vor, erklärt Metz. Dessen Mitarbeitende haben sich mit Experten des FC Liverpool zusammengetan: "Die haben die sogenannte 'TacticAI' gebaut. Diese KI kann ganzen Teams Positionen und Strategien bei Eckstößen empfehlen. Die ist darin inzwischen so gut, dass 90 Prozent der befragten Fußballprofis diese KI-Eckstrategien als schlauer empfanden als die menschlichen." Metz fügt an: "Jetzt braucht es natürlich nur noch die Profis, die diese Ecken auch so umsetzen können."

Wo (noch) Grenzen von KI im Fußball liegen

Das Gedankenspiel liegt nahe, mithilfe Künstlicher Intelligenz auch während eines laufenden Spiels Ratschläge für das Coaching des Teams abzuleiten oder Spielvorgänge vorherzusagen.
"Da sagen alle Experten: Nein, dafür ist Fußball in seinem normalen Verlauf viel zu chaotisch, viel zu viel Zufall, Intuition, die da mit reinspielt. Obwohl man sagen kann, dass der Zufall im Fußball laut einer Analyse der Sporthochschule Köln zuletzt marginal abgenommen hat", sagt Dlf-Podcaster Metz. Dabei macht er auch darauf aufmerksam: "Fußball ist aber mathematisch immer noch längst nicht voll verstanden."
Entscheidet dennoch KI und das, was sie schon kann, diese Fußball-EM? Dieser Frage geht Metz in der aktuellen Podcast-Folge von "KI verstehen" nach. Er betont aber: "So weit würde ich nicht gehen. Da entscheidet weiterhin, was auf dem Platz passiert. Die KI kann das höchstens abbilden und gute Hinweise geben, wie man es vielleicht noch besser machen könnte."

jti