Dass Sportgroßveranstaltungen unabhängig von gesellschaftspolitischen Fragen ablaufen, das sei nicht möglich, so der österreichische Politikwissenschaftler Prof. Peter Filzmaier, denn Sportgroßereignisse seien generell "die größtmögliche Bühne für Politik“.
Aber auch die Sportverbände selbst seien nicht unpolitisch, betont Filzmaier im Deutschlandfunk: "Die Legende vom angeblich unpolitischen Sport ist schlicht und einfach objektiv Unsinn", denn die UEFA habe in ihren Statuten sogar in den ersten Paragraphen politische Ziele festgehalten, wie beispielsweise Antidiskriminierung.
Der Professor für Demokratie-Studien begrüßt solche Ziele, aber als Fußballverband müsse man sich auch mit den problematischen, gesellschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen wie Nationalitätenkonflikten, Krieg und Frieden oder der Sicherheitsfrage, die auch immer auf der Fußballbühne ausgetragen werden:
"Die UEFA hat die Verpflichtung, sich auch politischen Fragen zu stellen.“
Filzmaier: "Über Verhalten der UEFA lässt sich häufig streiten"
Doch kann der europäische Fußballverband UEFA seinen eigenen Statuten auch nicht immer gerecht werden: Als bei der letzten Europameisterschaft die Münchner Arena als Zeichen für Toleranz gegenüber Homosexualität und gegen Diskriminierung in Regenbogenfarben leuchten sollte, hat die UEFA die Aktion trotz Antidiskriminierungsparagraph verboten.
„Das war weder verantwortungsvoll gehandelt noch kommunikationsstrategisch sinnvoll, denn dadurch hat das Thema, obwohl es die UEFA nicht wollte, noch mehr Aufmerksamkeit bekommen,“ beurteilt Filzmaier die damalige Aktion.
Bei der anstehenden EURO in Deutschland soll es, um Demos am Stadion zu vermeiden, eine Bannmeile von 500 Metern rund um die Stadien geben, wo Demonstrationen jeglicher Art verboten sind. Ein nachvollziehbarer Kompromiss, findet Professor Filzmaier, denn man müsse abwägen zwischen der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit und auch der Gefahren, die damit durch rivalisierende Fußballfans verbunden sein können.
Mehr offene Stellungnahmen als verzögertes Reagieren
Eines fehlt dem Politikwissenschaftler dabei aber: „Man sollte sich offen erklären und vor allem nicht immer nur reagieren.“
In seinen Augen habe die FIFA bei der Anerkennung und Positionierung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine beispielsweise viel zu spät reagiert und das auch erst auf Druck von nationalen Fußballverbänden.
Die sieht Filzmaier auch in der Pflicht: Um die positiven Werte des Fußballs wie Fairness oder die Integrationsleistung zu leben und zu vermitteln, müssten diese Werte sowohl von der UEFA als auch den nationalen Verbänden vertreten werden.
Bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland wurde ein Gefühl von Weltoffenheit geschaffen, allerdings kam diese WM damals auch zu einer günstigen Zeit mit einer dazu passenden weltpolitischen Lage, ordnet Filzmaier ein: "Der kalte Krieg und damit auch die Stellvertreterkriege zwischen Ost- und Westmächten im Sport waren vorbei und gerade aktuelle gesellschaftliche Debatten und Krisen waren noch nicht so präsent wie heute."
Aber die Fußballverbände und auch Fans könnten sich vor den aktuellen Debatten nicht drücken, sondern es brauche „eine Versachlichung der Debatte“, so der Wissenschaftler: "Denn was gerade passiert, ist ein riesiges Meer mit einer meterhohen Welle der Emotionen.“