In diesen Tagen entscheidet sich wieder einmal das Schicksal Europas und des Euros. Eigentlich sollte es, wenn sich die EU-Finanzminister am kommenden Montag in Brüssel treffen, um Portugal und das 78-Milliarden-Hilfsprogramm für das hochverschuldete Land gehen. Mitte Juni muss die Regierung in Lissabon 4,9 Milliarden Euro Schulden refinanzieren – und kann es nicht. Doch Portugal war gestern. Wieder ist Europa eine Krise weiter – und wieder einmal geht es um Griechenland.
Am Freitag vergangener Woche trafen sich die Finanzminister Deutschlands, Frankreichs und Griechenlands mit Jean-Claude Juncker, dem Vorsitzenden der Euro-Gruppe, sowie Jean-Claude Trichet, dem Chef der EZB in Luxemburg zu einem sehr schnellen - nicht mehr geheimen Geheimtreffen. Seitdem ist die Diskussion über die griechischen Staatsfinanzen wieder voll entbrannt: Wird Griechenland aus der EU austreten und den Euro aufgeben? Kommt es zu einer Umschuldung Griechenlands oder wird dem maroden Staat nochmals ein neuer Kredit in zweistelliger Milliardenhöhe gewährt? Eine überraschende Diskussion? Nein, meint der Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Duisburg-Essen, Ansgar Belke:
"Die Diskussion um Griechenland hat mich keineswegs überrascht, weil es schon lange absehbar war, dass Griechenland zu den insolvent zu werdenden Ländern zählt, ähnlich wie Portugal, und nicht in die Kategorie wie Spanien und Irland passt, wo es sich um andere Probleme handelt, um Illiquiditätsprobleme. Insofern war das kein Wunder. Griechenland hat ein separates Rettungspaket gehabt und zählt nicht zu dem Paket, was jetzt der ESFS, die European Financial Stability Facility, aufgelegt hat. Insofern ist das ein gesondertes Problem."
Dabei steht fest: Auch der dreijährige Überbrückungskredit in Höhe von 110 Milliarden Euro, den die anderen Euro-Länder fast auf den Tag genau vor einem Jahr beschlossen haben, kann Griechenland nicht retten. Damit ist auch die Hoffnung dahin, Griechenland könne sich schon in zwei Jahren wieder zu annehmbaren Zinsen Geld am freien Kapitalmarkt leihen. Heute muss Athen immer noch ruinöse 16 Prozent Zinsen auf zehnjährige Anleihen bezahlen. Für ein Land mit schwachem Export und geringen Wachstumsperspektiven ist dies alles nicht mehr zu bezahlen.
Die Wirtschaft schrumpfte im vergangenen Jahr um fünf Prozent. Außerdem sprang die Arbeitslosigkeit von etwa zehn Prozent vor 15 Monaten auf knapp 15 Prozent heute. Wenn die Euro-Zone nichts unternimmt, fehlen Griechenland so bereits nächstes Jahr 25 Milliarden Euro, 2013 gut 30 Milliarden Euro, um fällige Kredite zu bedienen. Das Land stünde – wieder einmal - vor der Pleite. Griechenland braucht Geld – und mehr Zeit, meint Jürgen Matthes, Wirtschaftswissenschaftler am Institut der deutschen Wirtschaft, IW, in Köln:
"Keiner weiß es, wann genau dieser Turnaround kommt. Und von daher muss man darüber nachdenken, binnen Jahresfrist sagen wir einmal, möglicherweise auch zu sagen: Das schafft Griechenland jetzt nicht mehr, und wir müssen vielleicht an eine Umschuldung denken. Wir müssen erst einmal abwarten und sollten Griechenland erst einmal mehr Zeit geben, weitere Reformen umzusetzen und darauf zu hoffen, dass die Wirtschaft den Turnaround schafft und die Konjunktur wieder anspringt und damit auch die Steuereinnahmen."
Dabei war die EU den Griechen bereits entgegengekommen und hatte die Laufzeit der Überbrückungskredite auf sieben Jahre verlängert und den Zinssatz um einen Prozentpunkt gesenkt. Alles umsonst, meint auch Ferdinand Fichtner, Leiter des Querschnittsbereich Konjunkturpolitik beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, in Berlin:
"Es ist im Prinzip unumstritten, dass Griechenland von 110 Milliarden Euro nicht auskommen wird. Man schätzt momentan, dass ein relativer Finanzierungsbedarf von 25 Milliarden erforderlich sein könnte. Ob es dabei bleibt, steht – so würde ich sagen – in den Sternen."
Deshalb überschlagen sich zurzeit auch in Berlin die Ereignisse. Gestern war EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in der Causa Griechenland in Berlin, heute Abend spricht EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über das gleiche Thema. Das Beispiel Griechenland demonstriert in diesen Tagen aller Welt einmal mehr, dass Kredite aus dem 750 Milliarden schweren Euro-Rettungsfonds lediglich die Zahlungsfähigkeit und vor allem die Rückzahlung der Schulden eines Staates sicherstellen, nicht aber die eigentlichen Probleme eines Landes lösen.
Wie lange also, das ist zurzeit die Frage aller Fragen - darf man ein Land durch Kredite und Bürgschaften über Wasser halten? Wie lange soll schlechtem Geld noch gutes Geld hinterher geworfen werden? Denn das, was in Griechenland zurzeit passiert, ist nichts anderes als das, was andernorts - in der freien Wirtschaft etwa – sehr schnell den Staatsanwalt auf den Plan rufen würde: eine Insolvenzverschleppung - und das auch noch in aller Öffentlichkeit, befördert durch die Politik und auf Kosten der Steuerzahler.
Ehrlicher wäre es deshalb für alle Beteiligten, Griechenland würde das bisher Undenkbare tun – und einen schnellen Schuldenschnitt vornehmen. Denn je länger eine Umschuldung hinausgezögert wird, desto mehr Geld benötigt der Staat. Auch um zurückzuzahlen, was er sich zuvor am freien Markt, zum Beispiel von Banken geliehen hat. Seit Griechenland aus den staatlichen Hilfsprogrammen Geld bekommt, zahlt der europäische Steuerzahler die privaten Kredite zurück. Ansgar Belke, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Essen drängt daher auf schnelles Handeln, um privates Kapital wieder nach Griechenland zu holen. Das kann aber nicht passieren, wenn die Politik nicht wirkliche Transparenz über die finanzielle Situation der Griechen schafft:
"Wenn ein Flugzeug, wo eine Düse ausfällt und die Anleger sind die Passagiere, und ihnen wird gesagt, sie könnten doch bis zum Endflughafen durchhalten, da passiert nichts, es gibt nur kurzfristige Probleme, da werden die Anleger unruhig und wollen raus."
Die Zahl der Anhänger einer Umschuldung Griechenlands steigt deshalb von Tag zu Tag. Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben sich in ihrem Frühjahrsgutachten gerade dafür ausgesprochen.
Dabei forderten sie ausdrücklich, auch private Gläubiger wie Banken an den Verlusten zu beteiligen. Joachim Scheide, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, nannte es einen "Skandal", dass auch unter dem künftigem Rettungsfonds ESM, dem "European Stability Mechanism", ab 2013 private Gläubiger erst sehr spät herangezogen werden - auf Kosten der Steuerzahler. Und auch von den Banken – mit Ausnahme der EZB – ist in diesen Tagen verdächtig wenig zu hören. Noch einmal Ansgar Belke:
"Bei den Banken wird häufig gesagt, sie litten so stark unter dem Schuldenschnitt. Das will ich gerne genauer beleuchten. Zum einen gibt es horrende Zinsen, und man kann in der Volkswirtschaftslehre und im Bereich der mathematischen finance berechnen, wie viel Schuldenabschlag notwendig ist, um bei so einem Land den Gewinn bei so hohen Zinsen kaputt zu machen. Und da kommt man auf einen Schnitt von 30 bis 40 Prozent, der durchaus verkraftbar ist, und man geht trotzdem nicht mit einem Verlust aus dem Geschäft heraus. Und es ist auch zu bedenken, dass viele Banken gewinnen, durch die Abwicklung des Schuldenschnittes, sodass das eher ein Scheingefecht zu sein scheint."
Auf 30 bis 40 Prozent könnten die Banken also verzichten, bevor sie Verlust machen! Die Front derjenigen, die einer Umschuldung entgegenstehen, wird somit immer schwächer. Denn je länger man abwartet, umso teurer wird es. Vor allem für die Steuerzahler. Noch haben die anderen Euro-Staaten vor allem Garantien abgegeben, es ist noch relativ wenig Geld geflossen. Kommt es aber zu Zahlungsausfällen, müssen die Staaten den Verlust ausgleichen – das geht zu Lasten ihrer eigenen Haushalte. Um so mehr gilt es, private Gläubiger, also in erster Linie Banken und Versicherungen, an den Verlusten zu beteiligen. Ferdinand Fichtner, Konjunkturexperte am DIW in Berlin:
"Das ist das fundamentale Problem, muss man sagen. Wenn wir jetzt seit über einem Jahr mittlerweile diskutieren darüber, dass Länder wie Griechenland gerettet werden sollen, dann diskutieren wir letztlich darüber, dass private Investoren, das sind Banken und Versicherungen zu wesentlichen Teilen, die eben in Staatsanleihen investiert haben, letztlich vor dem Zahlungsausfall gerettet werden sollen."
So geht es derzeit besonders auch in dieser Frage hoch her. In der Politik und bei allen Beteiligten herrscht darüber ein erbitterter Streit. Es ist ein Streit um den richtigen Weg zurück zu soliden Staatsfinanzen. Und darüber, was auf Europa, und vor allen Dingen auf den größten Beitragszahler in der EU – Deutschland - zukommen könnte.
Rund 190 Wirtschaftsprofessoren haben sich in einem Aufruf gemeinsam gegen die geplante Ausdehnung des Euro-Rettungsschirms ausgesprochen. Sie warnen vor "fatalen Folgen". Der Plan der europäischen Finanzminister, den Euro-Rettungsschirm weiter auszudehnen und einen dauerhaften Rettungsmechanismus ESM, - "European Stability Mechanism" - einzurichten, sei gefährlich. Vor allem deshalb, weil es in Not geratene Länder in einer falschen Sicherheit wiege. Diese Sicherheit gewährt Europa Griechenland noch bis 2012; der zwischenzeitlich eingerichtete Rettungsschirm EFSF soll anderen Staaten wie Portugal und Irland helfen. Ab 2013 greift dann der Rettungsschirm ESM mit noch rigideren Auflagen – auch und gerade im Hinblick auf private Gläubiger. Ist der harte Schnitt also die bessere Lösung?
Zunächst einmal werden die Griechen selbst unter einer Umschuldung leiden. Von den 340 Milliarden Euro Schulden, die Griechenland zurzeit hat, haben die griechische Notenbank und griechischen Privatbanken immer noch etliche Posten in ihren Büchern. Womöglich muss sie am Ende eben jener Staat auffangen, der gerade erst seine Zahlungsunfähigkeit eingestanden hat, sodass, was dieser auf der einen Seite bekommt, er auf der anderen gleich wieder ausgeben muss.
Die griechische Mittelschicht besitzt ebenso große Bestände an Staatsanleihen. Insofern dürften nicht nur viele Privatanleger dankbar sein, wenn Griechenland eher durch Anpassungen der Rettungsprogramme als durch eine Umschuldung geholfen wird, zumal die Auswirkungen auf den Euro unkalkulierbar wären - und damit auch auf die deutsche Wirtschaft.
Wie groß aber wären die Belastungen für Deutschland? Die Zahlen variieren – auch unter Wissenschaftlern. De facto hat Deutschland bisher nicht mehr als acht Milliarden Euro für die absehbare griechische Staatspleite bezahlt, und im Gegenzug dafür rund 100 Millionen an Zinsgewinnen für Kredite an Griechenland eingenommen. Eine überschaubare Zahl. Aber die Risiken für die Zukunft lassen sich sehen. Allein der Beitrag Deutschlands zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) besteht aus Bareinlagen und Bürgschaftsverpflichtungen in Höhe von 190 Milliarden Euro. Dies entspricht rund 90 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes im Jahr 2010. Arbeiten wir Steuerzahler also demnächst nicht mehr für den deutschen Fiskus, sondern für den griechischen Staat?
Denn was geschieht mit 190 Milliarden Euro deutschem Vermögen, wenn ein hilfsbedürftiges Land wie Griechenland nicht wie gewünscht, schon bald wieder wächst? Und im Moment sieht es ganz und gar nicht danach aus, dass die griechische Wirtschaft sich schnell wieder erholt. Ansgar Belke von der Universität Essen:
"Wir haben im Moment in Griechenland ein dramatisch fallendes Bruttoinlandsprodukt, weil die Staatsausgaben fallen, die Steuereinnahmen ansteigen. Was sollen die Griechen machen? Schauen wir uns an, worin die Griechen stark sind: im Tourismus. Hier ist zwar durch Preissenkungen etwas zu holen, führt aber in der Summe vielleicht zu weniger Einnahmen. Das Zweite, worin die Griechen im Export stark sind, mehr gibt es ja gar nicht, ist der Seetransport, da werden die Preise für Frachten auf dem Weltmarkt bestimmt."
Fest steht in der Zwischenzeit: Außerhalb Griechenlands liegen bei europäischen Banken nach jüngsten Schätzungen der amerikanischen Bank Morgan Stanley weniger als 40 Milliarden Euro. Nennenswerte Positionen halten unter anderem die deutschen Pfandbriefbanken, die an einer Umschuldung sicher nicht verdienen würden, ebenso wenig wie die deutsche staatliche KFW-Bankengruppe.
Leidtragende wären aber vor allem supranationale Organisationen wie die Europäische Zentralbank, die große Bestände an griechischen Staatsanleihen aufgekauft haben - angeblich 153 Milliarden Euro. EZB-Präsident Trichet ist deshalb derjenige, der sich einer Umschuldung Griechenlands am meisten widersetzt. Sein Haus hätte am meisten zu verlieren – Geld und Reputation. Und wenn die EZB verliert, verliert auch die deutsche Bundesbank, die mit über 20 Prozent an den Einlagen der EZB beteiligt ist. Ansgar Belke, Volkswirtschaftler von der Universität Essen:
"Nun, wenn wir uns die Notenbankbilanz anschauen seitens der EZB, dann ist klar, dass die EZB seit Mai letzten Jahres in verschiedener Weise Anleihen vor allen Dingen von Griechen – genau sagt sie das ja nicht - an Bord genommen hat. Das ist die Aktiv-Seite, die Forderungen. Und wenn die Forderungen jetzt abgeschrieben werden, dann haben wir mit dem Eigenkapital, auch die EZB hat Eigenkapital, das schrumpft. Möglicherweise äußert sich das für den Steuerzahler zunächst dadurch, dass weniger Bundesbankgewinne, weniger überwiesen wird am Ende des Jahres. Das war immer etwas Signifikantes! Nicht astronomisch hoch, aber immer etwas, auf das sich der Finanzminister verlassen konnte. Wenn das zu dramatisch wird, kann es auch sein, dass das Eigenkapital aufgezehrt wird, im Extremfall, und die Verluste dann auch vom deutschen Steuerzahler nach Maßgabe des sogenannten Kapitalanteilsschlüssels der EZB zu decken sind."
Wenn man dies beziffern will, rechnet Ansgar Belke vor:
"Problem haben wir dabei, dass die EZB die Menge der aufgekauften Griechen-Anleihen nicht genau einschätzt. Wenn man Markt-Beobachtern trauen darf, sind das 60 Prozent aller Anleihen, die aufgekauft wurden. Und der Verlust geht hier, da die EZB noch relativ vernünftig agiert hat, im Vergleich zur Fed, in zweistelligen Milliardenbetrag zunächst einmal vom Anteil her. Das scheint nicht besonders viel zu sein, weil wir in letzter Zeit in dreistelligen Milliardenbereich hantiert haben mit den Schirmen. Es sind immerhin Größenordnungen, von denen wir nicht zu träumen gewagt haben vor der Finanzkrise."
Hinzu kommt der europäische Rettungsfonds. Er hat 37,9 Milliarden Euro verliehen, ein Drittel der Verluste müsste Deutschland tragen. Zählt man die Verluste von Finanzinstituten, Bundesregierung und Bundesbank und EZB zusammen, würde ein möglicher Forderungsverzicht von 50 Prozent gegenüber Griechenland Deutschland eine hohe zweistellige Milliardensumme kosten. Ansgar Belke kommt auf mehr als 80 Milliarden Euro – ohne die spanischen Verbindlichkeiten und die Irlands. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln rechnet mit 65 Milliarden. Der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, macht für ganz Europa und den "worst case", wenn also alle sogenannten GIPS-Staaten – Griechenland, Irland, Portugal und auch Spanien – Insolvenz anmelden würden, eine sehr viel größere Rechnung auf. Er spricht von 1.500 Milliarden Euro – eine Zahl, die für viel Aufregung gesorgt hat.
EU-Währungskommissar Olli Rehn lehnt deshalb stets eine Umschuldung ab. "Die Befürworter scheinen die möglichen verheerenden Folgen für das Land selbst und die gesamte Eurozone nicht zu kennen", sagte Rehn. Und weiter: "Ich wiederhole: Das gehört nicht zu unserer Strategie, und es wird auch nicht dazu gehören".
Vor allem aber gehört nicht zur Strategie der Politik, darüber lang und breit in der Öffentlichkeit nachzudenken. Eine Umschuldung startet man von jetzt auf gleich – an einem Wochenende mit Wirkung vom darauf folgenden Montag an. Noch einmal Ferdinand Fichtner vom DIW Berlin:
"Das ist so eine typische Wochenendaktion. Da hatten wir ja einige in der Geschichte der gesamten Euro-Krise. Ich denke, das lässt sich auch im Zusammenhang mit einem Schuldenschnitt in Griechenland nicht vermeiden, dass man es mit einem Wochenende so macht."
Kommt die große Umschuldung Griechenlands also an diesem Wochenende? Wer weiß. Es verdichten sich aber die Anzeichen dafür, dass es in nächster Zeit dazu kommen wird. Ohne große Ankündigung.
Fest steht: Die kommende Woche wird teuer und entscheidend werden – für Europa, für Griechenland und für Deutschland. Wie teuer genau, das lässt sich zur Zeit von niemandem seriös sagen. Und das alles vor dem Hintergrund, dass auch in Deutschland die Skepsis gegenüber Europa und dem Euro stetig steigt. Im Juni wird der Bundestag über die zweite Stufe des Hilfsprogramms abstimmen – mit heftigen Diskussionen.
Es besteht die Gefahr, dass Griechenland ein Fass ohne Boden wird. Umso mehr sollte man mit Augenmaß an der Überwindung der Krise arbeiten, meint Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Einen Weg zurück, für Griechenland etwa zu einer extrem abgewerteten Drachme, kann es nicht geben. Das würde die griechischen Staatsschulden, die ja in Euro bezahlt werden müssen, von heute auf morgen verdoppeln. Es käme darüber hinaus zu einem Bankensturm in Griechenland, das Bankensystem würde zusammenbrechen – mit Auswirkungen bis hin nach Portugal, Irland und Spanien. Und auch Deutschland hätte bei einer Rückkehr zur D-Mark nicht viel zu gewinnen. IW-Experte Jürgen Matthes:
"Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass in der Situation in den letzten zehn bis 15 Jahren, seitdem wir die Währungsunion haben, verschiedene Gründe dafür gesprochen hätten, das die D-Mark, wenn wir sie behalten hätten, massiv aufgewertet worden wäre. Gerade in der Finanzkrise jetzt wäre es auf Grund der starken Kapitalzuflüsse und der Flucht in deutsche Staatsanleihen dazu gekommen, dass die D-Mark massiv aufgewertet hätte. Nachdem der Euro sogar leicht abgewertet hat während der Krise, hat die Industrie und die Exportwirtschaft sehr schnell den Turnaround geschafft und Deutschland steht jetzt als großes Vorbild da.Das wäre mit der D-Mark völlig anders gelaufen."
Am Freitag vergangener Woche trafen sich die Finanzminister Deutschlands, Frankreichs und Griechenlands mit Jean-Claude Juncker, dem Vorsitzenden der Euro-Gruppe, sowie Jean-Claude Trichet, dem Chef der EZB in Luxemburg zu einem sehr schnellen - nicht mehr geheimen Geheimtreffen. Seitdem ist die Diskussion über die griechischen Staatsfinanzen wieder voll entbrannt: Wird Griechenland aus der EU austreten und den Euro aufgeben? Kommt es zu einer Umschuldung Griechenlands oder wird dem maroden Staat nochmals ein neuer Kredit in zweistelliger Milliardenhöhe gewährt? Eine überraschende Diskussion? Nein, meint der Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Duisburg-Essen, Ansgar Belke:
"Die Diskussion um Griechenland hat mich keineswegs überrascht, weil es schon lange absehbar war, dass Griechenland zu den insolvent zu werdenden Ländern zählt, ähnlich wie Portugal, und nicht in die Kategorie wie Spanien und Irland passt, wo es sich um andere Probleme handelt, um Illiquiditätsprobleme. Insofern war das kein Wunder. Griechenland hat ein separates Rettungspaket gehabt und zählt nicht zu dem Paket, was jetzt der ESFS, die European Financial Stability Facility, aufgelegt hat. Insofern ist das ein gesondertes Problem."
Dabei steht fest: Auch der dreijährige Überbrückungskredit in Höhe von 110 Milliarden Euro, den die anderen Euro-Länder fast auf den Tag genau vor einem Jahr beschlossen haben, kann Griechenland nicht retten. Damit ist auch die Hoffnung dahin, Griechenland könne sich schon in zwei Jahren wieder zu annehmbaren Zinsen Geld am freien Kapitalmarkt leihen. Heute muss Athen immer noch ruinöse 16 Prozent Zinsen auf zehnjährige Anleihen bezahlen. Für ein Land mit schwachem Export und geringen Wachstumsperspektiven ist dies alles nicht mehr zu bezahlen.
Die Wirtschaft schrumpfte im vergangenen Jahr um fünf Prozent. Außerdem sprang die Arbeitslosigkeit von etwa zehn Prozent vor 15 Monaten auf knapp 15 Prozent heute. Wenn die Euro-Zone nichts unternimmt, fehlen Griechenland so bereits nächstes Jahr 25 Milliarden Euro, 2013 gut 30 Milliarden Euro, um fällige Kredite zu bedienen. Das Land stünde – wieder einmal - vor der Pleite. Griechenland braucht Geld – und mehr Zeit, meint Jürgen Matthes, Wirtschaftswissenschaftler am Institut der deutschen Wirtschaft, IW, in Köln:
"Keiner weiß es, wann genau dieser Turnaround kommt. Und von daher muss man darüber nachdenken, binnen Jahresfrist sagen wir einmal, möglicherweise auch zu sagen: Das schafft Griechenland jetzt nicht mehr, und wir müssen vielleicht an eine Umschuldung denken. Wir müssen erst einmal abwarten und sollten Griechenland erst einmal mehr Zeit geben, weitere Reformen umzusetzen und darauf zu hoffen, dass die Wirtschaft den Turnaround schafft und die Konjunktur wieder anspringt und damit auch die Steuereinnahmen."
Dabei war die EU den Griechen bereits entgegengekommen und hatte die Laufzeit der Überbrückungskredite auf sieben Jahre verlängert und den Zinssatz um einen Prozentpunkt gesenkt. Alles umsonst, meint auch Ferdinand Fichtner, Leiter des Querschnittsbereich Konjunkturpolitik beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, in Berlin:
"Es ist im Prinzip unumstritten, dass Griechenland von 110 Milliarden Euro nicht auskommen wird. Man schätzt momentan, dass ein relativer Finanzierungsbedarf von 25 Milliarden erforderlich sein könnte. Ob es dabei bleibt, steht – so würde ich sagen – in den Sternen."
Deshalb überschlagen sich zurzeit auch in Berlin die Ereignisse. Gestern war EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in der Causa Griechenland in Berlin, heute Abend spricht EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über das gleiche Thema. Das Beispiel Griechenland demonstriert in diesen Tagen aller Welt einmal mehr, dass Kredite aus dem 750 Milliarden schweren Euro-Rettungsfonds lediglich die Zahlungsfähigkeit und vor allem die Rückzahlung der Schulden eines Staates sicherstellen, nicht aber die eigentlichen Probleme eines Landes lösen.
Wie lange also, das ist zurzeit die Frage aller Fragen - darf man ein Land durch Kredite und Bürgschaften über Wasser halten? Wie lange soll schlechtem Geld noch gutes Geld hinterher geworfen werden? Denn das, was in Griechenland zurzeit passiert, ist nichts anderes als das, was andernorts - in der freien Wirtschaft etwa – sehr schnell den Staatsanwalt auf den Plan rufen würde: eine Insolvenzverschleppung - und das auch noch in aller Öffentlichkeit, befördert durch die Politik und auf Kosten der Steuerzahler.
Ehrlicher wäre es deshalb für alle Beteiligten, Griechenland würde das bisher Undenkbare tun – und einen schnellen Schuldenschnitt vornehmen. Denn je länger eine Umschuldung hinausgezögert wird, desto mehr Geld benötigt der Staat. Auch um zurückzuzahlen, was er sich zuvor am freien Markt, zum Beispiel von Banken geliehen hat. Seit Griechenland aus den staatlichen Hilfsprogrammen Geld bekommt, zahlt der europäische Steuerzahler die privaten Kredite zurück. Ansgar Belke, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Essen drängt daher auf schnelles Handeln, um privates Kapital wieder nach Griechenland zu holen. Das kann aber nicht passieren, wenn die Politik nicht wirkliche Transparenz über die finanzielle Situation der Griechen schafft:
"Wenn ein Flugzeug, wo eine Düse ausfällt und die Anleger sind die Passagiere, und ihnen wird gesagt, sie könnten doch bis zum Endflughafen durchhalten, da passiert nichts, es gibt nur kurzfristige Probleme, da werden die Anleger unruhig und wollen raus."
Die Zahl der Anhänger einer Umschuldung Griechenlands steigt deshalb von Tag zu Tag. Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben sich in ihrem Frühjahrsgutachten gerade dafür ausgesprochen.
Dabei forderten sie ausdrücklich, auch private Gläubiger wie Banken an den Verlusten zu beteiligen. Joachim Scheide, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, nannte es einen "Skandal", dass auch unter dem künftigem Rettungsfonds ESM, dem "European Stability Mechanism", ab 2013 private Gläubiger erst sehr spät herangezogen werden - auf Kosten der Steuerzahler. Und auch von den Banken – mit Ausnahme der EZB – ist in diesen Tagen verdächtig wenig zu hören. Noch einmal Ansgar Belke:
"Bei den Banken wird häufig gesagt, sie litten so stark unter dem Schuldenschnitt. Das will ich gerne genauer beleuchten. Zum einen gibt es horrende Zinsen, und man kann in der Volkswirtschaftslehre und im Bereich der mathematischen finance berechnen, wie viel Schuldenabschlag notwendig ist, um bei so einem Land den Gewinn bei so hohen Zinsen kaputt zu machen. Und da kommt man auf einen Schnitt von 30 bis 40 Prozent, der durchaus verkraftbar ist, und man geht trotzdem nicht mit einem Verlust aus dem Geschäft heraus. Und es ist auch zu bedenken, dass viele Banken gewinnen, durch die Abwicklung des Schuldenschnittes, sodass das eher ein Scheingefecht zu sein scheint."
Auf 30 bis 40 Prozent könnten die Banken also verzichten, bevor sie Verlust machen! Die Front derjenigen, die einer Umschuldung entgegenstehen, wird somit immer schwächer. Denn je länger man abwartet, umso teurer wird es. Vor allem für die Steuerzahler. Noch haben die anderen Euro-Staaten vor allem Garantien abgegeben, es ist noch relativ wenig Geld geflossen. Kommt es aber zu Zahlungsausfällen, müssen die Staaten den Verlust ausgleichen – das geht zu Lasten ihrer eigenen Haushalte. Um so mehr gilt es, private Gläubiger, also in erster Linie Banken und Versicherungen, an den Verlusten zu beteiligen. Ferdinand Fichtner, Konjunkturexperte am DIW in Berlin:
"Das ist das fundamentale Problem, muss man sagen. Wenn wir jetzt seit über einem Jahr mittlerweile diskutieren darüber, dass Länder wie Griechenland gerettet werden sollen, dann diskutieren wir letztlich darüber, dass private Investoren, das sind Banken und Versicherungen zu wesentlichen Teilen, die eben in Staatsanleihen investiert haben, letztlich vor dem Zahlungsausfall gerettet werden sollen."
So geht es derzeit besonders auch in dieser Frage hoch her. In der Politik und bei allen Beteiligten herrscht darüber ein erbitterter Streit. Es ist ein Streit um den richtigen Weg zurück zu soliden Staatsfinanzen. Und darüber, was auf Europa, und vor allen Dingen auf den größten Beitragszahler in der EU – Deutschland - zukommen könnte.
Rund 190 Wirtschaftsprofessoren haben sich in einem Aufruf gemeinsam gegen die geplante Ausdehnung des Euro-Rettungsschirms ausgesprochen. Sie warnen vor "fatalen Folgen". Der Plan der europäischen Finanzminister, den Euro-Rettungsschirm weiter auszudehnen und einen dauerhaften Rettungsmechanismus ESM, - "European Stability Mechanism" - einzurichten, sei gefährlich. Vor allem deshalb, weil es in Not geratene Länder in einer falschen Sicherheit wiege. Diese Sicherheit gewährt Europa Griechenland noch bis 2012; der zwischenzeitlich eingerichtete Rettungsschirm EFSF soll anderen Staaten wie Portugal und Irland helfen. Ab 2013 greift dann der Rettungsschirm ESM mit noch rigideren Auflagen – auch und gerade im Hinblick auf private Gläubiger. Ist der harte Schnitt also die bessere Lösung?
Zunächst einmal werden die Griechen selbst unter einer Umschuldung leiden. Von den 340 Milliarden Euro Schulden, die Griechenland zurzeit hat, haben die griechische Notenbank und griechischen Privatbanken immer noch etliche Posten in ihren Büchern. Womöglich muss sie am Ende eben jener Staat auffangen, der gerade erst seine Zahlungsunfähigkeit eingestanden hat, sodass, was dieser auf der einen Seite bekommt, er auf der anderen gleich wieder ausgeben muss.
Die griechische Mittelschicht besitzt ebenso große Bestände an Staatsanleihen. Insofern dürften nicht nur viele Privatanleger dankbar sein, wenn Griechenland eher durch Anpassungen der Rettungsprogramme als durch eine Umschuldung geholfen wird, zumal die Auswirkungen auf den Euro unkalkulierbar wären - und damit auch auf die deutsche Wirtschaft.
Wie groß aber wären die Belastungen für Deutschland? Die Zahlen variieren – auch unter Wissenschaftlern. De facto hat Deutschland bisher nicht mehr als acht Milliarden Euro für die absehbare griechische Staatspleite bezahlt, und im Gegenzug dafür rund 100 Millionen an Zinsgewinnen für Kredite an Griechenland eingenommen. Eine überschaubare Zahl. Aber die Risiken für die Zukunft lassen sich sehen. Allein der Beitrag Deutschlands zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) besteht aus Bareinlagen und Bürgschaftsverpflichtungen in Höhe von 190 Milliarden Euro. Dies entspricht rund 90 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes im Jahr 2010. Arbeiten wir Steuerzahler also demnächst nicht mehr für den deutschen Fiskus, sondern für den griechischen Staat?
Denn was geschieht mit 190 Milliarden Euro deutschem Vermögen, wenn ein hilfsbedürftiges Land wie Griechenland nicht wie gewünscht, schon bald wieder wächst? Und im Moment sieht es ganz und gar nicht danach aus, dass die griechische Wirtschaft sich schnell wieder erholt. Ansgar Belke von der Universität Essen:
"Wir haben im Moment in Griechenland ein dramatisch fallendes Bruttoinlandsprodukt, weil die Staatsausgaben fallen, die Steuereinnahmen ansteigen. Was sollen die Griechen machen? Schauen wir uns an, worin die Griechen stark sind: im Tourismus. Hier ist zwar durch Preissenkungen etwas zu holen, führt aber in der Summe vielleicht zu weniger Einnahmen. Das Zweite, worin die Griechen im Export stark sind, mehr gibt es ja gar nicht, ist der Seetransport, da werden die Preise für Frachten auf dem Weltmarkt bestimmt."
Fest steht in der Zwischenzeit: Außerhalb Griechenlands liegen bei europäischen Banken nach jüngsten Schätzungen der amerikanischen Bank Morgan Stanley weniger als 40 Milliarden Euro. Nennenswerte Positionen halten unter anderem die deutschen Pfandbriefbanken, die an einer Umschuldung sicher nicht verdienen würden, ebenso wenig wie die deutsche staatliche KFW-Bankengruppe.
Leidtragende wären aber vor allem supranationale Organisationen wie die Europäische Zentralbank, die große Bestände an griechischen Staatsanleihen aufgekauft haben - angeblich 153 Milliarden Euro. EZB-Präsident Trichet ist deshalb derjenige, der sich einer Umschuldung Griechenlands am meisten widersetzt. Sein Haus hätte am meisten zu verlieren – Geld und Reputation. Und wenn die EZB verliert, verliert auch die deutsche Bundesbank, die mit über 20 Prozent an den Einlagen der EZB beteiligt ist. Ansgar Belke, Volkswirtschaftler von der Universität Essen:
"Nun, wenn wir uns die Notenbankbilanz anschauen seitens der EZB, dann ist klar, dass die EZB seit Mai letzten Jahres in verschiedener Weise Anleihen vor allen Dingen von Griechen – genau sagt sie das ja nicht - an Bord genommen hat. Das ist die Aktiv-Seite, die Forderungen. Und wenn die Forderungen jetzt abgeschrieben werden, dann haben wir mit dem Eigenkapital, auch die EZB hat Eigenkapital, das schrumpft. Möglicherweise äußert sich das für den Steuerzahler zunächst dadurch, dass weniger Bundesbankgewinne, weniger überwiesen wird am Ende des Jahres. Das war immer etwas Signifikantes! Nicht astronomisch hoch, aber immer etwas, auf das sich der Finanzminister verlassen konnte. Wenn das zu dramatisch wird, kann es auch sein, dass das Eigenkapital aufgezehrt wird, im Extremfall, und die Verluste dann auch vom deutschen Steuerzahler nach Maßgabe des sogenannten Kapitalanteilsschlüssels der EZB zu decken sind."
Wenn man dies beziffern will, rechnet Ansgar Belke vor:
"Problem haben wir dabei, dass die EZB die Menge der aufgekauften Griechen-Anleihen nicht genau einschätzt. Wenn man Markt-Beobachtern trauen darf, sind das 60 Prozent aller Anleihen, die aufgekauft wurden. Und der Verlust geht hier, da die EZB noch relativ vernünftig agiert hat, im Vergleich zur Fed, in zweistelligen Milliardenbetrag zunächst einmal vom Anteil her. Das scheint nicht besonders viel zu sein, weil wir in letzter Zeit in dreistelligen Milliardenbereich hantiert haben mit den Schirmen. Es sind immerhin Größenordnungen, von denen wir nicht zu träumen gewagt haben vor der Finanzkrise."
Hinzu kommt der europäische Rettungsfonds. Er hat 37,9 Milliarden Euro verliehen, ein Drittel der Verluste müsste Deutschland tragen. Zählt man die Verluste von Finanzinstituten, Bundesregierung und Bundesbank und EZB zusammen, würde ein möglicher Forderungsverzicht von 50 Prozent gegenüber Griechenland Deutschland eine hohe zweistellige Milliardensumme kosten. Ansgar Belke kommt auf mehr als 80 Milliarden Euro – ohne die spanischen Verbindlichkeiten und die Irlands. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln rechnet mit 65 Milliarden. Der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, macht für ganz Europa und den "worst case", wenn also alle sogenannten GIPS-Staaten – Griechenland, Irland, Portugal und auch Spanien – Insolvenz anmelden würden, eine sehr viel größere Rechnung auf. Er spricht von 1.500 Milliarden Euro – eine Zahl, die für viel Aufregung gesorgt hat.
EU-Währungskommissar Olli Rehn lehnt deshalb stets eine Umschuldung ab. "Die Befürworter scheinen die möglichen verheerenden Folgen für das Land selbst und die gesamte Eurozone nicht zu kennen", sagte Rehn. Und weiter: "Ich wiederhole: Das gehört nicht zu unserer Strategie, und es wird auch nicht dazu gehören".
Vor allem aber gehört nicht zur Strategie der Politik, darüber lang und breit in der Öffentlichkeit nachzudenken. Eine Umschuldung startet man von jetzt auf gleich – an einem Wochenende mit Wirkung vom darauf folgenden Montag an. Noch einmal Ferdinand Fichtner vom DIW Berlin:
"Das ist so eine typische Wochenendaktion. Da hatten wir ja einige in der Geschichte der gesamten Euro-Krise. Ich denke, das lässt sich auch im Zusammenhang mit einem Schuldenschnitt in Griechenland nicht vermeiden, dass man es mit einem Wochenende so macht."
Kommt die große Umschuldung Griechenlands also an diesem Wochenende? Wer weiß. Es verdichten sich aber die Anzeichen dafür, dass es in nächster Zeit dazu kommen wird. Ohne große Ankündigung.
Fest steht: Die kommende Woche wird teuer und entscheidend werden – für Europa, für Griechenland und für Deutschland. Wie teuer genau, das lässt sich zur Zeit von niemandem seriös sagen. Und das alles vor dem Hintergrund, dass auch in Deutschland die Skepsis gegenüber Europa und dem Euro stetig steigt. Im Juni wird der Bundestag über die zweite Stufe des Hilfsprogramms abstimmen – mit heftigen Diskussionen.
Es besteht die Gefahr, dass Griechenland ein Fass ohne Boden wird. Umso mehr sollte man mit Augenmaß an der Überwindung der Krise arbeiten, meint Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Einen Weg zurück, für Griechenland etwa zu einer extrem abgewerteten Drachme, kann es nicht geben. Das würde die griechischen Staatsschulden, die ja in Euro bezahlt werden müssen, von heute auf morgen verdoppeln. Es käme darüber hinaus zu einem Bankensturm in Griechenland, das Bankensystem würde zusammenbrechen – mit Auswirkungen bis hin nach Portugal, Irland und Spanien. Und auch Deutschland hätte bei einer Rückkehr zur D-Mark nicht viel zu gewinnen. IW-Experte Jürgen Matthes:
"Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass in der Situation in den letzten zehn bis 15 Jahren, seitdem wir die Währungsunion haben, verschiedene Gründe dafür gesprochen hätten, das die D-Mark, wenn wir sie behalten hätten, massiv aufgewertet worden wäre. Gerade in der Finanzkrise jetzt wäre es auf Grund der starken Kapitalzuflüsse und der Flucht in deutsche Staatsanleihen dazu gekommen, dass die D-Mark massiv aufgewertet hätte. Nachdem der Euro sogar leicht abgewertet hat während der Krise, hat die Industrie und die Exportwirtschaft sehr schnell den Turnaround geschafft und Deutschland steht jetzt als großes Vorbild da.Das wäre mit der D-Mark völlig anders gelaufen."