Kommentar
EM-Start: Mit Fußball-Floskeln wird es keinen Neustart geben

Große Fußballturniere sind globale Bühnen für politische und gesellschaftliche Agenden. Verbände und Politiker hoffen, dass der Fußball Menschen vereint und Spaltungen überbrückt. Ob das wirklich gelingen kann, bleibt aber mehr als fraglich.

Ein Kommentar von Matthias Friebe |
Die Statue Molecule Man in der Spree mit Trikots von Manuel Neuer, Florian Wirtz und Toni Kroos geschmückt
Die EM soll Menschen wieder zusammenbringen. (picture alliance / Matthias Koch / Sebastian Räppold)
Wenn ein großes Fußballturnier beginnt, dann geht es längst nicht mehr nur um das Spiel. Welt- und Europameisterschaften sind vor allem eins: die größte Bühne der Welt neben Olympia. Milliarden von Fernsehzuschauern, nicht mehr zählbare Interaktionen in den digitalen Medien. Fußballturniere sind das Flutlicht unter den vielen Aufmerksamkeits-Scheinwerfern unserer Zeit.
Klar, dass dann jeder und jede ein bisschen davon profitieren möchte. Angefangen bei den Verbänden und der Politik, die alle ihre eigene Agenda, mit diesem Turnier verbunden sehen wollen, verpackt in wachsweiche bis nichtssagende Claims. „United by football“ ist das offizielle Turniermotto, die Bundesregierung nennt die EM „Heimspiel für Europa“.

Fußball als Kitt der Gesellschaft?

Was sich dahinter verbirgt, ist nicht weniger als die Hoffnung, der Fußball möge in den nächsten vier Wochen das tun, was er am besten kann: Menschen zusammenbringen. Auch 2024 ist der Fußball in Deutschland und Europa für viele Kultur und Identität, das berühmte sogenannte „letzte Lagerfeuer“, das Millionen Menschen fasziniert und gerade bei einem Turnier in vielen Familien, Freundeskreisen und bei der Arbeit zum Gesprächsthema Nummer 1 macht.
Gerade die Politik macht sich diese Ausstrahlungskraft zu Nutze. Angesichts tiefer werdender Spaltungen in der Gesellschaft, angesichts gestärkter politischer Ränder – hoffen viele, dass dem Fußball gelingt, was gerade wenigen zu gelingen scheint. Das hat die Europawahl sehr deutlich gemacht. Etwas zu finden, das über soziale, wirtschaftliche und politische Grenzen hinweg verbindend sein könnte in der Gesellschaft. Eine fantastische Stimmung, bestenfalls eine vier Wochen lange Party in Deutschland soll helfen, die gesellschaftlichen Probleme anzugehen.

UEFA: politisch nur, wenn es passt

Sollte es dem Fußball mit der EM gelingen, auch nur einen winzig kleinen Teil der Spaltungen durch das Gemeinschaftserlebnis zu kitten, sollte das grelle Turnier-Flutlicht auch nur minimal Licht in manch Dunkelheit in der Gesellschaft bringen, dann heimst die UEFA gerne die Lorbeeren ein.
Einen Teil dazu beitragen zu können, würde ihn sehr glücklich machen, sagt UEFA-Präsident Ceferin. Wenn es allerdings um den Krieg in der Ukraine geht, der durch die Teilnahme des blau-gelben Teams auch bei der EM greifbar ist, dann wird aus dem Flutlicht schnell nur noch eine Taschenlampe. Dann schweigen Funktionäre, dann ist der Sport wieder betont unpolitisch.
Und so hört man jetzt zum Turnierstart vor allem viele altbekannte Floskeln. Ab jetzt bitte keine kritischen Fragen und Kontroversen mehr, ab jetzt bitte Fußball gucken und Spaß haben. Ab jetzt statt Problemen bitte Euphorie, farbenfrohe Bilder und viele schöne Tore. Von denen werden wir viele in den Stadien sehen, bis zum Finale in Berlin am 14. Juli. Ob das Flutlicht der EM auch für einen gesellschaftlichen Neustart reicht, ist aber mehr als fraglich.
Matthias Friebe (Deutschlandfunk – Aktuelles, freier Mitarbeiter)
Matthias Friebe, Jahrgang 1987, Journalist, studierte Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Münster und Duisburg-Essen. Volontariat bei domradio.de und Ausbildung an der Journalistenschule ifp in München. Danach arbeitete er als Moderator und Redakteur für WDR, Deutschlandfunk und domradio.de. Heute ist er Redakteur in der Sportredaktion des Deutschlandfunks.