Stefan Heinlein: Es war ein steiniger Weg, mühsam und nicht ohne Streit. Heute vor zehn Jahren schließlich gab es grünes Licht für die Einführung des Euro. Ein Sondergipfel von elf europäischen Staats- und Regierungschefs, ein historischer Beschluss, der Grundstein für die lange erträumte Währungsunion. Genau ein Jahrzehnt danach verzichtet Brüssel jedoch in diesen Tagen auf Feierlichkeiten. Noch immer ist nur gut die Hälfte der inzwischen 27 EU-Staaten Teil der Euro-Zone. Auch vielen Bürgern ist nicht nach Feiern zumute. Sie fürchten weiter um die Stabilität der Gemeinschaftswährung. Hartnäckig wird der Euro zudem als Teuro empfunden.
Jean-Claude Juncker ist Premierminister von Luxemburg und Vorsitzender der Euro-Gruppe. Guten Morgen, Herr Juncker!
Jean-Claude Juncker: Guten Morgen!
Heinlein: Sie waren dabei, damals vor zehn Jahren auf dem Sondergipfel in Brüssel. Sind Sie heute noch stolz auf die damalige Entscheidung?
Juncker: Auf die Entscheidung bin ich nach wie vor stolz, auf den Verlauf dieses Gipfels allerdings nicht, weil: Der endete fast im Streit, als es um die Ernennung des ersten EZB-Präsidenten ging. Aber stolz bin ich auf das, was entschieden wurde, was vorher geleistet wurde und was nachher passierte.
Heinlein: Es war also eine schwierige Nacht in Brüssel. Hätte das Projekt tatsächlich noch scheitern können an dieser Frage des EZB-Präsidenten?
Juncker: Nein. An dieser Frage hätte das wohl nicht scheitern können, aber schon an der Frage, ob wir uns auf dauerhafte Preisstabilität zu einigen wüssten. Sie dürfen nicht vergessen, dass dieses Ziel der Preisstabilität sehr lange umstritten war - zwischen Deutschen und Franzosen im Besonderen. Deshalb wurde dem Maastrichter Vertrag, der ja zur Währungsunion geführt hat, der Stabilitätspakt draufgesattelt, um die Stabilitätsverankerung der neuen Währung deutlicher zu machen. Und diese Zielsetzung war bis zum Schluss sehr umstritten.
Heinlein: Haben sich denn Ihre damaligen Erwartungen, wenn Sie zurückblicken, heute vor zehn Jahren an die Währungsunion erfüllt?
Juncker: Ich muss sagen, dass sich allgemein und im Groben alle Erwartungen erfüllt haben. Die Transaktionskosten sind weggefallen. Das hat den Warenaustausch in Europa billiger gemacht. Wir haben relative Preisstabilität erreicht, weil: Die durchschnittliche Inflationsrate in den Jahren der Euro-Zeit liegt bei zwei Prozent. Das war in den 80er und 90er Jahren eine wesentlich höhere Zahl. Die Haushaltsdefizite, die Haushaltslücken, sind wesentlich abgebaut worden. Wir haben ein durchschnittliches Haushaltsdefizit von 0,6 Prozent im Jahre 2007 in der Euro-Zone gehabt. Dies war in den 80er und 90er Jahren sechs- oder siebenmal höher. Die Zinsen seit Einführung des Euros sind auf historisch niedrigen Ständen angelangt, auch heute noch, wenn ich mir das von der realen Zinszeit her ansehe. Wir haben 16 Millionen Arbeitsplätze in diesen zehn Jahren schaffen können, wobei uns vorausgesagt worden war, der Euro werde sich zum regelrechten kontinentalen Jobkiller entwickeln. Die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen, uns war vorausgesagt worden, sie würde nach oben schnellen. Insgesamt kann ich nicht erkennen, was an diesem Projekt falsch gewesen wäre - auch deshalb nicht, weil dieser Euro uns ja gegen externe Schocks in einem unwahrscheinlichen Maße geschützt hat.
Heinlein: Herr Juncker, welche Rolle spielt denn der Euro auch heute noch für die europäische Integration, für die europäische Einheit? Ist er mehr als ein Symbol?
Juncker: Von mir gibt es den Satz, wenn ich mich selbst zitieren darf - das ist mir fast peinlich, ich mache das liebend gerne -, dass der Euro Friedenspolitik mit anderen Mitteln wäre. Und daran glaube ich! Europa ist nicht nur Macht. Europa ist nicht nur Warenaustausch. Europa ist nicht nur gemeinsame Außenpolitik. Europa ist auch Friedenspolitik, und die wird unterlegt durch gemeinsame Projekte. Und der Euro ist ein derartiges Projekt. Man kann das Projekt Europa mit Händen greifen durch die Einführung des Euro. Ich gehöre nicht zu den Naiven, die denken, der Euro hätte alle Probleme gelöst. Ich weiß auch, dass es in der Folge der Euro-Einführung zu Preissteigerungen und Preisaufschlägen gekommen ist, die es nicht hätte geben dürfen. Das war aber nicht die Schuld des Euros, sondern der Akteure im wirtschaftlichen Umfeld.
Heinlein: Also ist es durchaus eine Tatsache, dass der Euro als Teuro empfunden werden kann, weil es diese Preissteigerungen gab?
Juncker: Das ist so. Diese Preissteigerungen, die es gegeben hat und die eigentlich flächendeckend waren, haben dem Euro eigentlich diesen unglücklichen Beinamen Teuro eingebracht. In der Sache ist es ja nicht so gewesen, dass die Inflation wesentlich angestiegen wäre. Alle Zahlen zeigen, dass dies eben nicht der Fall war. Aber weil vor allem die Lebensmittelbranche und ähnlich gelagerte Branchen betroffen waren, hat sich im Konsumpublikum, wenn ich das mal so sagen darf, diese Ansicht durchgesetzt. Die ist nicht stimmig, und sie stimmt nicht.
Man muss ja auch sehen: Wenn es den Euro nicht gäbe, dann hätte es unwahrscheinliche Währungskrisen im Europa der letzten zehn Jahre gegeben. Was denken Sie, was in Europa und im europäischen Währungssystem passiert wäre am 11. September 2001? Was wäre mit der Deutschen Mark und mit der italienischen Lira genau an dem Tag passiert? Was denken Sie, wäre im europäischen Währungssystem los gewesen während des Irak-Krieges? Was wäre eigentlich passiert mit der niederländischen und der französischen Währung an dem Tag, als beide Länder per Volksabstimmung nein gesagt haben zum europäischen Verfassungsvertrag? All dies hätte zu unwahrscheinlichen Verwerfungen und Verzerrungen im europäischen Währungssystem geführt. Der jetzige massive Anstieg der Ölpreise hätte das Benzin unendlich teuerer an der Pumpe gemacht, als es jetzt ist, und Gott weiß, dass es jetzt schon teuer genug ist. In Dollar ausgedrückt ist der Ölpreis seit Oktober 2000 um über 280 Prozent nach oben geschnellt, von 30 auf 120 Dollar. Er hat sich vervierfacht. In Euro ausgedrückt hat sich der Ölpreis nur verzweifacht. Das sollten viele bedenken, die am Euro nur Teuro-Aspekte sehen.
Heinlein: Über den Höhenflug des Euro müssen wir sicherlich gleich noch sprechen. Aber zunächst würde ich gerne zurückkommen zu Ihrem Zitat, der Euro ist Friedenspolitik mit anderen Mitteln. Das ist ja ein hoher Anspruch. Ist es vor diesem Hintergrund ein Manko, dass nur rund die Hälfte der aktuell 27 EU-Staaten Teil der Euro-Zone ist?
Juncker: Das Projekt ist ein Angebot an alle und gilt für alle. Im Lissaboner Reformvertrag wird der Euro und die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als eine der Zielsetzungen der Europäischen Union beschrieben. Alle 27 - Briten inklusive - akzeptieren, dass der Euro zu einem tragenden Element der europäischen Integration geworden ist. Dass nicht alle daran teilnehmen können, hat damit zu tun, dass der Euro sehr wohl auf seine Stabilitätsverankerung achten muss, und die Väter des Maastrichter Vertrages haben ja Sorge dafür getragen, dass man bestimmte Konvergenzkriterien erfüllen muss, bevor man überhaupt der Euro-Zone beitreten kann. Darauf haben wir großen Wert gelegt, die Deutschen, die Niederländer, die Luxemburger, dass dies keine weiche Währung wird, sondern eine stabile Währung bleibt. Deshalb muss man fitt und flott sein, um dieser Zone beitreten zu können.
Heinlein: Aber hat der Euro dadurch nicht eine unsichtbare Grenze durch Europa gezogen? Hier auf der Seite die Staaten der Euro-Zone und dann diejenigen, die bei der Währungsunion nicht dabei sind.
Juncker: Dieses Risiko gibt es sehr wohl, und die Euro-Staaten müssen darauf bedacht sein, dass dieses Gefühl nicht sich in den Köpfen der Nicht-Euro-Mitgliedsstaaten immer mehr durchsetzt. Als Euro-Gruppenvorsitzender gebe ich mir jede Mühe der Welt, um die Nicht-Euro-Regierungen stets auf dem Laufenden dessen zu halten, was wir in der Euro-Gruppe an gemeinsamer Politik untereinander verabreden. Aber es ist ja nicht so, dass die anderen Mitgliedsstaaten nicht in die Euro-Zone dürften. Es ist genau so, dass sie eigentlich alles tun müssen, um in diese Euro-Zone zu gelangen. Alle Konvergenz- und Haushaltskonsolidierungsanstrengungen müssen sie erledigen, um Aufnahme in diesen Klub zu finden. Wenn wir jetzt per politischem Mufti-Beschluss einfach zusätzliche Mitglieder in der Euro-Zone aufnehmen würden, die die Bedingungen, vor allem die Stabilitätsbedingungen nicht erfüllen, dann liefen wir Gefahr, dass die Inflation in der Euro-Zone ansteigt. Dies kann nicht unser Anliegen sein.
Heinlein: Was bleibt noch zu tun, wenn wir auf die Zukunft blicken? Die Geldpolitik wird ja bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt gemacht, aber die Wirtschafts- und Haushaltspolitik ist nach wie vor die Domäne der nationalen Regierungen. Ist das ein Manko? Bleibt hier der europäische Integrationsgedanke dauerhaft auf der Strecke?
Juncker: Ich halte dies nicht unbedingt für ein Manko. Ich finde es zum einen gut, dass die Befugnisse der Europäischen Zentralbank im Vertragswerk so angelegt sind, dass die Europäische Zentralbank ohne Weisung durch Dritte - auch nicht durch Regierungen - eine unabhängige Geldpolitik formulieren kann. Dafür muss man immer wieder kämpfen, weil es stets den Versuch gibt, die Unabhängigkeit der Bank einzuschränken.
Dass Wirtschaftspolitik nationale Angelegenheit bleibt, ist ein Ding der Selbstverständlichkeit. Man kann die Wirtschaftspolitik der jetzt 15 Euro-Mitgliedsstaaten nicht einfach zentral diktieren und regulieren. Was man muss - und darum kümmert sich ja die Euro-Gruppe - ist, dass man die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten stärker miteinander verzahnt, viel besser koordiniert. Darum bemühen wir uns durch gemeinsam herbeigeführte Beschlüsse, die dann in den 15 Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Wer jetzt eine zentrale Wirtschaftsregierung in Brüssel auf die Beine stellen möchte, der wird an diesem Anspruch scheitern. Unabhängige Geldpolitik und streng koordinierte Wirtschaftspolitik, das ist die Vertragslösung, auf die wir uns '91 in Maastricht geeinigt haben, und die macht ihren Weg.
Heinlein: Eine leichte Frage zum Schluss, Herr Juncker: Jeder zweite Deutsche hat auch heute noch die D-Mark im Kopf - ich habe es eingangs gesagt - und rechnet um 1 zu 2 in den Euro. Rechnen Sie auch persönlich immer noch in Franc und Centime? Bei Ihnen wäre das, glaube ich, 1 zu 40.
Juncker: Ja, das kommt mir vor. Aber das möchte ich bitten, als Satz nicht auszustrahlen.
Heinlein: Okay. Heute Morgen im Deutschlandfunk der Premierminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Jean-Claude Juncker ist Premierminister von Luxemburg und Vorsitzender der Euro-Gruppe. Guten Morgen, Herr Juncker!
Jean-Claude Juncker: Guten Morgen!
Heinlein: Sie waren dabei, damals vor zehn Jahren auf dem Sondergipfel in Brüssel. Sind Sie heute noch stolz auf die damalige Entscheidung?
Juncker: Auf die Entscheidung bin ich nach wie vor stolz, auf den Verlauf dieses Gipfels allerdings nicht, weil: Der endete fast im Streit, als es um die Ernennung des ersten EZB-Präsidenten ging. Aber stolz bin ich auf das, was entschieden wurde, was vorher geleistet wurde und was nachher passierte.
Heinlein: Es war also eine schwierige Nacht in Brüssel. Hätte das Projekt tatsächlich noch scheitern können an dieser Frage des EZB-Präsidenten?
Juncker: Nein. An dieser Frage hätte das wohl nicht scheitern können, aber schon an der Frage, ob wir uns auf dauerhafte Preisstabilität zu einigen wüssten. Sie dürfen nicht vergessen, dass dieses Ziel der Preisstabilität sehr lange umstritten war - zwischen Deutschen und Franzosen im Besonderen. Deshalb wurde dem Maastrichter Vertrag, der ja zur Währungsunion geführt hat, der Stabilitätspakt draufgesattelt, um die Stabilitätsverankerung der neuen Währung deutlicher zu machen. Und diese Zielsetzung war bis zum Schluss sehr umstritten.
Heinlein: Haben sich denn Ihre damaligen Erwartungen, wenn Sie zurückblicken, heute vor zehn Jahren an die Währungsunion erfüllt?
Juncker: Ich muss sagen, dass sich allgemein und im Groben alle Erwartungen erfüllt haben. Die Transaktionskosten sind weggefallen. Das hat den Warenaustausch in Europa billiger gemacht. Wir haben relative Preisstabilität erreicht, weil: Die durchschnittliche Inflationsrate in den Jahren der Euro-Zeit liegt bei zwei Prozent. Das war in den 80er und 90er Jahren eine wesentlich höhere Zahl. Die Haushaltsdefizite, die Haushaltslücken, sind wesentlich abgebaut worden. Wir haben ein durchschnittliches Haushaltsdefizit von 0,6 Prozent im Jahre 2007 in der Euro-Zone gehabt. Dies war in den 80er und 90er Jahren sechs- oder siebenmal höher. Die Zinsen seit Einführung des Euros sind auf historisch niedrigen Ständen angelangt, auch heute noch, wenn ich mir das von der realen Zinszeit her ansehe. Wir haben 16 Millionen Arbeitsplätze in diesen zehn Jahren schaffen können, wobei uns vorausgesagt worden war, der Euro werde sich zum regelrechten kontinentalen Jobkiller entwickeln. Die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen, uns war vorausgesagt worden, sie würde nach oben schnellen. Insgesamt kann ich nicht erkennen, was an diesem Projekt falsch gewesen wäre - auch deshalb nicht, weil dieser Euro uns ja gegen externe Schocks in einem unwahrscheinlichen Maße geschützt hat.
Heinlein: Herr Juncker, welche Rolle spielt denn der Euro auch heute noch für die europäische Integration, für die europäische Einheit? Ist er mehr als ein Symbol?
Juncker: Von mir gibt es den Satz, wenn ich mich selbst zitieren darf - das ist mir fast peinlich, ich mache das liebend gerne -, dass der Euro Friedenspolitik mit anderen Mitteln wäre. Und daran glaube ich! Europa ist nicht nur Macht. Europa ist nicht nur Warenaustausch. Europa ist nicht nur gemeinsame Außenpolitik. Europa ist auch Friedenspolitik, und die wird unterlegt durch gemeinsame Projekte. Und der Euro ist ein derartiges Projekt. Man kann das Projekt Europa mit Händen greifen durch die Einführung des Euro. Ich gehöre nicht zu den Naiven, die denken, der Euro hätte alle Probleme gelöst. Ich weiß auch, dass es in der Folge der Euro-Einführung zu Preissteigerungen und Preisaufschlägen gekommen ist, die es nicht hätte geben dürfen. Das war aber nicht die Schuld des Euros, sondern der Akteure im wirtschaftlichen Umfeld.
Heinlein: Also ist es durchaus eine Tatsache, dass der Euro als Teuro empfunden werden kann, weil es diese Preissteigerungen gab?
Juncker: Das ist so. Diese Preissteigerungen, die es gegeben hat und die eigentlich flächendeckend waren, haben dem Euro eigentlich diesen unglücklichen Beinamen Teuro eingebracht. In der Sache ist es ja nicht so gewesen, dass die Inflation wesentlich angestiegen wäre. Alle Zahlen zeigen, dass dies eben nicht der Fall war. Aber weil vor allem die Lebensmittelbranche und ähnlich gelagerte Branchen betroffen waren, hat sich im Konsumpublikum, wenn ich das mal so sagen darf, diese Ansicht durchgesetzt. Die ist nicht stimmig, und sie stimmt nicht.
Man muss ja auch sehen: Wenn es den Euro nicht gäbe, dann hätte es unwahrscheinliche Währungskrisen im Europa der letzten zehn Jahre gegeben. Was denken Sie, was in Europa und im europäischen Währungssystem passiert wäre am 11. September 2001? Was wäre mit der Deutschen Mark und mit der italienischen Lira genau an dem Tag passiert? Was denken Sie, wäre im europäischen Währungssystem los gewesen während des Irak-Krieges? Was wäre eigentlich passiert mit der niederländischen und der französischen Währung an dem Tag, als beide Länder per Volksabstimmung nein gesagt haben zum europäischen Verfassungsvertrag? All dies hätte zu unwahrscheinlichen Verwerfungen und Verzerrungen im europäischen Währungssystem geführt. Der jetzige massive Anstieg der Ölpreise hätte das Benzin unendlich teuerer an der Pumpe gemacht, als es jetzt ist, und Gott weiß, dass es jetzt schon teuer genug ist. In Dollar ausgedrückt ist der Ölpreis seit Oktober 2000 um über 280 Prozent nach oben geschnellt, von 30 auf 120 Dollar. Er hat sich vervierfacht. In Euro ausgedrückt hat sich der Ölpreis nur verzweifacht. Das sollten viele bedenken, die am Euro nur Teuro-Aspekte sehen.
Heinlein: Über den Höhenflug des Euro müssen wir sicherlich gleich noch sprechen. Aber zunächst würde ich gerne zurückkommen zu Ihrem Zitat, der Euro ist Friedenspolitik mit anderen Mitteln. Das ist ja ein hoher Anspruch. Ist es vor diesem Hintergrund ein Manko, dass nur rund die Hälfte der aktuell 27 EU-Staaten Teil der Euro-Zone ist?
Juncker: Das Projekt ist ein Angebot an alle und gilt für alle. Im Lissaboner Reformvertrag wird der Euro und die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als eine der Zielsetzungen der Europäischen Union beschrieben. Alle 27 - Briten inklusive - akzeptieren, dass der Euro zu einem tragenden Element der europäischen Integration geworden ist. Dass nicht alle daran teilnehmen können, hat damit zu tun, dass der Euro sehr wohl auf seine Stabilitätsverankerung achten muss, und die Väter des Maastrichter Vertrages haben ja Sorge dafür getragen, dass man bestimmte Konvergenzkriterien erfüllen muss, bevor man überhaupt der Euro-Zone beitreten kann. Darauf haben wir großen Wert gelegt, die Deutschen, die Niederländer, die Luxemburger, dass dies keine weiche Währung wird, sondern eine stabile Währung bleibt. Deshalb muss man fitt und flott sein, um dieser Zone beitreten zu können.
Heinlein: Aber hat der Euro dadurch nicht eine unsichtbare Grenze durch Europa gezogen? Hier auf der Seite die Staaten der Euro-Zone und dann diejenigen, die bei der Währungsunion nicht dabei sind.
Juncker: Dieses Risiko gibt es sehr wohl, und die Euro-Staaten müssen darauf bedacht sein, dass dieses Gefühl nicht sich in den Köpfen der Nicht-Euro-Mitgliedsstaaten immer mehr durchsetzt. Als Euro-Gruppenvorsitzender gebe ich mir jede Mühe der Welt, um die Nicht-Euro-Regierungen stets auf dem Laufenden dessen zu halten, was wir in der Euro-Gruppe an gemeinsamer Politik untereinander verabreden. Aber es ist ja nicht so, dass die anderen Mitgliedsstaaten nicht in die Euro-Zone dürften. Es ist genau so, dass sie eigentlich alles tun müssen, um in diese Euro-Zone zu gelangen. Alle Konvergenz- und Haushaltskonsolidierungsanstrengungen müssen sie erledigen, um Aufnahme in diesen Klub zu finden. Wenn wir jetzt per politischem Mufti-Beschluss einfach zusätzliche Mitglieder in der Euro-Zone aufnehmen würden, die die Bedingungen, vor allem die Stabilitätsbedingungen nicht erfüllen, dann liefen wir Gefahr, dass die Inflation in der Euro-Zone ansteigt. Dies kann nicht unser Anliegen sein.
Heinlein: Was bleibt noch zu tun, wenn wir auf die Zukunft blicken? Die Geldpolitik wird ja bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt gemacht, aber die Wirtschafts- und Haushaltspolitik ist nach wie vor die Domäne der nationalen Regierungen. Ist das ein Manko? Bleibt hier der europäische Integrationsgedanke dauerhaft auf der Strecke?
Juncker: Ich halte dies nicht unbedingt für ein Manko. Ich finde es zum einen gut, dass die Befugnisse der Europäischen Zentralbank im Vertragswerk so angelegt sind, dass die Europäische Zentralbank ohne Weisung durch Dritte - auch nicht durch Regierungen - eine unabhängige Geldpolitik formulieren kann. Dafür muss man immer wieder kämpfen, weil es stets den Versuch gibt, die Unabhängigkeit der Bank einzuschränken.
Dass Wirtschaftspolitik nationale Angelegenheit bleibt, ist ein Ding der Selbstverständlichkeit. Man kann die Wirtschaftspolitik der jetzt 15 Euro-Mitgliedsstaaten nicht einfach zentral diktieren und regulieren. Was man muss - und darum kümmert sich ja die Euro-Gruppe - ist, dass man die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten stärker miteinander verzahnt, viel besser koordiniert. Darum bemühen wir uns durch gemeinsam herbeigeführte Beschlüsse, die dann in den 15 Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Wer jetzt eine zentrale Wirtschaftsregierung in Brüssel auf die Beine stellen möchte, der wird an diesem Anspruch scheitern. Unabhängige Geldpolitik und streng koordinierte Wirtschaftspolitik, das ist die Vertragslösung, auf die wir uns '91 in Maastricht geeinigt haben, und die macht ihren Weg.
Heinlein: Eine leichte Frage zum Schluss, Herr Juncker: Jeder zweite Deutsche hat auch heute noch die D-Mark im Kopf - ich habe es eingangs gesagt - und rechnet um 1 zu 2 in den Euro. Rechnen Sie auch persönlich immer noch in Franc und Centime? Bei Ihnen wäre das, glaube ich, 1 zu 40.
Juncker: Ja, das kommt mir vor. Aber das möchte ich bitten, als Satz nicht auszustrahlen.
Heinlein: Okay. Heute Morgen im Deutschlandfunk der Premierminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.