Tobias Armbrüster: Bernd Lucke war Mitbegründer der AfD und immer einer der schärfsten Kritiker der Griechenland-Hilfen. Inzwischen ist er aus seiner alten Partei ausgetreten und sitzt für die Liberal-Konservativen Reformer im Europaparlament. Er ist dort Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Ich habe ihn kurz vor der Sendung gefragt, ob das heute ein guter Tag für Griechenland war.
Bernd Lucke: Die meisten Ziele der Rettungspolitik sind ja nicht erreicht worden. Ich will nur ein Beispiel nennen: Man wollte ja eigentlich den Schuldenstand Griechenlands vermindern. Tatsächlich ist die Schuldenquote Griechenlands heute sehr viel höher als zu Beginn der Rettung. Und trotz eines enormen Schuldenerlasses von über 100 Milliarden Euro sind die griechischen Staatsschulden praktisch immer noch auf demselben Niveau wie 2010.
Armbrüster: Nun haben wir aber in den vergangenen Jahren gesehen, dass Griechenland sich durchaus zubewegt hat auf die Zahlen im übrigen Europa, dass beispielsweise dort auch wieder ein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen ist. Kann man nicht sagen, ja, Griechenland ist immer noch ziemlich am Boden, aber das Land steht zumindest nicht am Abgrund?
Lucke: Nein, das kann man so nicht sagen, und ich widerspreche auch Ihrer Behauptung, dass Griechenland sich irgendwie zubewegt hat auf die anderen Staaten im Europa. Im Gegenteil! Griechenland wird weiter abgehängt. Griechenland hatte im Jahre 2017 nach acht Jahren das erste Mal ein bisschen Wirtschaftswachstum, wie Sie es richtig sagen, von 1,4 Prozent. Aber seine unmittelbaren Nachbarn Bulgarien und Rumänien hatten Wachstumsraten von vier Prozent und sieben Prozent.
Die Weltkonjunktur ist zurzeit gut und die meisten Staaten in Europa wachsen kräftig. Griechenland wächst ausgesprochen schwach und diese 1,4 Prozent sind sehr, sehr mager, wenn man bedenkt, dass das griechische Bruttoinlandsprodukt davor um 25 Prozent gefallen ist. Da bleibt immer noch ein Einkommensverlust von ungefähr 23,6 Prozent.
"Griechenland hätte den Euro verlassen sollen"
Armbrüster: Was sollte stattdessen passieren?
Lucke: Griechenland hätte den Euro verlassen sollen, damit die griechische Wirtschaft durch eine Abwertung hätte belebt werden können.
Armbrüster: Aber, Herr Lucke, das wollten ja ganz offenbar die Griechen selbst nicht.
Lucke: Na ja. Wissen Sie, solange die Griechen das Geld bekommen, wirklich dreistellige Milliarden-Kredite, insgesamt 176 Milliarden Euro an Kredit, für die sie weder Zinsen zahlen müssen, noch Tilgung zahlen müssen nach den neuesten Beschlüssen bis zum Jahre 2033, solange man das Geld mehr oder weniger hinterhergeworfen bekommt, sagt man sich natürlich, warum sollte ich den Euro verlassen.
Aber diese ganze Politik, dass man Griechenland mit diesen Krediten stützt, widerspricht ja den europäischen Verträgen, widerspricht ja dem Nichtbeistandsgebot von Artikel 125 des AEU-Vertrages. Das war ja eigentlich der Sündenfall, dass man dagegen verstoßen hat und ein Land gestützt hat und es damit von seiner eigenen Verantwortung befreit hat.
Jetzt nach den neuen Beschlüssen wird Griechenland jedes Jahr ungefähr fünf Milliarden Euro an Gewinn der Europäischen Zentralbank ausgezahlt bekommen, noch nicht mal mehr als Kredit, sondern als Geschenk. Natürlich wollen die Griechen unter solchen Bedingungen den Euro nicht verlassen.
"2012 hatte Griechenland eine Staatspleite"
Armbrüster: Jetzt haben wir allerdings damals, zu Beginn dieser Krise vor acht Jahren, auch immer wieder gehört, diese ganze Geschichte, die Griechenland-Krise, die würde die Eurozone in den Abgrund reißen. Das war damals auch der Beginn einer ganz neuen Bewegung, auch hier in Deutschland. Ihre ehemalige Partei, die AfD, die ist damit groß geworden. Wenn man jetzt mal ganz ehrlich ist, muss man nicht heute, acht Jahre später sagen, da war auch viel Schwarzmalerei mit im Spiel?
Lucke: Die Sache mit in den Abgrund reißen, das war ja die Bundesregierung, die das immer behauptet hat. Die hat behauptet, ein griechischer Staatsbankrott würde die ganze Eurozone in den Abgrund reißen, und deshalb müssen wir Griechenland helfen, deshalb müssen wir diese enormen Mittel an Krediten aufbringen und Griechenland gegenüber solidarisch sein - so wurde das hier immer verkauft -, damit uns Griechenland nicht in den Abgrund reißt.
Aber das war ja falsch. Das haben wir dann auch im Jahre 2012 festgestellt. Denn im Jahre 2012 hatte Griechenland ja eine Staatspleite, eine Staatsinsolvenz. Im Jahre 2012 hat Griechenland einen Schuldenerlass von 107 Milliarden Euro bekommen. Das ist nichts anderes als eine Staatspleite. Die haben ihre Schulden einfach nicht zurückgezahlt und 107 Milliarden Euro sind ihnen erlassen worden, und nichts ist in den Abgrund gezogen worden. Die Eurozone hat das fantastisch überstanden. Die meisten Bürger haben das überhaupt nicht bemerkt, dass so etwas passiert ist. Die Schwarzmalerei ist von der Bundesregierung und von der Führung der Eurozone betrieben worden. Wir haben dem damals widersprochen und ich widerspreche dem auch heute.
"Die Eurozone hat gewissermaßen kapituliert"
Armbrüster: Hat die EU denn irgendetwas aus dieser Krise gelernt?
Lucke: Nein, ich fürchte nicht. Denn das Problem ist ja auch, dass die EU ihre damaligen Ankündigungen nicht eingehalten hat und jetzt heute sogar stolz darauf ist. Damals wurde ja angekündigt, Griechenland bekommt die Kredite gegen strenge Auflagen, gegen Bedingungen, die Griechenland erfüllen muss. Als Griechenland dann diese Bedingungen beim Ende des zweiten Rettungsprogramms nicht erfüllt hatte, als man festgestellt hat, dass das zweite Rettungsprogramm nicht erfolgreich hat abgeschlossen werden können, weil Griechenland die Auflagen nicht erfüllt hat, da hat Griechenland sofort ein drittes Rettungspaket bekommen.
Die Eurozone hat gewissermaßen kapituliert und hat Griechenland signalisiert: Was auch immer in Griechenland passiert, ob sich Griechenland anstrengt, ob es Reformen durchführt, ob es die Auflagen erfüllt, oder es nicht tut, Griechenland wird immer Kredit bekommen. Und ich kann nicht erkennen, dass die Eurozone gelernt hat, dass das eine falsche Politik ist.
Armbrüster: Jetzt stellen Sie hier Griechenland und auch der EU ein ziemlich schlechtes Zeugnis aus nach diesem Rettungsprogramm. Vom Bund der deutschen Industrie hören wir da heute etwas ganz anderes. Da heißt es, Griechenland wird an Attraktivität für deutsche Unternehmen gewinnen, das gute Ende der europäischen Hilfsprogramme ist ein positives Signal für Griechenland selbst und für die EU insgesamt. Das sagt der BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang heute. Liegt der völlig falsch?
Lucke: Ja. Ich glaube, der liegt völlig falsch, und ich möchte auch mal wirklich sehen, dass diesen wohlfeilen Ankündigungen dann Taten folgen. Dann soll der Geschäftsführer doch bitte mal sagen, welche Unternehmen denn nun in großem Umfang in Griechenland investieren, welche deutschen Unternehmen das tun.
Diese Meldung, in Griechenland geht es aufwärts und es wird alles besser, Hurra, wir haben die Wende geschafft, die haben wir nun seit acht Jahren gehört. Es ist ja geradezu absurd zum Teil zu vergleichen, was immer an positiven Wasserstandsmeldungen von beispielsweise der EU-Kommission oder von der Bundesregierung in die Medien hinausposaunt worden ist und wie düster dann die Realität aussah.
"Das Reduzieren der Staatsausgaben hat die Konjunktur abgewürgt"
Armbrüster: Glauben Sie denn, dass Griechenland bald neue Kredite braucht?
Lucke: Ja. Griechenland braucht dann neue Kredite, wenn es diese Reserve, diesen Puffer von ungefähr 20 Milliarden Euro, den man ihnen jetzt erst mal vorsichtshalber bewilligt hat, aufgebraucht hat. Man hat es ja ganz geschickt gemacht. Man hat so getan, als würde Griechenland das Programm jetzt verlassen, aber tatsächlich hat Griechenland noch einen großen Sack Geld bekommen, den es jetzt erst mal ausgeben kann.
Armbrüster: Wird der aufgebraucht? Meinen Sie das?
Lucke: Das werden wir ja sehen, wie die griechische Regierung sich dort anstellt. Wissen Sie, ich will nicht alles schlechtreden. Es ist in Griechenland auch was passiert, nämlich man hat in Griechenland die Staatsausgaben ganz massiv reduziert, und damit hat man die Neuverschuldung in Griechenland ebenfalls runtergefahren.
Das Problem ist allerdings, dass durch das Reduzieren der Staatsausgaben die griechische Konjunktur vollständig abgewürgt worden ist und dann ein Einbruch in der Wirtschaftsleistung von 25 Prozent zu verzeichnen gewesen ist. Man hat es nicht geschafft, die Staatseinnahmen in Griechenland zu erhöhen. Obwohl die Steuern erhöht worden sind, obwohl die Qualität der Steuereintreibung verbessert worden ist, sind die Steuereinnahmen Griechenlands heute niedriger, als sie das 2010 gewesen sind, weil das Bruttoinlandsprodukt so stark zurückgegangen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.