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Europa als Transfer-Union
"Geldumverteilung allein wird noch keine Arbeitsplätze schaffen"

Die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Geldumverteilung in Europa seien nicht geeignet, die Wirtschaft anzukurbeln, sagte der FDP-Abgeordnete Florian Toncar im Dlf. Anstelle "haufenweise Programme" zur Strukturförderung aufzulegen, müsse das Prinzip gelten: "Wer handelt, der haftet."

Florian Toncar im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Florian Toncar, FDP
    Der FDP-Bundestagsabgeordnete Florian Toncar will einen Insolvenzmechanismus für Staaten sowie die Schlupflöcher in der Bankenabwicklung schließen (imago/Thomas Koehler)
    Christoph Heinemann: Wenn Angela Merkel sich mit den Liberalen, also der FDP verbündet, bin ich tot. Das soll Emmanuel Macron einem Vertrauten gesagt haben. Das berichtete Le Monde. – Am Telefon ist der frisch wiedergewählte FDP-Bundestagsabgeordnete Florian Toncar, ehemaliges Mitglied der Europa-Union, Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages. Guten Morgen!
    Florian Toncar: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Toncar, Sie sind Rechtsanwalt. Angesichts von Präsident Macrons Befürchtungen, reizt Sie das Bestattungsgewerbe?
    Toncar: Ich glaube, man kann Herrn Macron da beruhigen. Die FDP ist eine proeuropäische Partei, vollkommen klar, und wir wollen gestalten, wie er im Übrigen auch. Die Grundhaltung der Reformen, das teilen wir mit ihm, und dann wird natürlich diskutiert und da wird es immer auch Unterschiede geben. Aber wir gehen mit einer ähnlichen Haltung wie er heran, nämlich Dinge ändern, Dinge anpacken.
    Heinemann: Wieviel Macron geht mit der FDP?
    Toncar? Bitte?
    Heinemann: Wieviel Macron geht mit der FDP?
    Toncar: Nun ja, wir haben natürlich Bereiche, in denen wir sehr ähnlich denken, in der Sicherheitspolitik, seine Vorschläge auch im Bereich Asyl, Grenzschutz, Verteidigung, digitaler Binnenmarkt. Da ist ja sehr viel, was er vorgeschlagen hat, wo wir ähnlich argumentieren. Der Hauptunterschied liegt sicherlich in der Zukunft der Eurozone. Da ist es in der Tat so, dass wir dagegen sind, dass es einen automatischen Umverteilungsmechanismus in Europa gibt.
    Kein garantierter Gewinn ohne Verlustrisiko
    Heinemann: Ihr Parteifreunde Wolfgang Kubicki hat das jetzt mal sehr plastisch ausgedrückt. Die Idee, dass Deutschland alles bezahlen soll, die hätte ich als französischer Politiker auch, sagt Wolfgang Kubicki. Also die Frage: Läuft jetzt bei Macron vieles auf mehr Transfer hinaus?
    Toncar: Na ja, das Eurozonen-Budget, das er so vorschlägt, ist natürlich genau das. Uns geht es darum, dass Handeln und Haftung wieder in einer Hand liegen, dass der, der investiert, auch ein Risiko trägt, dass auch Staaten, die mehr Geld ausgeben, Verantwortung dafür tragen, dass sie sich finanziell nicht übernehmen. Das ist kein, jetzt anhand von nationalen Grenzen bestimmter Gegensatz, sondern das ist ein Programmsatz, der sagt, wer handelt, der haftet auch dafür.
    Heinemann: Ist das eine Absage auf europäischer Ebene an den Begriff Solidarität?
    Toncar: Ganz und gar nicht. Wenn Solidarität darin besteht, dass ein Investor risikofrei gestellt wird für sein Investment, dann würde ich sagen, pervertiert das den Begriff der Solidarität doch. Solidarität muss doch heißen, wer Geld investiert, wer einem Staat Geld leiht beispielsweise, der trägt auch ein Risiko. Wenn er sich falsch entschieden hat, dann muss er auch Verluste tragen. Wenn man risikofrei investieren kann, wo ist da Solidarität.
    Heinemann: Was meinen Sie jetzt mit risikofrei investieren? Das habe ich noch nicht verstanden.
    Toncar: Ein Investor, eine Bank, eine große Versicherung, die einem Staat Geld leiht und die immer davon ausgehen kann, dass jemand dafür einstehen wird, dass dieser Staat das Geld auch zurückzahlt, die kann risikofrei investieren. Sie hat einen garantierten Gewinn ohne Verlustrisiko. Das hat man sonst nirgends und das ist ja keine Solidarität, jedenfalls nicht die Solidarität, die ich mir vorstelle.
    "Es fehlt nicht an staatlichen Programmen"
    Heinemann: Bei Macron geht es doch gar nicht um Banken. Es geht zum Beispiel um hohe Arbeitslosigkeit, und das ist ein Problem, mit dem viele Länder zu kämpfen haben, auch gerade hohe Jugendarbeitslosigkeit. Noch mal: Muss man da nicht Solidarität üben?
    Toncar: Es gibt ja haufenweise Programme heute schon, wenn Sie die EU-Strukturförderung anschauen, wenn Sie den Juncker-Plan anschauen, wo die europäische Ebene Investitionen, wirtschaftliche Aktivitäten in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union fördert. Es fehlt nicht an staatlichen Programmen, es fehlt auch nicht an staatlichen Absichten. Es fehlt an den Strukturen, die nachher dazu führen, dass auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Das kann man ja nicht ins Gesetz schreiben, sondern das muss vor Ort wachsen.
    Heinemann: Aber es fehlt eine Folge.
    Toncar: Ja! Man muss natürlich darüber reden, wie Europa auch wirtschaftlich wettbewerbsfähiger werden kann. Da ist zum Beispiel das Thema digitaler Binnenmarkt, eine klare Regulierung auch der Internetwirtschaft, einer der Vorschläge von Herrn Macron, die interessant sind und die auch Wachstum schaffen können in Zukunft. Aber eine Geldumverteilung, die natürlich am Ende auch dazu führt, dass Investoren schadlos gestellt werden – das ist ja das Ziel -, die wird doch alleine noch keine Arbeitsplätze schaffen. Die wird die Unterschiede in der Eurozone eher erhalten, eher vertiefen, eher zementieren, als dass sie sie kleiner werden lässt.
    "Das Prinzip Handeln und Haften"
    Heinemann: Über die Digitalisierung sprechen wir in einer Stunde hier im Deutschlandfunk mit dem Medienmanager Christoph Keese. Jetzt noch mal zur Politik zurück, Herr Toncar. Welche Vorschläge von Macron könnten die Koalitionsverhandlungen belasten, vielleicht sogar endgültig zum Scheitern bringen?
    Toncar: Hier wird nichts belastet, sondern es gibt unterschiedliche Ansätze. Ich glaube, wir müssen eine Lösung für die Eurozone finden, die vernünftig ist, die funktioniert. Wir haben als Freie Demokraten zehn Trendwenden beschlossen auf unserem Bundesparteitag vor zehn Tagen, kurz vor der Wahl, und eine davon ist in der Tat, dass wir in der Eurozone das Prinzip Handeln und Haften, das Prinzip auch, dass wir einen Insolvenzmechanismus für Staaten brauchen, dass wir Schlupflöcher in der Bankenabwicklung schließen müssen. Das haben wir beschlossen, das ist uns auch ernst.
    Heinemann: Sieht nicht jeder so. Wir wollen hören, was der Europapolitiker Reinhard Bütikofer von Bündnis 90/Die Grünen bei uns im Deutschlandfunk gesagt hat.
    O-Ton Reinhard Bütikofer: "Ich finde, da fehlt jetzt noch eine Europarede. Drei wichtige sind gehalten worden in den letzten Wochen: von Juncker, von Macron, dann die Rede von Frau May in Florenz, das war eine Enttäuschung. Und jetzt fehlt die Berliner Rede."
    Heinemann: Bütikofer sagt das. – Herr Toncar, Juncker und Macron haben gesagt, mehr Geld, mehr Europa. Wäre, wenn man ehrlich sein wollte, nach Brüssel und Paris jetzt nicht eine Warschauer oder eine Budapester Rede fällig, das heißt eine ganz andere Sicht auf Europa?
    Toncar: Das ist richtig. Ich glaube, wir müssen auch die unterschiedlichen Herangehensweisen in Europa ganz offen diskutieren, und da gibt es natürlich auch eine Sicht aus Osteuropa, auch wenn uns das sehr irritiert, was in den beiden von Ihnen genannten Ländern in den letzten Jahren passiert ist. Aber ja, die Diskussion muss geführt werden.
    "Macron will gestalten, er will Europa auch voranbringen"
    Heinemann: Unterm Strich: Emmanuel Macron auf dem Königs- oder auf dem Holzweg?
    Toncar: Macron will gestalten, er will Europa auch voranbringen, und ich sehe darin eine Chance. Natürlich werden die unterschiedlichen Ansätze dadurch nicht sofort verschwinden. Im Bereich der Eurozone, meine ich, sind die Vorschläge nicht geeignet, die Strukturprobleme zu lösen, sondern da brauchen wir andere Ansätze, die auch eher die unternehmerische Initiative wieder stärker in den Vordergrund stellen.
    Heinemann: Herr Toncar, zum Schluss ein anderes Thema noch. Die Rheinische Post berichtet heute, FDP und Grüne hätten bereits einen gemeinsamen Fahrplan für die Sondierungen zur Jamaika-Koalition aufgestellt. Die offiziellen Gespräche sollten am 16. Oktober – das ist der Montag nach der Niedersachsen-Wahl – starten und etwa bis zum 24. Oktober abschließen. Können Sie das kurz noch bestätigen?
    Toncar: Das kann ich nicht bestätigen.
    Heinemann: Weil Sie es nicht wissen, oder weil es nicht stimmt?
    Toncar: Mir ist das nicht bekannt. Sie wissen, dass es manchmal Dinge gibt, die in den Medien auch kursieren und die noch nicht endgültig beschlossen sind, über die es noch keine klaren Vereinbarungen gibt, die Gerüchte sind. Ich kann diese Meldung nicht bestätigen und wir werden sicherlich in den nächsten Tagen auch einen zeitlichen Fahrplan bekommen. Das ist ja vollkommen klar. Aber der von Ihnen genannte, den kann ich nicht bestätigen.
    Heinemann: Der FDP-Bundestagsabgeordnete Florian Toncar. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Toncar: Herzlichen Dank, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.