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Europa
Gentechnik durch die Hintertür

Die meisten EU-Länder verzichten bislang auf den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Doch über den Import von Produkten kommt Gentechnik auch in Deutschland auf die Teller. In Brüssel wird über eine Importzulassung abgestimmt. Kritik kommt von den Grünen.

Von Karin Bensch und Claudia Plaß |
    Auf einem Acker bei Goslar in Niedersachsen werden Zuckerrüben verladen.
    Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, dass Produkte, die aus genetisch veränderten Zuckerrüben herstellt werden, weiterhin in Europa erlaubt bleiben sollen (imago/Martin Wagner)
    Es geht um die gentechnisch veränderte Zuckerrübe H7-1. Genauer gesagt, um Futter- und Lebensmittel, die aus genau dieser Zuckerrübe gewonnen werden, wie zum Beispiel Zucker, Rübenschnitzel und Melasse, ein dunkelbrauner Zuckersirup: Produkte also, die verarbeitet sind und keine lebenden Pflanzenteile mehr enthalten.
    Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, dass Produkte, die aus dieser genetisch veränderten Zuckerrübe herstellt werden, weiterhin in Europa erlaubt bleiben sollen. Die Bundesregierung - zusammen mit zehn anderen EU-Ländern - gibt sich im Fall der Zuckerrübe genfreundlich und hat in einer Sitzung des zuständigen Fachausschusses im März bereits zugestimmt.
    In einem Sitzungsprotokoll heißt es dazu: "Deutschland hat mit seiner Zustimmung für Überraschung gesorgt."
    "Das wird immer stillschweigend verlängert"
    Überraschung auch bei den Grünen. Deutschland habe sich in der Vergangenheit bei ähnlichen Abstimmungen stets enthalten, heißt es. Noch ist keine qualifizierte Mehrheit für eine Neuzulassung zustande gekommen, deswegen wird über die Zuckerrübe in dieser Woche erneut beraten.
    Trotzdem befürchtet Martin Häusling, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, dass die EU-Kommission wahrscheinlich wieder für eine Verlängerung der Importzulassung entscheiden wird.
    "Eigentlich kann es so nicht weiter gehen, dass die Kommission so etwas immer durchwinkt. Es ist ja nicht die erste Zulassung. Wir haben ja mittlerweile knapp 150 Zulassungen für gentechnisch veränderte Produkte auf dem europäischen Markt. Das wird immer stillschweigend verlängert. Meistens vorbei an der Öffentlichkeit. Das ist eigentlich der Skandal!"
    Mitgliedsländer entscheiden selbst
    Das Bundeslandwirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage die deutsche Haltung im Fall der Zuckerrübe. Man habe der Erneuerung der Zulassung für Lebensmittel aus der gentechnisch veränderten Zuckerrübe H7-1 unter anderem deswegen zugestimmt, weil - Zitat - "die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA eine befürwortende Stellungnahme zu dem vorgelegten Vorschlag abgegeben hat."
    Außerdem sei weder Anbau noch Import lebender Pflanzenteile der Zuckerrübe erlaubt. Die Zustimmung zur Wiederzulassung war laut Agrarministerium unter anderem mit dem Bundesumweltministerium abgestimmt. Mit Verweis auf den Koalitionsvertrag heißt es zudem, man werde ein Gentechnik-Anbauverbot in Deutschland einheitlich regeln.
    Derzeit gilt die Regel: Die Mitgliedsländer entscheiden selbst, ob sie den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen beschränken oder verbieten. Bislang ist nur eine gentechnisch veränderte Pflanze in Europa zugelassen: der Mais MON810. Er wird in Spanien und Portugal angebaut. Alle anderen EU-Länder verzichten auf den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen.
    Immer mehr und immer kompliziertere Gen-Produkte
    Doch die Gentechnik kommt durch die Hintertür auf die Teller, kritisiert der grüne EU-Abgeordnete Häusling. Über Tierfutter, das zum Beispiel aus Südamerika nach Europa importiert wird. Gentechnisch verändertes Soja oder Sojamehl macht den größten Anteil aus. Es kommen immer mehr und immer kompliziertere Gen-Produkte nach Europa und das bekommt kaum jemand mit, warnt er.
    "Früher war ja eine gentechnische Veränderung, meistens das Gen, um resistent zu werden gegen Glyphosat. Mittlerweile kommen Sachen auf den Markt, die eine sechsfache, gentechnische Veränderung haben. Bei Mais und bei Soja gibt es aber keine neue Regelung, dass man das anders prüfen muss."
    Die Prüfung, Zulassung und Kennzeichnung müsse dringend geändert werden, fordert Häusling. Damit klarer wird, wo gentechnisch verändertes Material drin ist, und wo nicht. Damit Verbraucher selbst entscheiden können, was sie in den Einkaufswagen legen möchten und was nicht.