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Europa-Kolumne
Juncker, Cameron und die neue EU

Ab sofort ist die Europäische Union nicht mehr dieselbe. Wenn das Europaparlament in dieser Woche Jean-Claude Juncker als neuen EU-Kommissionspräsidenten bestätigt, darf es sich gleichzeitig als Sieger des jüngsten Machtkampfes betrachten. Zurecht.

Von Alois Berger |
    Der britische Premierminister David Cameron wendet Jean-Claude Juncker während einer Sitzung des Europäischen Rats den Rücken zu.
    Zwei, die sich nicht viel zu sagen haben: Der britische Premierminister David Cameron (li.) und Jean-Claude Juncker. (picture alliance / dpa / Olivier Hoslet)
    Denn zum erstenmal in der Geschichte wurde die wichtigste Personalie der EU nicht von den Regierungschefs im Hinterzimmer ausgehandelt.
    Jean-Claude Juncker wird Kommissionspräsident, weil die konservativen Parteien die Europawahlen gewonnen haben.
    In Großbritannien toben die Medien: Weil ihre Regierung überstimmt wurde, weil das bislang eiserne Prinzip der Einstimmigkeit in wichtigen Personalfragen diesmal gebrochen wurde. Auch in deutschen Medien findet man erstaunlich viel Kritik am Ende des Konsensprinzips in der EU.
    Natürlich ist es schön, wenn man solange diskutiert, bis sich alle einig sind. Wenn man nur Kandidaten aufstellt, mit denen jede Regierung leben kann. Das war in der Tat bislang ein prägender Zug europäischer Gipfel: Kein Regierungschef und keine Regierung wurde einfach übergangen. Niemand stand am Ende mit dem Rücken zur Wand - und niemand verlor sein Gesicht.
    Doch dieses Konsensprinzip wurde nicht vom Europäischen Parlament zerstört, auch nicht durch die deutsche Bundeskanzlerin oder den französischen Präsidenten. Zerstört hat es einzig und allein die britische Regierung. Wer über drei Jahrzehnte reflexhaft jeden Wunschkandidaten der anderen ablehnt, zwingt sie, irgendwann den Konsens doch aufzugeben. Jacques Santer, Romano Prodi, Manuel Barroso, Lady Ashton waren durchweg schwache Ersatzkandidaten, die alle nur zum Zuge kamen, weil sich Großbritannien zuvor gegen andere quergestellt hatte. Keiner dieser Ersatzkandidaten hat Europa vorwärtsgebracht.
    Die Regierung in London will verhindern, dass die EU weiter zusammenwächst. Das hat David Cameron ganz offen erklärt. Mit diesem Ziel ist er gescheitert, aber nicht, weil die anderen Regierungschefs unbedingt noch mehr Macht an Brüssel abgeben wollen. Darauf ist keiner scharf. Er ist gescheitert, weil neue Probleme neue Lösungen erfordern.
    Die Zeiten, in denen manche Politiker vom großen, einheitlichen Europa träumten, sind lange vorbei. Niemand denkt heute noch ernsthaft über eine Auflösung der Nationalstaaten nach. Die Europäische Union soll und muss aber Probleme lösen, mit denen die Nationalstaaten nicht mehr fertig werden. Nicht mehr und nicht weniger.
    Unsere Energieversorgung steht auf wackligen Beinen, die Bankenkrise ist noch nicht vorbei, in der Ukraine brennt es, in Syrien, in Russland gäbe es Bedarf für eine echte europäische Außenpolitik. Aber die EU hat keinen Außenminister, nur eine hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik. Ihre Kompetenzen sind so verwaschen wie ihr umständlicher Titel, zudem hat Lady Ashton keine Autorität und keine Rückendeckung. Doch etwas anderes hat Großbritannien nicht zugelassen. Und die anderen haben mitgespielt, dem Konsens zuliebe.
    Auch dieses Mal hätte David Cameron gute Chancen gehabt, sich wieder durchzusetzen. Auch dieses Mal hätten die anderen Regierungschefs wieder nachgegeben, hätten einen Kompromisskandidaten aus dem Hut gezaubert. Dass es nun anders gekommen ist, liegt am Europäischen Parlament: Das saß den Regierungschefs im Nacken und hat sie gezwungen, konsequent zu bleiben.
    Vielleicht ist Jean-Claude Juncker nicht die Idealbesetzung, aber er ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein weitaus besserer Kommissionspräsident als der Ersatzkandidat, der die Zustimmung Großbritanniens bekommen hätte. Vor allem aber wird sich Jean-Claude Juncker stärker als alle seine Vorgänger dem Europaparlament verpflichtet fühlen. Und das ist eine viel demokratischere Verpflichtung als die Hinterzimmerdiplomatie, mit der Merkel und Co. die bisherigen Kommissionspräsidenten an der kurzen Leine geführt haben. Das europäische Demokratiedefizit ist an diesem Wochenende ein Stück kleiner geworden.