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Europa
"No-Spy-Abkommen ist eigentlich nur ein Versprechen"

Der Deutschland-Korrespondent der britischen Tageszeitung "Independent", Tony Paterson, rechnet mit einem Lippenbekenntnis zu einer Art No-Spy-Agreement in Europa. Gegenüber dem DLF bezweifelte er aber, dass sich daran jemand halten werde, denn es könne nicht kontrolliert werden.

Tony Paterson im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Letzte Woche sind zwei wichtige außenpolitische Personalentscheidungen in Berlin ein klein wenig untergegangen. Der SPD-Politiker Gernot Erler wird Beauftragter für die deutsch-russischen Beziehungen. Er ist ein Vertrauter von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Erler hat sich bei uns im Deutschlandfunk schon gegen den Vorwurf zur Wehr gesetzt, er sei zu russlandfreundlich. Dafür, dass die SPD diesen Posten bekommen hat, wird der CDU-Politiker Philipp Mißfelder Koordinator für die deutsch-US-amerikanischen Beziehungen. Erler gilt seit Jahren als ein Russland-Experte, Mißfelder dagegen hat sich in den deutsch-amerikanischen Beziehungen eigentlich nicht vergleichbar profiliert. Trotzdem fiel die Wahl auf ihn. Heute stellte er sich der Hauptstadtpresse.
    Eine wichtige Aufgabe für Philipp Mißfelder in seinem neuen Amt wird sein, in den USA deutlich zu machen, dass die Deutschen sich gegen eine flächendeckende Überwachung wehren. Ein gemeinsames No-Spy-Abkommen wird es wohl eher nicht geben. Stattdessen setzt die Bundesregierung jetzt auf ein europäisches Abkommen. Wenigstens die EU-Staaten sollen sich nicht gegenseitig ausspionieren. Und hier heißt es, bei dem Plan würden die Briten nicht so recht mitspielen wollen. – Tony Paterson ist Korrespondent in Berlin für die liberale britische Tageszeitung "Independent", im Moment erreichen wir ihn in Großbritannien. Guten Tag, Herr Paterson!
    Tony Paterson: Guten Tag!
    Meurer: Warum spioniert Großbritannien in Deutschland?
    Paterson: Ja, eine sehr gute Frage. Ich denke, genau aus dem gleichen Grund, warum die Amerikaner und die Russen und alle anderen das machen. Die wollen erstens auf Nummer sicher gehen, und es ist eine Art massive Datensammlung, was da stattfindet, und es wird dann gefiltert, und das machen alle. Es sind nicht nur die Briten und nicht nur die Amerikaner. Ich sehe das als eine Art Muster, was überall stattfindet. Wir wissen aber nicht, was die Deutschen machen. Dieses Thema ist in Deutschland nicht veröffentlicht worden in großem Umfang. Das würde mich interessieren.
    Meurer: Warum gibt sich Großbritannien nicht damit zufrieden, mit unseren deutschen Nachrichtendiensten zusammenzuarbeiten und zu sagen, bitte gebt uns die Informationen, die wir brauchen?
    Paterson: Ich denke, das ist ein gegenseitiger Austausch, die Deutschen liefern den Briten Informationen und das geht auch in die andere Richtung. Aber es ist noch ein anderes Thema: Die Amerikaner, die Briten und die Neuseeländer und die Australier sitzen in einem Boot zusammen und haben seit Jahren ein Abkommen, wo sie ihre Daten austauschen, und die Deutschen sitzen nicht in diesem Boot. Vielleicht sind die Deutschen da verärgert, dass sie nicht drinsitzen, und ich verstehe auch die Besorgnis in Deutschland, die es hier gibt. Das Problem ist: Wie kontrolliert man dies? Gibt es eine Garantie? Ein No-Spy-Abkommen ist eigentlich nur ein Versprechen, aber das kann man nicht kontrollieren.
    "Geheimdienste waren immer ein Schutz der Nationen"
    Meurer: Wo liegen die Vorbehalte Großbritanniens darin, ein No-Spy-Abkommen wenigstens innerhalb der Europäischen Union abzuschließen?
    Paterson: Ich denke, das ist auch eine lange Geschichte. Es hängt zusammen mit der Mentalität in Großbritannien. Für die Briten gibt es James Bond und dann nicht sehr viel mehr. Die Geheimdienste waren immer gesehen als Schutz der Nationen, im Zweiten Weltkrieg, im Ersten Weltkrieg und auch neuerlich gegen die Anschläge, die es auch in Großbritannien gegeben hat. Die Perspektive, die Attitüde der meisten Briten ist gar nicht mit Deutschland zu vergleichen. Die Geschichte von Spionage in Deutschland ist Gestapo und Stasi, also eine ganz andere Geschichte. Man kann natürlich die großen Unterschiede verstehen, aber die sind einfach da.
    Meurer: Darauf hat auch John le Carré, der bekannte Schriftsteller, hingewiesen und gesagt, die Briten sind bei ihren Geheimdiensten patriotischer als die Deutschen. Wie erleben Sie denn als Deutschland-Korrespondent des "Independent" die Diskussion hier bei uns in Deutschland?
    Paterson: Ich finde das sehr interessant. Ich finde es auch zum Teil gerechtfertigt, weil Deutschland eine völlig andere Geschichte gehabt hat mit Spionage. Interessant ist, dass der "Independent" – wann war das? – kurz vor Weihnachten die Spionagetätigkeiten der Briten in der britischen Botschaft in Berlin veröffentlicht hat, und das war in Großbritannien eine Geschichte für einen Tag.
    "In Großbritannien nimmt man die Sache nicht so ernst, wie in Deutschland"
    Meurer: Ist das Ihre Recherche gewesen?
    Paterson: Zum Teil ja. Das ist die Realität in Großbritannien, dass man diese Sache nicht so ernst nimmt wie in Deutschland. Ich denke, die historische Perspektive ist das Wichtigste. Die andere Tatsache ist natürlich, dass man in Deutschland bis jetzt zum Glück überhaupt keinen Anschlag erlebt hat von großem Ausmaß. Es gab diesen Versuch vor etwa zwei, drei Jahren, wo eine Gruppe versucht hat, in Frankfurt große Anschläge zu machen, und dies wurde vereitelt durch Informationen von der NSA.
    Meurer: Sie haben gerade gesagt, Herr Paterson, Anschläge gab es in London, verheerende Anschläge auf die U-Bahn, in Deutschland nicht. Die Diskussion hier bei uns halten Sie für zum Teil gerechtfertigt. Was halten Sie denn für übertrieben?
    Paterson: Ich finde, dass das Problem ist, wenn man diesen Hintergrund nicht als Land erlebt hat, die Anschläge, brutale Anschläge, sieht man die Tätigkeiten der Geheimdienste, nimmt man die Überwachungsseite der Geheimdienste viel ernster, als wenn es Anschläge gegeben hat. Das heißt, man wird ernüchtert durch die Tätigkeiten der Anschläge.
    "Es wird ein Lippenbekenntnis zu einer Art No-Spy-Agreement innerhalb von Europa geben"
    Meurer: Was glauben Sie wird bei der Diskussion am Ende herauskommen, eine wage Vereinbarung der Europäer untereinander, sich an bestimmte Spielregeln bei der Spionage zu halten?
    Paterson: Ich denke schon, dass es irgendwie ein Lippenbekenntnis zu einer Art No-Spy-Agreement innerhalb von Europa geben wird. Ob tatsächlich die Leute sich daran halten werden, das glaube ich eigentlich nicht. Ich denke, die Briten insbesondere werden sich an diesen Geheimbund mit den Amerikanern, mit den Neuseeländern, mit den Australiern, diesen englischsprachigen Geheimbund halten, und ich kann nicht glauben, dass die aufhören werden zu spionieren. Tatsache ist auch, dass die Botschaften, die amerikanische Botschaft und die britische Botschaft, exterritoriale Gebiete sind. Die Bundesrepublik kann eigentlich da nicht eingreifen.
    Meurer: Aber sie kann schon sagen, dass so etwas diplomatisch unerwünscht ist, die Richtantennen auf unsere Politiker zu halten?
    Paterson: Ja, sie können das sagen. Aber es ist sehr schwierig, das genau zu kontrollieren. Das ist das Problem. Versprechen sind die eine Seite, aber wie man auf Deutsch sagt: Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser, und hier fehlt die Kontrolle.
    Meurer: Tony Paterson, Deutschland-Korrespondent der britischen Tageszeitung "Independent", bei uns im Deutschlandfunk zur Absicht, innerhalb der Europäischen Union ein No-Spy-Abkommen zu schließen. Herr Paterson, danke schön und auf Wiederhören.
    Paterson: Danke auch. Tschüß!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.