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Europa paradox

Entgegen ihrer sonstigen EU-Skepsis werden die Briten dem EU-Vertrag voraussichtlich zustimmen. Im britischen Parlament gilt die Mehrheit für die Ratifizierung des Vertrags als gesichert. Dafür stellt sich die Regierung im Integrationsprozess auf Seite der Iren: Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten werde es nicht geben.

Von Martin Zagatta | 18.06.2008
    Europa paradox: Während die sonst so EU-freundlichen Iren den Lissabon-Vertrag abgelehnt haben, werden ihn die sonst so EU-skeptischen Briten jetzt wohl absegnen. Die Mehrheit bei der letzten Abstimmung im Oberhaus heute gilt als sicher. Und die Regierung hat alle Appelle der Opposition abgelehnt, den Vertrag umgehend zu stoppen, die Sitzung der zweiten Parlamentskammer abzusagen oder zumindest zu vertagen.

    "Wir sind zu 95 Prozent durch mit dem Ratifizierungsprozess im Parlament, im Unter- und Oberhaus, mit einer Schlussabstimmung jetzt - und es ist richtig, unsere eigene Entscheidung zu treffen."
    So Außenminister David Miliband. Für viele seiner Landsleute eine höchst gewagte Argumentation. Denn vor drei Jahren, nach dem Nein der Franzosen und der Niederländer zur EU-Verfassung, hat die britische Regierung ihr im eigenen Land geplantes Referendum umgehend abgesagt. Begründung: Die Verfassung sei ja gescheitert.

    Den Lissabon-Vertrag will die Regierung jetzt aber trotz der Ablehnung durch die Iren noch ratifizieren lassen, offenbar um sich weiteren Ärger zu ersparen und eine Art Schlusspunkt zu setzen. Der Vertrag ist in London schon deshalb höchst umstritten, weil die Regierung ihn ohne Volksentscheid durchsetzen will.

    Im Wahlprogramm der Labour-Partei vor drei Jahren war den Briten noch ein Referendum in Aussicht gestellt worden. Eine Ablehnung des Vertrages wäre dann fast unvermeidlich. Darauf deutet auch der Beifall hin, den das Nein der Iren in der britischen Öffentlichkeit gefunden hat.

    Und die konservative Opposition, im Parlament schon mehrfach überstimmt, will die Ratifizierung nun doch noch stoppen. Der Vertrag habe sich mit dem Nein der Iren erledigt, so William Hague, der außenpolitische Sprecher der Tories:

    "Mit der Fortsetzung der Ratifizierung wird nur Druck auf die Iren ausgeübt. Deshalb gefällt es mir nicht, dass die Regierung das jetzt im Oberhaus noch durchziehen will. Sie sollte genau das Gegenteil tun, dieses zentralistische Vorhaben stoppen, das Nein der Iren als Weckruf sehen und den Vertrag aufgeben."

    Diesem Verlangen wird das Oberhaus heute allerdings kaum nachkommen. Zwar sind auch im Regierungslager viele der Ansicht, dass Großbritannien dem Lissabon-Vertrag nicht ohne ein Referendum zustimmen könne. Aber die Mehrheit für die Ratifizierung im Parlament gilt dennoch als gesichert, weil auch die Liberaldemokraten, die EU-freundlichste Partei auf der Insel, zustimmen wollen.
    Gleichzeitig hat die Regierung aber betont, dass sie sich bei den Verhandlungen in Brüssel nun auf die Seite der Iren stellen werde. Man werde den gesamten Lissabon-Vertrag lieber scheitern lassen als zu erlauben, dass einzelne Länder zurückgelassen werden in einem Europa von zwei Geschwindigkeit, hat Premierminister Gordon Brown dem irischen Regierungschef Brian Cowen laut der "Times" in einem Telefongespräch bestätigt. Und Außenminister Miliband hat den Iren mittlerweile in der BBC auch öffentlich die Unterstützung der britischen Regierung zugesichert:

    "Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten steht meiner Meinung nach nicht zur Debatte. Die Regeln sind absolut klar: Wenn nicht alle 27 Staaten den Vertrag ratifizieren, dann wird er auch nicht Gesetz. Da sollte sich niemand täuschen. Im Endeffekt ist das Sache des irischen Premierministers zu entscheiden, ob er dem Vertrag die letzte Ölung erteilen will oder nicht."