In der fünften Etage des Altiero-Spinelli-Gebäudes huschen Abgeordnete und Mitarbeiter durch die Gänge. Hier, im Hauptbau des Europa-Parlaments, hat auch die Grünen-Politikerin Terry Reintke ihr Büro. Mit 30 Jahren ist sie auf europäischer Ebene eine der jüngsten Abgeordneten.
Gemeinsam mit anderen jungen Politikern aus Deutschland hat Terry Reintke ein "Junges Manifest" veröffentlicht, mit dem sie die Politik inhaltlich und strukturell grundlegend verändern wollen - nicht nur in Deutschland.
"Das Zukunfts-Manifest lässt sich eins zu eins auf die europäische Ebene übertragen, weil ja einer unserer Ansprüche ist, auch eine europäischere Politik voranzutreiben. Wir sagen, dass junge Menschen in einem anderen Europa aufgewachsen sind und deshalb häufig sehr viel europäischer denken und eine größere Offenheit für eine grenzüberschreitende Politik haben."
Politisch mehr ausprobieren
Das müssten Politiker und Politikerinnen viel mehr nutzen, um im Interesse der Jugend neue Akzente zu setzen und neue politische Formen auszuprobieren.
"Ich finde, dass die europäische Ebene die perfekte Plattform wäre, um zum Beispiel mehr mit E-Democracy zu arbeiten. Die Frage von einer europäischen Bürgerinitiative, die endlich mal gestärkt wird und nicht mehr so hohe Hürden hat. Genau das wären solche Mittel, die europäische Demokratie zu beleben."
Aber neue Ideen haben es oft schwer. Der Altersdurchschnitt der Abgeordneten im Europa-Parlament liegt bei 54 Jahren. Von 751 Abgeordneten sind nur 83 jünger als 40.
Damit junge Parlamentarier trotzdem Gehör finden, organisieren sie sich in losen Netzwerken wie der EU 40, einer Gruppe für alle Abgeordneten unter 40.
Vor dem Büro von Tiemo Wölken hängt ein blaues Plakat der EU-40. Der 32-Jährige sitzt für die SPD im Europaparlament. Und als Mitglied des Haushaltsausschusses versucht er, regelmäßig Themen anzusprechen, die für junge Menschen relevant sind.
Mit dem Praktikanten verwechselt
Etwa die Jugendgarantie: Also das Versprechen der Mitgliedsstaaten, allen unter 25-jährigen Europäern ein Jobangebot oder einen Ausbildungsplatz anzubieten, wenn sie arbeitslos geworden sind.
"Wenn wir uns die Mittel für Jugendgarantie anschauen, die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen soll. Oder wenn wir uns die Mittel für Erasmus anschauen, die die Verbindung von Studium und Ausbildung im Ausland vereinfachen sollen. Dann sind das zwei Projekte, die chronisch unterfinanziert sind. Es wäre schon wichtig, wenn wir da klarmachen würden: Dieses Geld muss in diese Projekte fließen, weil wir als junge Generation ja damit Erfahrungen gemacht haben, wie es ist von diesen Programmen zu profitieren."
Stattdessen haben Tiemo Wölken und Terry Reintke die Erfahrung gemacht, dass sie aufgrund ihres Alters nicht ernst genommen und mit Praktikanten verwechselt werden.
Sie sind sich einig: Damit das nicht so weitergeht, braucht die junge Generation mehr Gestaltungsmacht, mehr Mandate - und Europa mehr demokratische Legitimation. Tiemo Wölken:
"Insofern wären die transnationalen Listen genau richtig gewesen, diese Lücke zu füllen. Dazu wird es leider nicht kommen, da wir keine Mehrheit im EP dafür hatten."
Transnationale Listen könnten helfen
Die transnationalen Listen für Europawahlen wurden vor allem mit Stimmen aus den konservativen Fraktionen im Parlament abgelehnt. Tiemo Wölken hat wie Terry Reintke dafür gestimmt.
Auch Eva Maydell, 32-jährige Abgeordnete aus Bulgarien, hat als eine der wenigen in der konservativen Fraktion der Europäischen Volksparteien für die transnationalen Listen gestimmt.
Als Präsidentin des "European Movements", einem europaweiten Zusammenschluss von Organisationen mit dem Ziel, ein vereintes, föderales und demokratisches Europa zu fördern, will sie aber grundlegend etwas verändern:
"Erstens, die junge Generation in die Politik holen. Wir sind die Menschen, die die jungen Leute am schnellsten und effektivsten erreichen können. Und zweitens: Wir sind die Generation, die den Populisten etwas entgegensetzen kann. Populismus appelliert an die Gefühle der Menschen. Ich denke, dass wir die Möglichkeiten haben, die Bürger Europas richtig anzusprechen."
Wie die Verfasser des "Jungen Manifests" schlägt Eva Maydell projektartiges Arbeiten auch auf europäischer Ebene vor. Gemeinsame europäische Positionen über Fraktionsgrenzen hinweg entwickeln - was früher eher selten passierte, kann sie sich heute gut vorstellen.