Nicht mal ein Meter Abstand. So dicht beieinander sind die Stände der verschiedenen Strömungen der Linkspartei im Foyer des Bonner Kongresszentrums aufgebaut. Hier diskutieren die Mitglieder des Forums Demokratischer Sozialismus über proeuropäische Reformen, gleich daneben wettern die Mitglieder der Antikapitalistischen Linken gegen die EU. Ein paar Stände weiter preist die Gruppierung Sozialistische Alternative kleine Büchlein an, die Ökologische Linke wirbt für Umweltschutz – und bei der Arbeitsgemeinschaft Cuba Si, vom Verfassungsschutz als offen extremistisch eingestuft, posieren die Mitglieder in Fidel-Castro-T-Shirts. Die Linke in all ihren Facetten.
Dass diese Vielfalt nicht immer förderlich ist – das wird bereits am Freitag, und damit Tag 1 des Europa-Parteitags der Linken, deutlich. Denn: In der Frage über ihr Verhältnis zur EU ist die Partei uneins. Es geht um das richtige Maß zwischen EU-Kritik und Zustimmung zu Europa. Die erste längere Rede hält zum Auftakt am Nachmittag Linken-Chefin Katja Kipping:
"Wir wollen kein Auseinanderbrechen der EU. Wenn wir die konkrete EU-Politik kritisieren, dann niemals mit dem Ziel, dass es zurück in das Nebeneinanderher von Nationalstaaten geht. Als Sozialisten wollen wir nicht zurück in die Vergangenheit. Wir kämpfen immer um eine andere Zukunft und ein anderes Europa."
Junge, europafreundliche Wähler im Blick
Nicht alle in der Partei unterstützen diesen Kurs. Doch Kipping und ihr Co-Parteivorsitzender Bernd Riexinger wollen eine europapolitische Neuausrichtung mit positiveren Botschaften - anders als 2014, als EU-skeptische Slogans das Europa-Wahlprogramm dominierten. Dabei haben sie auch die neuen linken Wählermilieus im Blick: Junge Menschen in Großstädten, die oft proeuropäisch eingestellt sind.
Kipping nutzt ihre Rede dazu, um die linken Kräfte in Europa aufzufordern, sich dem erstarkenden Rechtspopulismus entgegen zustellen – verteidigt jedoch auch die bisweilen kritischen Töne der Partei zur EU:
"Ich meine, auf eine andere EU hinzuarbeiten, ist die größere Liebeserklärung an Europa als zuzulassen, dass alles so bleibt, wie es ist", sagte sie. "Die heutige EU spielt Rechten und Marktliberalen in die Hände. Und das dürfen wir nicht zulassen."
Die Linke, so Kipping, trete an, um stärker zu werden in Europa. Kein leichtes Unterfangen: 7,4 Prozent der Wähler erreichte die Linke bei der letzten Europawahl, aktuelle Umfragen sehen sie zwischen sechs und acht Prozent. Die Reformer in der Partei unterstützen den Kurs der Parteiführung jedenfalls. Positiv über Europa sprechen will zum Beispeil auch der Außenpolitiker Stefan Liebich, der am späten Freitagabend für seinen Antrag wirbt, in dem er eine Republik der europäischen Regionen fordert.
Aus seiner Sicht sollte die Perspektive der EU sein, "dass es irgendwann einmal eine richtige europäische Regierung und ein richtiges europäisches Parlament gibt, das selber auch Initiativrecht hat und über seinen Haushalt bestimmt. Und dem dann eine zweite Kammer zur Seite gestellt wird, in dem die Mitgliedsstaaten ihre Stimme einbringen können. Vielleicht so ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland – nur auf europäischer Ebene."
Die EU werde nur dann funktionieren, wenn man dafür auch Verantwortung übernehme. Die Stichwörter: Gemeinsame Arbeitslosenversicherungen, einheitliche Mindestlöhne. Dass es für sein Modell einer Republik Europa derzeit keine Mehrheiten gebe, dessen ist sich Liebich jedoch bewusst:
"Aber die Frage ist ja was formuliert wird für Visionen. Ist die Vision eher: Es hat alles keinen Zwecke. Oder wir machen Hoffnung. Ich bin für Hoffnung."
Mit einem klaren Signal aus dem Parteitag gehen
Vom linken Parteiflügel kommt hingegen die Forderung, die EU im Wahlprogramm als "nicht zu reformieren" einzustufen, insgesamt EU-kritischer aufzutreten. Der dazugehörige Antrag der Strömung "Antikapitalistische Linke" dürfte bei der Abstimmung der 580 Delegierten an diesem Samstag jedoch keine Mehrheit finden –genauso wie der Vorschlag für eine Republik Europa. Andrej Hunko, der europapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, kann sich das unter den derzeitigen Umständen jedenfalls nicht vorstellen. Seine Erwartungshaltung an den Parteitag ist klar:
"Wir müssen hier mit einem Signal rausgehen, das kritisch ist zur gegenwärtigen Entwicklung der EU. Das aber klar macht, dass wir Internationalisten sind, dass wir für europäische und internationale Kooperationen sind."
Heute stehen die entscheidenden Termine an: Das Europawahl-Programm soll verabschiedet werden – und es folgen Reden von Fraktionschef Dietmar Bartsch, Gregor Gysi, dem Präsidenten der Partei der EL sowie von Parteichef Bernd Riexinger – alle mit proeuropäischem Fokus. Bisher ist die Stimmung auf dem Parteitag trotz aller Differenzen relativ gelassen – was vielleicht auch daran liegt, dass mit der Absage von Fraktionschefin Sarah Wagenknecht eine schillernde und streitbare Persönlichkeit fehlt – und die großen Debatten, Stichwort: Russland-Politik oder eine Vertiefung der europäischen Integration, noch bevorstehen.
Auch Andrej Hunko weiß: "Die eigentlichen Debatten fangen jetzt erst an. Von daher läuft sich der Parteitag glaube ich gerade warm."